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Zabriskie
Point
ZABRISKIE POINT handelt von Los
Angeles, von den Kämpfen zwischen Polizei und Studenten auf dem Campus
und - parallel dazu - von Makler-Geschäften um Wüstengrundstücke,
erzählt die Flucht eines jungen Mannes und einer jungen Frau und ihre Begegnung
im Death Valley. Mark (Mark Frechette) wird von der Polizei verfolgt, Daria
(Daria Halprin) ist auf einer eskapistischen Reise mit ungefährem Ziel.
Auf dem Weg zurück vom Death-Valley wird der Mann getötet, und die
Frau träumt die Explosion der Zivilisation.
Zabriskie Point ist ein Aussichtspunkt
im Osten von Kalifornien, ein mythischer Ort der Indianer, von dem aus man das
Death Valley überblickt. Zwischen graugelben Felsen zieht sich ein Graben
durch die Wüste, eine sandige Erdsenke, die den tiefsten Punkt des nordamerikanischen
Kontinents markiert. Dieser bislang einzige Film, den Michelangelo Antonioni
in den USA gedreht hat, entstand als Produktion des italienischen Produzenten
Carlo Ponti für das Hollywood-Studio MGM, unter Vertragsbedingungen, die
Antonioni nach dem 20-Millionen-Erfolg von BLOW-UP unbeschränkte Autoren-Autonomie
zusicherten. Er bereitete den Film zwei Jahre lang vor, reiste als Tourist und
Rechercheur durch die USA, war Zeuge von Campus-Unruhen, suchte Kontakte zu
den Black Panthers, filmte die brutale Gewalt der Nationalgarde gegen Hippies
und Vietnamskriegsgegner beim Kongress der Demokratischen Partei in Chicago
1968. Antonioni schrieb das Script wieder zusammen mit Tonino Guerra, ließ
aber bis kurz vor Drehbeginn die Dialoge von Fred Gardner, Sam Shephard und
Clare Peploe überarbeiten, um möglichst die spezifischen Sprachen
in allen vier Ebenen des Films zu treffen: im Diskussionsstil militanter Studenten,
in der aggressiven Kürzelsprache der Polizei, dem Slang von kalifornischen
Jugendlichen und von etablierten Geschäftsleuten.
Antonionis Arbeitsweise provozierte
permanent Kollisionen mit den Produktionsmechanismen des MGM-Studios. »Ich
repräsentiere (für die Studenten) Hollywood und das System, und ausgerechnet
ich erzähle ihnen, daß ich einen Film über junge Leute in Amerika
machen will. Deshalb sind sie mißtrauisch und das ist richtig. Nach ihrer
Meinung kann ein solcher Film nur von einem der ihrigen gemacht werden. Aber
ich fühlte mich ihnen nahe, selbst in ihrer Feindschaft. Ich wäre
wie sie, wenn ich jung wäre. .. Das ist eines der lächerlichen Probleme,
wenn man mit einer großen Produktionsfirma arbeitet. Wenn ich zu den jungen
Leuten gehe, bin ich von einer Armee von Assistenten und Helfershelfern umgeben.
Was für ein Aufwand! Es ist so schwerfällig! Ich kann gut verstehen,
daß die jungen Leute mißtrauisch sind, aber was kann ich tun? Sobald
wir allein sind, ändert sich alles.« [M. A. in einem Gespräch mit Gene Youngblood über die
Gewalt in den USA und sein Filmprojekt in: Film, Nr. 1O, Oktober 1969]
Für die Entwicklung des Sujets
beanspruchte Antonioni den individuellen Arbeitsstil und die Isolation eines
Literaten, er verweigerte jede Information über den Film bis zur Fertigstellung.
Auch die Besetzung widersprach den Praktiken des Studios: Antonioni lehnte dessen
Vorschläge ab und suchte noch kurz vor Drehbeginn die Hauptdarsteller.
Mark Frechette und Daria Halprin hatten keine bzw. wenig Schauspielererfahrung.
(Antonioni sah Daria Halprin in einem der vielen Filme des New American Cinema,
mit denen er sich während der Vorbereitung beschäftigte, weil er an
experimentellen Ansätzen interessiert war.)
Er verlangte ein kleines Team
von jungen Leuten, keine eingesessenen Studio-Mitarbeiter, konnte aber die starke
Position der Gewerkschaften nicht unterlaufen. Bis zu siebzig, meist alte Spezialisten
für Studio-Aufnahmen lähmten die Dreharbeiten. Antonioni stützte
sich mehr auf Mitarbeiter, die aus Italien eingeflogen wurden, vor allem den
Kameramann Alfio Contini, brach die Arbeit mehrmals ab und wurde schließlich
für die Kostenexplosion verantwortlich gemacht. (ZABRISKlE POINT kostete
sechs statt der veranschlagten drei Millionen Dollar.)
Gewalttätige Einheimische
störten die Arbeit in der Wüste von Kalifornien und Arizona, machten
Front gegen den angeblich pornographischen, antiamerikanischen und umstürzlerischen
Film. Das Bundeskriminalamt ermittelte wegen der Einfuhr von pornographischem
Material nach Kalifornien. Das Bürgerkriegsklima setzte sich unmittelbar
fort bei der Produktion des Films: Antonioni war nicht nur mit den typischen
Schwierigkeiten eines europäischen Autor/Regisseurs im Hollywood-System
konfrontiert, sondern erfuhr die reale Gewalt von Vorurteilen, Presse-Legenden,
aggressiver Vereinnahmung von National-Mythen, - ein unentwirrbares Chaos von
Vorstellungen und Faktizitäten.
Schließlich verweigerte
er gegen die üblichen Produktionsmethoden den sukzessiven Schnitt von ZABRISKlE
POINT während der Dreharbeiten, zog sich mit dem Material nach Rom zurück
und schnitt eine 70minütige Fassung. Noch während der Aufnahmen war
MGM zahlungsunfähig geworden, ein Las-Vegas-Finanzier kaufte sich ein und
engagierte Fernseh-Spezialisten für das Management. Nach deren erster Sichtung
des Films, die von dem Zweck-Optimismus belastet war, der Film könne die
Firma retten, entschloß er sich zu einer Schnittfassung von 110 Minuten.
Nach dem Start behauptete die amerikanische Kritik, der Film sei der letzte
Nagel am Sarg der alten MGM gewesen. Sie verurteilte die Fabel, die Darstellung
der Polizei und die Zerstörungs-Illusion im offenen Ende des Films als
antiamerikanische Denunziation. Das Sujet von ZABRISKlE POINT nimmt eine Motivgeschichte
Hollywoods auf und erzählt eine Freiheits-Phantasie, - die Flucht aus der
Stadt in die Landschaft, hin zu einem konkreten Ort, der mit historischen Mythen
besetzt ist und unmittelbar visuell die Anziehungskraft des Außerordentlichen
ausstrahlt. Aber alle Erzählmittel des Films brechen die Standards und
teilen Antonionis wiederkehrende Themen mit. Die Geschichte beginnt mit einer
politischen Diskussion, entwickelt sich zu einer Handlung, die zum ersten und
einzigen Mal in einem Film von Antonioni politische Kämpfe in physischen
Aktionen darstellt, wird aber kommentierend gebrochen in den Bildern der Stadtlandschaft
und einer elliptischen Parallelhandlung. Licht und Farbigkeit beschreiben atmosphärisch
den Wechsel in die Wüstenlandschaft, in der sich Zweck und Ziel der Reise
verlieren. Das Breitwandformat monumentalisiert nicht die Figuren, die Bilder
heben sie schmal und scharf umrissen gegen die Erdfarben und den blauen Himmel
ab. Die Kamera tastet die zu runden Formen erodierten Felsen und Sandberge ab,
zeigt sie gegen den Horizont in scheinbar grenzenloser Raumtiefe. Sie sind nicht
Kulisse für grandiose Aktionen, kein Ort bewußter Erfahrungen, sondern
elementarer Erlebnisse, in denen Wirklichkeit und Imagination austauschbar werden.
Alles Gegenständliche bekommt die Suggestionskraft einer Halluzination,
die äußere Handlung schließt sich zu einem Kreis, die innere
Handlung intensiviert sich sichtbar zu einer Spiralbewegung, einer Gewalt-Phantasie,
die sich von der erzählten Wirklichkeit vollkommen löst, aber als
ästhetische Vision wie der Traum erscheint, der hinter dem intellektuellen
Diskurs der Eingangssequenz verborgen liegen könnte.
Mark nimmt an einem Treffen militanter
Studenten teil, mit dem der Film unmittelbar einsetzt. Black-Panther-Vertreter
und ihre Wortführerin Kathleen (Kathleen Cleaver, die ihre Politik und
die ihres Mannes Eldridge Cleaver im Film vertritt) debattieren mit den Marxisten
unter den weißen Studenten über die Schließung des Campus,
dem zu erwartenden Demonstrationseffekt und die erhoffte Auslöserfunktion
für weitere Aktionen. Streitpunkt ist die Gewalt, die Frage, wie offensiv
die Studenten den Campus vor der Polizei verteidigen sollen.
Die Kamera gleitet über Gesichter
in Großaufnahmen, ehe man den kahlen Raum in einem Universitätsgebäude
überblickt. Alles ist in weiches orangefarbenes Licht getaucht. Mark hält
sich im Hintergrund, man sieht ihn zwischen stummen Zuhörern, langhaarigen
Mädchen in Sommerkleidern, Jungen in Hemd und Jeans. Er provoziert Ärger,
hat genug von der Debatte, ist »bereit zu sterben, aber nicht vor Langeweile«.
Bei der Polizei sucht er einen verhafteten Freund, Demonstranten werden eingeliefert,
brutal und hämisch behandelt: ein Verhafteter gibt als Beruf Professor
für Geschichte an und wird als Angestellter im Protokoll vermerkt.
Mark und sein Freund Morty (Bill
Garaway) kaufen sich eine Pistole. Sie fahren mit dem Lieferwagen durch Los
Angeles und man sieht eine fast lückenlose Folge von Werbetransparenten
auf Mauern, Dächern und Freiflächen an ihrem Auto vorüberziehen,
Werbung für Stahlwaren und Fast Food. Der Campus wird abgeriegelt, Mark
hat seine Pistole dabei, beobachtet, wie sich Polizisten im Park verteilen,
um die Bibliothek zu stürmen, einer erschießt von hinten einen schwarzen
Studenten mit einer Maschinengewehrgarbe. Mark hat die Pistole gezogen, wird
bemerkt und kann entkommen. Freunde warnen ihn, weil sein Steckbrief im Fernsehen
gezeigt wurde, er fährt zu einem Flugplatz, schleicht sich aufs Rollfeld
und flüchtet mit einer kleinen Maschine.
Zügig eskalierende Ereignisse,
die Polizei-Aktion, ständig präsente Medienberichte über Demonstrationen,
Marks wortkarge Verschlossenheit, beiläufige Dialoge, die knapp informieren,
bauen ein realistisches Spannungsmuster auf, das gebrochen wird durch Einstellungen
auf die Stadtlandschaft, durch den atmosphärischen Wechsel der Farbigkeit
(die Eingangsszene beobachtet die Debatte wie durch die Scheibe eines Aquariums,
die Campus-Erstürmung ist extrem plastisch im Verhältnis zur fahlen
Intensität, mit der die Werbe-Bilder unter dem Smog-Himmel erscheinen).
Parallel dazu: Fetzen einer anderen Story: Daria in einem kühl repräsentativen
Hochhaus, wo sie auf Lee Allen (Rod Taylor) trifft, den Manager der Firma Sunnydunes.
Sie will ein vergessenes Buch holen, erzählt von einer Reise in die Berge,
wird von Allen nach Phoenix eingeladen, wo er ein Landerschließungsprojekt
vorbereitet. Die Firma verkauft Grundstücke in der Wüste als Zweitwohnsitz
für Exzentriker.
Unberührt von den Ereignissen
in der Stadt, im obersten Stockwerk ihres Hochhauses sehen sich die Manager
ihren Werbespot im Fernsehen an, diskutieren das richtige Werbeprofil ihrer
Ware. Daria hat für Allen gearbeitet, spricht in privatem Ton mit ihm. Sie ist eine vollkommen
präsentische Gestalt, scheint unabhängig und nicht berührt von
den politischen Auseinandersetzungen. Ihr Aussehen setzt sie ab von der distinguierten
Geschäftswelt des Hochhauses. Sie trägt ein sportliches Minikleid,
hat hüftlanges dunkles Haar, wirkt unbekümmert. Im Lauf des Films
wird sie einer Indianerin immer ähnlicher: sie trägt einen indianischen
Perlengürtel und Silberschmuck, wenn Mark ihr begegnet.
Die Ebenen dieser Vorgeschichten
sind so montiert, daß die Referenzen zur politischen Realität immer
mehr verloren gehen.
Daria fährt in einem alten
Ford durch die Wüste, aber sie kennt ihr Ziel nicht. Telefonate mit Allen
deuten an, daß sie den Namen des Ortes, wo sie mit anderen meditieren
will, vergessen hat. Ihre Haltepunkte sind wie Sinnbilder für ein mythisches
Amerika: in der Bar einer Tankstelle trifft sie John Wilson, der erzählt,
er sei John Wilson, Weltmeister im Mittelgewicht von 1923. Er trägt ein
kariertes Hemd und eine Baseballmütze, man sieht ihn ruhig dasitzen. Er
trinkt und raucht, während Daria die Bar verläßt und draußen
von einer Horde aggressiver Kinder verfolgt, auf ein kahles Tanzpodest getrieben,
umringt und beinahe ausgezogen wird. Sie fragt nach einem Jungen namens Jimmy,
den die Kinder getroffen haben könnten - ein zweiter Grund für ihre
Reise deutet sich an und verliert sich dann in der Begegnung mit Mark.
Daria fährt über eine
schnurgerade Straße durch die Ebene, ißt Äpfel und hört
Rock-Musik. Man sieht in Panorama-Bildern, wie Mark mit dem gestohlenen Flugzeug
über dem Auto fliegt, näher kommt, gefährliche Manöver knapp
über der Straße macht, bis Daria erschreckt und belustigt anhält
und ihn herunterwinkt. Er landet und fährt dann mit ihr weiter bis zum
Zabriskie Point, sie machen Halt und laufen in das Tal hinunter, erkunden
es einzeln und zusammen. Daria findet den Ort still, Mark hält ihn für
tot. Er lehnt ihren ironischen Vorschlag ab, ein Spiel zu machen und das Death
Valley nach toten Tieren abzusuchen. Sie möchte schreien, er macht ihr
vor, wie das Echo klingt. Daria raucht einen Joint, Mark lehnt ab, weil das
gegen die Regeln seiner Gruppe verstößt. Sie stellt sich vor, wie
es wäre, ihre Gedanken in einen Garten zu pflanzen und sie wie schöne
Blumen zu betrachten, Mark fühlt sich bei dieser Vorstellung an einen Dschungel
schrecklicher Gewächse erinnert. Sie lieben sich, ihre Körper sind
bedeckt von Darias Haaren und nehmen die Farbe des Sandstaubs an. Ihre Euphorie
wird mit der Musik von Pink Floyd plötzlich zu einer Vision von unübersehbar
vielen sandverklebten, erdfarbenen Paaren, einer gesichtslosen Vervielfältigung
der beiden, die isoliert voneinander über einen Hang hinweg arrangiert,
ein Panorama von Leibern bilden. Man sieht einige Gruppen näher, deren
Paarungsrituale die sanftere Liebesszene zwischen Daria und Mark vervielfältigen.
Die Schauspieler von The Open Theatre of Joe Chaikin mimen animalische Lust
zeremoniell, die Love-In-Phantasie erzählt die mystische Vereinigung eher
als Idee von Hunger und Frustration.
Daria und Marks Rückkehr
in die Zivilisation beginnt mit einem fotografierenden Touristenpaar an der
Straße. Mark versteckt sich hinter zwei surreal deplazierten, signalroten
Toiletten-Containern, weil ein Polizist heranfährt und Daria ausfragt.
Er mustert sie so, daß die Idee, sie zu vergewaltigen, die bewegungslose
Stille füllt. Mark zieht die Pistole, der Polizist fährt davon, und
Darias Erschrecken vor der Waffe veranlaßt Mark, die Patronen fallen zu
lassen. Er will zurück nach Los Angeles, weil er sich unschuldig fühlt.
Sie bemalen das Flugzeug mit Graffitis
(»freecome«), Blumen und großen Brüsten. Sie verabschieden
sich wortlos, winken sich zu, - es gibt keine demonstrativen Gefühlsbeweise
in ihren Gesten.
Beim Anflug auf den Flughafen
in Los Angeles riegelt die Polizei das Gelände ab und erschießt Mark
im gleichen Moment, in dem er das Flugzeug verläßt. Daria hört
die Nachricht im Autoradio. Sie fährt in der dunkler werdenden Sonne durch
die Wüste, erreicht ihren Treffpunkt mit Lee Allen, ein Haus, das wie ein
Raubvogelnest aus Holz, Steinen und Glas auf einer Felskuppe liegt. Sie betritt
unbemerkt das Haus, dessen Eingangshalle zwischen dunklen Steinen liegt, schattig,
kühl und gedämpft wirkt, - eine Oase mit Blumen und Springbrunnen.
Allens Unterredung mit seinen Partnern über künstliche Seen, die die
Grundstücksrendite steigern würden, ist leise zu hören. Daria
wandert wie in Trance umher, ist verschlossen-fremd zu Allen, verläßt
den Ort, fährt ein Stück in die Ebene hinaus, steigt aus dem Auto
und blickt wie nach innen lauschend, mit euphorischem Ausdruck zurück.
Man sieht sie regungslos stehen in einem durchdringend goldenen Abendlicht,
noch strahlender als das Licht der ersten Szene, das die diskutierenden Studenten
einhüllte und entrückte. Das Haus explodiert vor Darias Augen, als
habe sie es verzaubert, die Explosion wiederholt sich mehrmals, man hört
die Musik von Pink Floyd und sieht eine lange Folge von slowmotion-Bildern,
in denen Gegenstände von der Sprengkraft hochgeschleudert werden, langsam
aus dem blauen Himmel heruntersinken und zersplittern in einen Farbenregen:
Balken und Glas, Möbel und Blumen, Kühlschränke und bunt verpackte
Lebensmittel, Fernsehapparate und Bücher.
Diese hypnotische Schlußszene
entstand, indem Antonioni die Villa in Phoenix nachbauen ließ und aus
siebzehn Kamerapositionen die Sprengung filmte. Das Haus, das Daria betritt
und stumm erkundet, ist einer der vielen Ausfluchtorte in Antonionis Filmvokabular,
die zivilisierte Magie mitteilen: Natur und Technik durchdringen sich wie in
Osmose, das Haus verkehrt Natur ins Interieur, ist sinnfällig eine futuristische
Oase.
Antonioni malt die Explosion des
künstlichen Paradieses direkt in den blauen Himmel. Die optische Wirkung
von Tele-Aufnahmen und slowmotion nimmt den Splittern die Dinglichkeit von Trümmern.
Was er in DESERTO ROSSO noch durch Einfärbung der Schauplätze in visuelle
Botschaften übersetzte, versucht er nun in einer ästhetischen Gewalt-Phantasie
explodieren zu lassen. Die Zerstörungskraft der Realität und die der
Imagination werden ineinander überblendet und das visuelle Erlebnis läßt
Einfühlung und Emotionen - die verfälschten und verfälschenden
Gefühlsschichten - hinter sich in trancehafter visionärer Klarheit.
Darias Zerstörungs-Traum
löst sich von psychologischer Plausibilisierung. Sie kehrt mit einer Radionachricht
über Marks Tod in die Zivilisation zurück, die aber in ZABRISKlE POINT
- von Beginn an entwickelt - längst die Konturen einer sicher abzusteckenden
Wirklichkeit verloren hat. Sie betritt das Haus, das Allens Geschäft zeigt,
- die Entzauberung der Wüste -, und zugleich fremd, in sich geschlossen
und schön ist. Die Oase saugt den Ausdruck von Trauer in sich ein, so wie
die Liebesszene in der Wüste den Augenschein einer Subjekt-Erfahrung demontierte.
Antonioni nahm in einer Stellungnahme,
einer sarkastisch vereinfachenden Eigeninterpretation, den Film in Schutz und
wies die amerikanische Kritik auf jenen Punkt hin, in dem sich seine Haltung
zu ZABRISKlE POINT und Hollywood schneiden: »Mein Film gibt nicht vor,
erschöpfend zu behandeln, was über Amerika gesagt werden kann. Er
erzählt eine einfache Geschichte, wenn auch von komplexem Gehalt. Er ist
einfach, weil er nichts anderem als einer Fabel Ausdruck gibt. Jetzt, da die
Kritiker gegen ihn eingestellt sind, glaube ich: die Märchen sind wahr.
Auch wenn der Held ein Heer von Drachen mit einem verzauberten Schwert bekämpft.«
[M. A. in einem Artikel für Esquire 1970, unter dem Titel »Le fiabe
sono vere« nachgedruckt in Zabriskie Point, Dal soggetto al film, collana
cinematografica, Nr. 40, Cappelli editore, Bologna 1970 (Übers. C.L.)]
Claudia Lenssen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: Michelangelo Antonioni; Band 31 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek
von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien
1987.
Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung der Autorin Claudia Lenssen und des Carl Hanser Verlags.
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Zabriskie
Point
ZABRISKIE POINT
USA 1969/70.
Regie: Michelangelo
Antonioni – Sujet, Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Fred Gardner, Sam Shepard,
Tonino Guerra, Clare Peploe. - Kamera: Alfio Contini. - Schnitt: Michelangelo
Antonioni, - Schnitt-Mitarbeit: Franco Arcalli. - Ton: Franklin Milton. - Musik:
The Pink Floyd, Kaleidoscope, Jerry Garcia: Elektronische Musik: Musica Elettronica
Viva; Songs, Interpreten: Dance of Death« (John Fahey), »Dark Star«
(The Grateful Dead). –You Got the Silver« (The Rolling Stones), »Sugar
Babe« (The Youngbloods), »Tennessee Waltz« (Patti Page), »I
Wish I Were a Single Girl Again« (Roscoe Holcomb); Musikalische Beratung:
Don Hall. - Bauten: Dean Tavoularis. - Ausstattung: George Nelson. - Kostüme:
Ray Summers. – Special Effects: Earl McCoy. - Regie-Assistenz: Robert Rubin,
Rina Macrelli.
Darsteller:
Mark Frechette (Mark), Daria Halprin (Daria), Paul Fix (Cafe-Besitzer), G. D.
Spradlin (Lee Allens Partner), Bill Garaway (Morty), Kathleen Cleaver (Kathleen),
Rod Taylor (Lee Allen), The Open Theatre of Joe Chaikin. - Produktion: MGM.
- Produzent: Carlo Ponti. - Produktionsüberwachung: Harrison Starr. – Produktionsleitung:
Don Guest. - Gedreht vom 9. September
bis Dezember 1969 in Los Angeles, Kalifornien (Death Valley, Mojave Desert)
und Arizona. -Format: 35 mm (Panavision), Farbe (Metrocolor). – Original-Länge:
111 min. – Deutsche Länge: 105 min. - Uraufführung: 9.2. 1970,
New York. – Deutsche Länge: 3.9. 1970. - Verleih: Filmverleih Die Lupe
(35 mm).
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