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Zardoz
The
Gun is God
Die
vielleicht herausragendste Eigenschaft des Films ist seine Fähigkeit zur
Visualisierung von Gedankenexperimenten. Dies gilt insbesondere für die
"Was wäre wenn"-Konzepte der möglichen Zukunft im Science
Fiction. Der Film zeichnet eine fiktive Achse in eine Zukunft, deren Parameter
er bestimmt und deren eigene Zukunft (als die Zukunft der Zukunft) er damit
entwirft. Doch nicht selten sind es dabei die Vergangenheiten, die auf diese
Weise als Reinkarnation, als deja
vu
zurück kehren.
John
Boormans Zardoz
beschreibt eine Zukunft des 23. Jahrhunderts in der die Menschheit in zwei Klassen
separiert ist. Auf der einen Seite leben die Menschen in vollständiger
Bedürfnisbefriedigung ein mit technischen Mitteln in die Ewigkeit verlängerbares
Leben, können auf jeden Luxus und jede Information zugreifen - an einem
Ort names "Vortex", der von der Außenwelt durch eine unsichtbare
Barriere abgeschirmt ist. Geschützt und bestimmt wird ihr Leben vom "Tabernakel"
- einem vor langer Zeit installierten Computer-Programm, das die Errungenschaften
dieser Gesellschaft regelt und sichert, an dessen Funktionsweise (aus Schutzgründen)
aber alle Erinnerungen ausgelöscht wurden. Auf der anderen Seite gibt es
die Außenwelt, in der die "Brutalen" leben. Sie sind eine von
Hunger, Krieg und Krankheiten gezeichnete, gesichtslose Masse, der scheinbaren
Willkür der Vortex-Bewohner ausgesetzt. Beständig werden sie verfolgt
von den Kämpfern Zardoz' - einer künstlich geschaffenen Gottheit,
die über die Außenwelt qua Furcht und Gewalt herrscht, die die Außenweltler
grundlos tötet und versklavt. Zardoz ist aber nichts weiter als ein fliegender
Steinkopf, der von einem der Vortex-Bewohner gesteuert wird, allein zum Zweck,
die Außenwelt zu kontrollieren und zu beherrschen.
Z
ist einer der Kämpfer Zardoz', der sich eines Tages unbemerkt im Steinkopf
versteckt und auf diese Wese nach Vortex gelangt. Dort wird er von der völlig
vergeistigten Gesellschaft als Bedrohung und gleichermaßen Faszinosum
wahrgenommen. Die Brutalität, die Z verströmt (die Vortex-Bewohner
nennen ihn deshalb "Monstrum" oder "Das Brutale"), lässt
sie zum ersten Mal seit langer Zeit spüren, was es bedeutet, sterben zu
können und zu müssen. Denn ihre Gesellschaft ist zum Leben verdammt.
Jeder Versuch den Bann der permanenten Existenz zu durchbrechen, scheitert.
Nach jedem Tod folgt zwangsläufig die Wiedergeburt. Und weil die Unsterblichkeit
bedeutet, in einem bestimmten (jugendlichen) Alter zu stagnieren, gilt als höchste
Strafe für ein Vergehen das künstliche Altern. Es gibt im Vortex eine
ganze Siedlung angefüllt mit alten Renegaten, von Senilität gezeichnet
zu ewigem Alter und Siechtum verdammt. Auf der anderen Seite verfallen mehr
und mehr Bewohner der Vortex in eine Agonie und werden ebenfalls aus der Gemeinschaft
verdrängt - fristen ein Leben in völliger Apathie, angewiesen auf
Almosen. Z dringt buchstäblich in dieses System ein und durchsetzt es mit
Zweifel, Aufruhr und Tod. Er ist derjenige, der als ehemaliger Menschenjäger
Zardoz' nun den erlösenden Tod für die Bewohner von Vortex verheißt.
Und in dieser Eigenschaft wird er von ihnen vollständig unterschätzt.
Nur die wenigsten erkennen in Z denjenigen, der das System besiegen kann und
wird, eben weil er augenscheinlich kein Teil davon ist.
Boormans
Zardoz
ist schwer nachzuerzählen, weil er so "realistisch" ist. Damit
ist keineswegs die Plausibilität seiner futuristischen Entwürfe gemeint,
sondern im Gegenteil gerade deren Lückenhaftigkeit. Das System des 23.
Jahrhunderts wird nur ansatzweise erklärt. Die Funktion der wissenschaftlichen
Errungenschaften - sonst ein dankbares Sujet der Science Fiction - bleibt unerklärt
(eben weil sie auch für die Bewohner von Vortex nicht zu erklären
ist). Einzig das soziale System zwischen Innen und Außen, Oben und Unten,
bewaffnet und wehrlos wird in all seinen Konsequenzen dargelegt. Ausgiebig werden
Menschenjagden durch die Schergen Zardoz' vorgeführt und mit geradezu perverser
Detailfreudigkeit experimentiert die Wissenschaftsgilde von Vortex mit dem Eindringling
Z, der ihnen vollständig unterlegen zu sein scheint.
Dies
lässt den Eindruck entstehen, der Film Zardoz
sei in erster Linie eine politische/soziale Utopie. Er könnte auf die künftige
Kluft zwischen den wissenden und unwissenden, den besitzenden und armen Gesellschaften
hinweisen. Er wäre somit eine in die Zukunft projizierte reine Klassengesellschaft
und würfe einen marxistischen Blick auf das Geschehen ... "Was wäre
wenn?". Doch damit käme man dem Stoff Boormans nicht sehr nahe. Denn
das Gedankenexperiment ist nicht nur sozial-politischer, sondern vor allem auch
philosophischer Natur. Alle Gewalttätigkeit und aller Zynismus werfen ständig
die Frage nach dem Sinn des Sterbens auf. Nun ist es ein Allgemeinplatz, dass
das ewige Leben ewiges Leid wäre und Zardoz
folgt dieser Annahme und formuliert sie im Gedankenexperiment aus. Die Langeweile
und die Agonie liegen dicht beieinander, wenn die Ewigkeit den Takt des Denkens
und Handelns diktiert. Das Impulsive, das "Brutale" sind Eigenschaften
des Bewusstseins von der eigenen Vergänglichkeit und der ständig unbewussten
Angst vorm Tod. Die Leidenschaft und die Angst - das zeigt selbst die Vortex-Gesellschaft
kurz vor ihrem Ende - sind Merkmale der Trennung von "Bewusstsein"
und "Unterbewusstsein" (wie es im Film heißt). Das "totale
Bewusstsein" (der Vortex-Gesellschaft), das zudem ein vernetztes ist, hat
allenfalls "Interesse".
Der
Film wird auf eine Art erzählt, die sich am besten als Gratwanderung zwischen
Kitsch und Genalität bezeichnen lässt. Oft setzt er an, Elemente der
Gesellschaften in solcher Überzeichnung darzustellen, dass man beinahe
lächeln möchte. Doch dann zeigt sich - auf Grund der oben erwähnten
Lückenhaftigkeit -, dass es einfach nur das fehlende Verständnis der
Gesamtzusammenhänge ist, das so etwas wie "kitschige Hilflosigkeit"
im Betrachter entstehen lässt. Etliche klischeehafte Situationen der Erzählung
bricht Boorman auf diese Weise. Bildelemente - vom fliegenden Steinschädel
über die überdrapierten Kostüme der Vortex-Bewohner bis hin zur
Bebilderung der Wissenschaft - werden immer wieder mit ihrem Gegenteil konfrontiert
und "entzaubert" und über alledem steht die stets unterschätzte
und in ihrem Wollen undurchdringliche Erscheinung Zs, der mit amüsiertem
und analysierendem Blick die Welt um sich herum zerfallen sieht.
Zardoz
ist daher viel mehr als ein utopischer Film, mehr als ein Science Fiction: Er
ist ein filmisches Experiment auf mehreren Ebenen. Er stellt Fragen über
das "Was wäre wenn?" der gesellschaftlichen Zukunft genauso wie
über das philosophische Klischee der "Agonie des ewigen Lebens".
Er kontrastiert Szenen von unglaublicher Gewalt (Menschenjagden und Vergewaltigungen)
mit dem vielfach variierten Allegretto aus Beethovens 7. Symphonie. Sicherlich:
In seiner Hauptaussage, dass das Rohe schließlich (immer) über das
Gekochte siegen wird, ist er in gewisser Weise "kulturrevolutionäres"
Klischee. Aber dennoch verhindert die Offenheit seiner Erzählung und die
Ambivalenz seiner Hauptfigur, dass sich dieses Thema zu sehr in den Vordergrund
drängt.
Stefan
Höltgen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zardoz
GB
/ IRL 1974
Regie
& Buch: John Boorman
Kamera:
Geoffrey Unsworth
Schnitt:
John Merritt
Musik:
David Munroe (mach Motiven von L. v. Beethoven)
Darsteller:
Sean Connery, Charlotte Rampling, John Alderton, Nial Buggy u.a.
Länge:
105 Minuten; Verleih: 20th Century Fox
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