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You
Can Count On Me
Vom
Fortgehen und Dableiben
Ein
Film, der »You Can Count on Me« heißt, muß nicht unbedingt
vom Gegenteil handeln, aber daß das mit dem sich-aufeinander-verlassen-Können
keine so einfache Sache ist, das weiß man von den ersten Bildern an. Und
nicht einmal auf diese Bilder des schönen kleinen Films, die auf den ersten
Blick so auf Verläßlichkeit ausgerichtet scheinen, kann man ohne
weiteres zählen. Man muß erst ein bißchen selber dazu tun.
Dann sieht man einen Film, der einem ohne Illusionen, ohne heroische Posen,
ein Stück der Freiheit zurückgibt, die man im Kino so widerstandslos
verschenkt.
Dabei
erzählt »You Can Count on Me« eigentlich ein Nichts von einer
Geschichte, und obendrein ist er nach einem Theaterstück entstanden. Das
heißt, es wird ziemlich viel geredet in diesem Film. Aber ein Film, in
dem ziemlich viel geredet wird, ist keineswegs von vorneherein ein schlechter
oder ein langweiliger Film. Ein Film, in dem ziemlich viel geredet wird, verlangt
nur ein bißchen mehr von Regie und Schauspielern, und auch beim Zuschauen.
Immer vorausgesetzt, man kann dabei etwas vom Zusammenhang von Worten und Bildern
verstehen.
Kenneth
Lonergan kennt die meisten der Schauspieler von seiner Theaterarbeit, man sieht,
wie sie an ihren Rollen gearbeitet haben, wie frei und doch konzentriert die
Arbeit war. »You Can Count on Me« handelt vom Vertrauen unter den
Menschen, aber auch davon, wie wichtig Vertrauen beim Filmemachen ist. Man fühlt
sich ein wenig an die schauspielerischen Workshop-Filme von John Cassavetes
erinnert. Dreißig Jahre später muß man dabei vielleicht nicht
mehr so kämpfen. Nichtkämpfen ist übrigens nicht leichter als
kämpfen.
Es
ist, erst einmal, der Film von Laura Linney und Mark Ruffalo: Die Geschwister
Samantha, genannt Sammy und Terry Prescott sind in der Kleinstadt Scottsville,
in den Wäldern der Catskills aufgewachsen. Hier vorbeizufahren ist wunderschön,
hier leben zu müssen heißt in Engstirnigkeit und Bigotterie begraben
zu sein. Nachdem die Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sind,
rücken die Geschwister noch näher zusammen; Sammy wird eine zweite
Mutter für ihren jüngeren Bruder. Und auch als sich die Wege der beiden
trennen, bleiben Sammy und Terry einander verbunden. Sammy macht in Scottsville
eine kleine Karriere in der Bank. Sie hat sich von ihrem Ekel-Ehemann getrennt
und erzieht allein ihren Sohn Rudy. Das Musterbild einer selbstbewußten,
modernen Frau. Terry hat sich dagegen in der Welt herumgetrieben und dabei nichts
Rechtes auf die Beine gekriegt. Sein Temperament bringt ihn schon mal ins Gefängnis.
Sammy freut sich unbändig, als sie einen Brief von Terry bekommt, der sie
in Scottsville besuchen will. Daß er eigentlich nur gekommen ist, um sich
von ihr Geld zu leihen, um seiner Freundin in Massachusetts zu helfen, kränkt
sie ziemlich. Aber Terrys Freundin hat unterdessen versucht, sich das Leben
zu nehmen, das hat wohl auch etwas mit Vertrauen zu tun. So beschließt
er, einige Zeit bei Sammy und Rudy in seinem Elternhaus zu bleiben. Rudy und
Terry werden Freunde, allerdings nicht ganz auf die Art, wie Sammy sich das
vorgestellt hat. Die beiden gehen nächtlings Billardspielen, verwandeln
das Haus in eine Baustelle, und schließlich, nachdem ihn auch ein Besuch
des verständigen Ortspfarrers nicht recht überzeugen konnte, fährt
Terry mit Rudy auch zu seinem Vater, der seinen Sohn schlicht verleugnet. Terry
fängt gleich eine Prügelei an und landet wieder im Gefängnis.
Sammy hat unterdessen noch ihre eigenen Probleme; ihr Freund Bob macht ihr einen
Heiratsantrag, und gleichzeitig hat sie eine Affäre mit ihrem verheirateten
Boss in der Bank. Matthew Broderick als kleines, komisches und vielleicht nicht
vollständiges Arschloch. Aber eben doch: ein Arschloch. Es ist abzusehen,
daß Sammy das anstrengende Leben so nicht aushält. Denn es ist ja
merkwürdigerweise beides gleichzeitig bedroht: die provinzielle Ruhe ihres
verläßlich geführten Lebens, und ihre Selbstbestimmung. So trennt
sie sich erstmal von ihren beiden Männern, und dann wirft sie auch Terry
aus dem Haus. Das Goodby-Sagen fällt diesmal wirklich nicht mehr so leicht.
Ohne daß wir allzu sentimental werden müssen: Es ist nämlich
wirklich einiges passiert in dieser kurzen Zeit.
Und
was das war? Naja, vielleicht, daß man gemerkt hat, daß die Klischees
nicht stimmen, die vom »Herumtreiber« und die von der »Seßhaften«
nicht, die vom Fortgehen und vom Dableiben nicht und nicht einmal die vom pflichtbewußten
Erwachsenen und vom verantwortungslosen Kind. Übrigens hat man kaum je
ein Kind so zurückhaltend und auf den Punkt inszeniert gesehen wie Rory
Culkin, der beobachet, wartet, erwartet - nicht zu viel. In »You Can Count
on Me« kann man Menschen zusehen, die ihren Weg durchs Leben suchen, Da
gibt es keine Regeln. Alles, was es gibt, ist ein Vertrauen, das sich nicht
an die »Verläßlichkeit« allein bindet. In einer Szene,
die Lonergan gerade noch durch ein schon geniales Timing vor dem Theaterhaften
rettet, setzt sich Terry mit dem Pfarrer, den übrigens Kenneth Lonergan
selber spielt (und wenn man will, kann man eine Reihe von des Pfarrers Aussagen
über seinen Seelsorger-Job als maskierte Aussagen des Regisseurs über
seinen Inszenierungs-Job ansehen) – um die Frage auseinander, ob und für
wen sein Leben wichtig sei. Für einen Augenblick berühren wir da einen
Punkt, irgendwo in einem Sommer in den Catskills, an dem die ganze Welt genesen
oder zusammenbrechen könnte. Aber natürlich gibt es weder das eine
noch das andere. Es geht nur weiter.
»You
Can Count on Me« hat ein paar berückend schöne Bilder. Zum Beispiel
das von Rudy und Terry an einem wunderschönen See, an dem sie angeln und
an dem sie erkennen, daß sie sich in ihrem ganzen Leben noch nie so gelangweilt
haben. Hauptsächlich aber ist es ein Schauspielerfilm, ein Film über
Blicke und Berührungen und über die Suche nach den richtigen Worten.
In keinem Film der letzten Jahre habe ich Leute so ausdrucksstark stottern gehört,
so sehr unter Floskeln den wahren Ausdruck für ihre Gefühle suchen,
keineswegs immer erfolgreich, so sehr, eben, das Vertrauen in Worte (ich habe
natürlich keine Ahnung, ob so etwas synchronisierbar ist). Gerade weil
es auch ein Film über Sprache und ihre Grenzen ist, ist es ein Film der
manchmal unheimlichen Nähe der Bilder und Personen. Kenneth Lonergan freilich
macht weit vor dem Punkt halt, über den John Cassavetes seine Schauspieler
noch hinausgetrieben hat (was auch nur durch eine besondere Form des Vertrauens
funktioniert hat). Aber gerade in der Zurückhaltung, in der präzisen
Ausformulierung von Situationen, die immer noch zu klein sind, um zum »Drama«
(und schon gar zum »Melodrama«) zu werden, bekommt sein Film eine
innere Spannung, eine Anteilnahme, die man schon lange im Kino vermißt
hat. Hey, wir waren selber da, in Scottsville, und wir haben erfahren, daß
die einen dort leben können und die anderen nicht. Wir haben Sammy und
Terry und Rudy gesehen und sie mit einem Recht auf ihr eigenes Leben zurückgelassen.
Natürlich auch mit einer Spur Traurigkeit. Und wir haben einen Film gesehen,
der uns etwas über das Vertrauen erzählt hat. Filme, so sagt »You
Can Count on Me«, müssen weder Gegner noch Komplizen sein. Sie müssen
uns weder überwältigen noch von uns bewältigt werden. Sie können
wie Menschen sein, denen man begegnet und von denen man sich wieder trennt.
Nicht obwohl, sondern weil man ihnen trauen kann.
Note:
1
Georg
Seeßlen
YOU
CAN COUNT ON ME
von
Kenneth Lonergan, USA 2000, 116 Min.
mit
Laura Linney, Mark Rufallo, Matthew Broderick, Rory Culkin,Kenneth Lonergan,
Drama
Start:
12.04.2001
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