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Zabriskie
Point
"Zabriskie Point" ist ein, man kann es
schon so sagen, antiamerikanischer Film. Dabei ringt Michelangelo Antonioni
einem der geographisch lebensfeindlichsten Flecken der Vereinigten Staaten,
dem Death Valley, freilich Naturbilder ab, die eine andere Sprache sprechen.
Die Landschaft dort birgt im Zabriskie Point merkwürdig schöne Gesteinsformationen,
eine Gegend aus Steinwellen und Sand. Diese Vegetationslosigkeit ist bei Antonioni
wundervoller als der urbane Rundblick auf Infrastrukturen: das System aus Straßenadern
und Autobahnknoten, dem Meer aus Strommasten, den Boulevards aus Werbeschildern.
Mit der Kamera kurz vorbei an einer Mülldeponie, wo die Zivilisationsscheiße
lagert. Student Mark muss da raus, will mal "von der Erde weg" und
kapert ein Kleinflugzeug. Aus der Luft sieht man das ganze Ausmaß der
Urbanisierung, nichts als dicht besiedelte Quadratmeter, die mit dem Himmel
verschwimmen. Wo ist nur der Horizont hin?
Die Sicht auf diese Gesellschaftswappen unterliegt
nie einem unmittelbaren Kommentar. Und doch verraten die Bilder, dass sie nachdenken,
dass sie das alles irgendwie erdrückt. Dass so also weit entwickelte Zivilisation
aussieht. Dass amerikanische Architektur im Prinzip aus Fastfoodrestaurants
besteht; dass das Stadtbild ein einziges großes Werbeplakat ist, dessen
Pixel wiederum viele kleine Reklameschilder sind. Für den Ausbruch aus
dieser Unkultur wird, wenig überraschend, das freiheitssymbolische Flugzeug
auserkoren. Angekommen im Wüstenland des Death Valley trifft Mark in einer
grandios gefilmten und an den "Unsichtbaren Dritten" erinnernden Szene
auf eine im Herzen Gleichgesinnte.
Und nun wird der Kontrast immer weiter auf die Spitze
getrieben. Das bizarre Zabriskie-Point-Relief ist nicht nur visuell faszinierender
und der Cityoberfläche vorzuziehen. Selbst eine der lebensfeindlichsten
Landschaften überhaupt ist offenbar noch nicht lebensfeindlich genug, um
nicht als Rückzugsgebiet aufgesucht zu werden. Hier ist es erträglicher
als in der Stadt. Das Death Valley als Refugium - höhnischer geht es wohl
kaum. Doch geht es. Mit einem Liebesakt in dieser Einöde. In einer unvergleichlichen
Montage vervielfältigt Antonioni die Zweisamkeit zu einer vitalen Ansammlung
vieler sich liebender Paare. Spätestens beim Sex fühlt man sich in
diesem weiten Nichts nicht mehr alleine. Die spärliche Vegetation ist überwindbar;
die freiwerdende Energie des Geschlechtsaktes befruchtet dieses eigentlich unfruchtbare
Ödland. Das Wälzen der Paare in Sand und Staub, es erinnert gar an
eine Vereinigung mit der Umwelt. Irgendwann sind sie so sandig und staubig,
dass sie sich wie Chamäleons an die Umwelt angepasst haben.
Eines allerdings scheint laut Antonioni auch die
amerikanische Gesellschaft mit dem Zabriskie Point gemeinsam zu haben: Sie ist
einer starken Erosion ausgesetzt. Während das eine durch Hitze, Wind und
Sommergewitter geformt wird, verwittert das andere durch ebenjene Kommerzialisierungsdichte,
durch eine Studentenunruhen rigoros erstickende Staatsmacht, durch Waffenverkäufer,
welche empfehlen, die Erlegten ins Haus zu schleppen, weil das Heim nach amerikanischer
Rechtsprechung verteidigt werden dürfe, durch einen Vietnamkrieg, durch
eine Bevölkerungsentwicklung, die, wie das Radio vermittelt, den Globus
vor ernste Probleme stellen wird.
"Zabriskie Point" ist auch ein Kind der
Zeit und es ist schade, dass er es ist. Denn seine Beobachtungen sind in vielerlei
Hinsicht noch heute zutreffend, wenn nicht gar treffender denn je. Seit 1970
ist die Erosion durchaus konsequent fortgeschritten. Die Erdkruste scheint vor
lauter Menschen bald einzureißen, die amerikanische Justiz geht zuweilen
als eigenes Entertainmentgenre durch und außenpolitische US-Interventionen
haben sich, mit kaum minder katastrophalen Bilanzen, lediglich in andere Teile
der Welt verlagert. Antonioni ist hier der Außenbetrachter, den der studentische
Idealismus fasziniert und der in deren Idealen eine beträchtliche Schnittmenge
zu seinem Menschenbild erkennt. Diese Betrachtungen trägt er jedoch in
einem zeitdokumentarischen Korsett vor, das mit Marx genauso sympathisiert wie
mit Castro und Mao. Seine Bewunderung für die Studentenbewegung geht auch
mit typischen Rebellionsgesten einher, mit dem bunten Bemalen des Flugzeugs
zu einem Flower-Power-Flieger mit entsprechenden Losungen ("No war",
"suck bucks") oder dem unbekümmerten Fahren des Helden über
rote Ampeln. Dabei wird sich in der Prologdiskussion noch von jenen distanziert,
die bloß ihres Joints im Maul wegen schon Revoluzzer sein wollen. Der
Film hätte der wenigen, unsubtilen Posen gar nicht bedurft und einen Märtyrertod
wahrlich nicht nötig gehabt, um seinen Ideen Nachdruck zu verleihen.
Mit den legendären Schlussbildern ist das Feingefühl
schließlich dahin. Der geistige Widerstand lässt die mitten in die
Wüste gepflanzte Bonzenvilla wütig explodieren, nicht einmal, nicht
zweimal, vielleicht zehnmal. Mark behauptete, das Land sei tot. Jetzt ist es
wirklich tot. Es folgen wundervolle und noch legendärere Zeitlupen von
zerspringenden Fernsehern, Sonnenschirmen, Kleiderschränken, Kühlschränken,
Bücherschränken, dessen Einzelteile zu Pink Floyd im Raum schweben
und tanzen. Wenn alles einmal zu Boden fällt, ist es nur noch Müll,
reif für die Deponie, an der die Kamera vorbeifuhr. Es sind nicht nur Konsumgegenstände,
es ist der ganze Alltag, der hier berstet. Eine Lösung kann dies nicht
sein, aber so etwas wie ein imaginärer Amoklauf, ein nihilistischer Befreiungsschrei.
Wohl Ironie des Schicksals, dass jener Film, der die Ware sprengt, auf dem weltweiten
DVD-Markt zu Antonionis Lebzeiten kaum erschlossen wurde. Hierzulande ist mit
der ersten deutschen Veröffentlichung am 17. April 2008 der Widerstand
dann gebrochen.
Daniel Szczotkowski
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.ofdb.de
Zu diesem Film gibt’s im archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Zabriskie
Point
ZABRISKIE
POINT
USA
1969/70.
Regie:
Michelangelo Antonioni – Sujet, Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Fred Gardner,
Sam Shepard, Tonino Guerra, Clare Peploe. - Kamera: Alfio Contini. - Schnitt:
Michelangelo Antonioni, - Schnitt-Mitarbeit: Franco Arcalli. - Ton: Franklin
Milton. - Musik: The Pink Floyd, Kaleidoscope, Jerry Garcia: Elektronische Musik:
Musica Elettronica Viva; Songs, Interpreten: Dance of Death« (John Fahey),
»Dark Star« (The Grateful Dead). –You Got the Silver« (The
Rolling Stones), »Sugar Babe« (The Youngbloods), »Tennessee
Waltz« (Patti Page), »I Wish I Were a Single Girl Again« (Roscoe
Holcomb); Musikalische Beratung: Don Hall. - Bauten: Dean Tavoularis. - Ausstattung:
George Nelson. - Kostüme: Ray Summers. – Special Effects: Earl McCoy. -
Regie-Assistenz: Robert Rubin, Rina Macrelli.
Darsteller:
Mark Frechette (Mark), Daria Halprin (Daria), Paul Fix (Cafe-Besitzer), G. D.
Spradlin (Lee Allens Partner), Bill Garaway (Morty), Kathleen Cleaver (Kathleen),
Rod Taylor (Lee Allen), The Open Theatre of Joe Chaikin. - Produktion: MGM.
- Produzent: Carlo Ponti. - Produktionsüberwachung: Harrison Starr. – Produktionsleitung:
Don Guest. - Gedreht vom 9. September bis Dezember 1969 in Los Angeles, Kalifornien
(Death Valley, Mojave Desert) und Arizona. -Format: 35 mm (Panavision), Farbe
(Metrocolor). – Original-Länge: 111 min. – Deutsche Länge: 105 min.
- Uraufführung: 9.2. 1970,
New York. – Deutsche Länge: 3.9. 1970. - Verleih: Filmverleih Die Lupe
(35 mm).
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