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Yojimbo
- Der Leibwächter
Über den aufrechten
Gang
Auf dem Berg sitzend,
dem Kampf der Tiger zuschauen
Das Schicksal fällt aus der
Luft in Form eines Stocks, der einem Samurai die zufällige Richtung weist,
in die er geht. Wohin er geht, ist ihm also gleichgültig. Der Samurai ist
einer jener, die keinen Herrn mehr haben, die kein Geld in der Tasche haben,
einer jener einsamen Wölfe, die durch die Lande ziehen, um irgendwo nach
einer Beschäftigung zu suchen, um ein paar Ryo zu verdienen, ein Samurai,
den man - weil ohne Herrn - Ronin nennt. Der Stock zeigt in die Richtung eines
Ortes, in dem ihm - als er dort ankommt - ein Hund entgegenkommt, der eine menschliche
Hand zwischen den Zähnen trägt. Der Ort wirkt fast wie ausgestorben.
Kuwabatake Sanjuro, wie sich der
Samurai nennt - nicht sein richtiger Name -, ist eine jener Figuren des japanischen
Regisseurs Kurosawa, die zu einer vergangenen Welt gehören, einer feudalen,
streng hierarchischen Lebenswelt, die dem Untergang geweiht ist. Während
andere Ronin sich in Räuberbanden als Plünderer zusammengeschlossen
haben (exemplarisch in Kurosawas "Die sieben Samurai") gehört
Sanjuro zu jenen aufrechten, ja ehrenhaften Männern, die überall,
wo sie hinkommen, sich der Gerechtigkeit verschrieben haben (ähnlich wie
in "Die sieben Samurai" die Ronin, die den Bauern dort helfen). Sie
sind keine Revolutionäre oder Rebellen, nein, es sind Männer, die
wenig sprechen, die geradezu in sich selbst ruhen und Dummheit, Feigheit, Hinterhältigkeit
und Machtstreben verachten. Sie stehen noch mit einem Fuß in der Vergangenheit,
mit dem anderen aber schon in der Neuzeit.
Sanjuro jedenfalls (gespielt von
dem bei Kurosawa oft beschäftigten Toshirô Mifune) erfährt in
besagtem Ort von einem Tavernenbesitzer namens Gonji (Eijirô Tono), dass
der Ort der Gewalt, dem wirtschaftlichen Untergang und dem Verfall geweiht sei,
weil zwei reiche Familien sich gegenseitig bekämpften und umbringen wollten.
Der Aufseher Hansuke (Ikio Sawamura) versucht Kapital daraus zu schlagen, Sanjuro
einer der beiden Familien als Leibwächter anzudienen.
Die Oberhäupter der beiden
Familien, Ushitora (Kyu Sazanka) und Seibei (Seizaburô Kawazu), haben
von der Polizei gesuchte Gauner und Mörder angeheuert, um sich gegenseitig
den Garaus zu machen. Nur wenige Einwohner, machtlos diesem Treiben gegenüber,
versuchen, sich aus dem Krieg der Familien herauszuhalten: neben Gonji der Sargmacher
(Atsushi Watanabe), der aus den vielen Toten allerdings Kapital für sein
Geschäft schlagen will, und der Seidenhändler Tazaemon (Kamatari Fujiwara),
der um sein Geschäft fürchtet.
Sanjuro beobachtet die Szenerie
und fasst einen Entschluss: Er will im Ort mit den Banden aufräumen, indem
er sie gegeneinander ausspielt. Zunächst provoziert er einige Banditen
Ushitoras und beweist dabei, dass er wie kein anderer mit dem Schwert umgehen
kann. Dann bietet er sich Seibei als Leibwächter an. Dessen Frau Orin (Isuzu
Yamada) allerdings - das bekommt der schlaue Sanjuro mit - plant, nach dem erfolgreichen
Einsatz von Sanjuro gegen Ushitora den Ronin zu töten, um das Geld zu sparen, das Seibei Ronin
bezahlen muss.
Als es gegen Mittag zur entscheidenden
Schlacht der beiden Familien kommen soll, eröffnet Sanjuro Seibei und seiner
Frau, er werde nicht für Leute kämpfen, die ihn hinterher ermorden
wollen. Und dann stehen sich die Banden auf der Dorfstraße gegenüber.
Keiner traut sich, wirklich in einen Kampf einzutreten. Sie drohen sich, machen
grimmige Gesichter - aber ihre Feigheit und ihr Angst vor dem Tod hält
beide Seiten zurück, in einen offenen Kampf zu gehen. Die Ankunft von Polizei
aus dem Nachbarort rettet beide Seiten vor einer Blamage.
Um die Polizisten wieder los zu
werden, beauftragt Ushitora zwei Ronin, im Nachbarort einen Polizisten zu ermorden,
damit die Polizisten sich um die Aufklärung dieses Mordes kümmern.
Und Sanjuro ist so schlau, diese Situation auszunutzen, indem er die beiden
Mörder Seibei ausliefert, woraufhin Ushitora einen der Söhne Seibeis
als Geisel nimmt. Die Lage spitzt sich immer weiter zu, die verfeindeten Familien
buhlen um Sanjuro als Leibwächter. Doch der ist geschickt genug, die Situation
eskalieren zu lassen. Auch der plötzlich im Ort auftauchende Bruder Ushitoras,
Unosuke (Tatsuya Nakadai), der als einziger einen Revolver besitzt und glaubt,
damit mehr Macht zu haben als jeder noch so gute Samurai, täuscht sich
gründlich darüber, was jetzt passieren wird ...
Kurosawa zeigt nicht nur die Lebenswelt
eines Ronin im Übergang vom Feudalismus zur Neuzeit; er zeigt
uns auch eine verkommene japanische Gesellschaft, voller Korruption, Verrat,
Intrige und Machtdünkel, von denen beide "Kriegsparteien" vollständig
beherrscht sind. Nur wenige Menschen dieser Gesellschaft entkommen diesem Machtspiel,
der Samurai Homma (Susumu Fujita) etwa, der für Seibei sein Leben nicht
riskieren will und heimlich den Ort verlässt. Oder die junge Frau Nui (Yôko
Tsukasa), der Sanjuro das Leben rettet, nachdem sie als Geisel genommen worden
ist. Und Gonji, der Sake ausschenkt, der verzweifelt und erbost ist angesichts
der Situation im Ort, der Sanjuro zunächst angreift, weil er dessen Plan,
die Banden gegeneinander zu hetzen, um sie letztlich alle zu töten oder
sich gegenseitig töten zu lassen, für töricht hält, der
aber dann erkennen muss, dass dies die einzige Möglichkeit zu sein scheint,
sich von der Geißel der Gewalt zu befreien.
Kurosawa zeigt die Hilflosigkeit
einer Welt, in der ein ehrenhafter, d.h. den althergebrachten Ehrbegriffen verhafteter,
Samurai nur eine Möglichkeit sieht, diesen Krieg zu beenden: durch den
Tod aller daran Beteiligter. Sanjuro besitzt ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden;
aber die Mittel, die er wählt, um Gerechtigkeit zu schaffen, gehören
der (seiner) vergangenen Welt an. Auf der anderen Seite stehen Intriganten und
Machtbesessene, Dummköpfe und Feiglinge, die mit aller Gewalt in eine Art
Machtvakuum hineinstoßen wollen, das in der japanischen Gesellschaft ganz
offensichtlich existiert.
Doch "Yojimbo" - und
das gilt für alle Kurosawa-Filme - beschränkt sich nicht auf eine
historische Darstellung anhand einer solchen Geschichte. "Yojimbo"
erzählt - wie "Ran", "Sanjuro", "Die sieben Samurai"
, "Das Schloss im Spinnwebwald" oder auch "Rashomon" - eben
auch von der Gegenwart - einer Gegenwart, in die derartige Strukturen, Verhaltensweisen
usw., wie der Film sie zeigt, tradiert wurden. Und Kurosawa deutet wie in den
genannten Filmen an, wo er die einzige Möglichkeit des Individuums sieht,
in der modernen Zivilisation zu existieren, zu bestehen: in der Macht über
sich selbst und dem Verzicht darauf, Macht über andere auszuüben.
Hier liegt zumindest eine Quintessenz des Werks des großen japanischen
Regisseurs, die im übrigen auch in jenen Filmen zum Ausdruck kommt, die in der japanischen
Gegenwart spielen (etwa "Bilanz eines Lebens" und "Engel der
Verlorenen"). Sanjuro steht - abseits aller historischen Bezüge -
für einen Menschen mit aufrechtem Gang, der auf alles Ideologische verzichtet,
der es abgelegt hat, soweit dies irgendwie möglich ist - einen Menschen
irgendwo zwischen Sisyphus und dessen Verzweiflung, immer wieder von vorn anfangen
zu müssen, und dessen Kraft, den Weg immer erneut zu gehen, und jenem modernen
Helden, der, den eigenen Tod stets vor Augen, sich eben doch dem Leben verschrieben
hat und seinem Gerechtigkeitssinn unabänderlich zu folgen bereit ist.
Dieses moderne Individuum, das
beständig im Jetzt lebt, nicht in der Vergangenheit und nicht in einer
unüberschaubaren Zukunft, hat in Kurosawas Werk fast schon eine Art kosmische
Energie. Sanjuro verlässt am Schluss des Films den Ort, wie er ihn betreten
hat: ohne Geld, ohne Anerkennung - es sei denn von Gonji und Nui -, ohne irgendeinen
Vorteil im neuzeitlichen Sinn - aber eben aufrecht und mit dem Gefühl,
die Dinge ein bisschen zum Besseren verändert zu haben. Dabei stilisiert
Kurosawa seine Helden nicht zu Übermenschen ohne Schwächen. Auch Sanjuro
ist keine edle Comicfigur ohne Fehl und Tadel. Er bleibt ganz Mensch. Und gerade
dies macht ihn zu einer Person, die uns nicht nur nahe ist, sondern die in uns
selbst - mehr oder weniger verborgen - wirkt.
Und nicht zuletzt versetzt Kurosawa
die Geschichte mit einer mehr oder weniger unterschwelligen Komik, etwa in einer
Szene, in der er Ushitoras dicken und dummen Bruder Inokichi (Daisuke Katô)
zusammen mit Gonji den Korb wegtragen lässt, in dem sich Sanjuro versteckt
hat, um sich dem Zugriff von Ushitoras Gaunern zu entziehen, die ihn schwer
verletzt haben. Wie Inokichi in dieser Szene durch den Wald saust, halb wackelnd,
halb rennend, ist schon mehr als einen Lacher wert.
DVD
Format:
PAL
Sprache:
Deutsch (Dolby Digital 2.0)
Bildseitenformat:
16:9
FSK:
Freigegeben ab 16 Jahren
Studio:
KSM
DVD-Erscheinungstermin:
17. Oktober 2005
Eine
weitere von KSM und Pegaus Home Entertainment editierte DVD zeigt den Film in
einer überarbeiteten Fassung, bei der das japanische Master von Toho
verwendet wurde. Der Schwarz-Weiß-Film präsentiert sich in sehr gutem
Bild und Ton und ist in deutscher und japanischer Sprache zu genießen
- wahlweise mit deutschen Untertiteln. Außer einer Slideshow mit Bildern
aus dem Film enthält die DVD kein Zusatzmaterial.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Yojimbo
- der Leibwächter
(Yojimbo)
Japan
1961, 110 Minuten
Regie:
Akira Kurosawa
Drehbuch:
Ryuzo Kikushima, Akira Kurosawa
Musik:
Masaru Satô
Kamera:
Kazuo Miyagawa
Schnitt:
Akira Kurosawa
Ausstattung:
Yishirô Muraki
Darsteller:
Toshirô Mifune (Sanjuro), Eijirô Tono (Gonji, Tavernenbesitzer),
Tatsuya Nakadai (Unosuke, Bruder Ushitoras), Kyu Sazanka (Ushitora), Yôko
Tsukasa (Nui), Isuzu Yamada (Orin, Frau Seibeis), Daisuke Katô (Inokichi,
Bruder Ushitoras), Seizaburô Kawazu (Seibei), Takashi Shimura (Tokuemon,
Sake-Brauer), Hiroshi Tachikawa (Yoichiro, Sohn Seibeis), Kamatari Fujiwara
(Tazaemon, Seidenhändler), Ikio Sawamura (Hansuke, Aufseher), Atsushi Watanabe
(Sargmacher), Susumu Fujita (Homma), Kô Nishimura (Kuma, Polizistenmörder),
Takeshi Katô (Kobuhachi, Polizistenmörder), Namigoro Rashomon (Kannuki),
Yoshio Tsuchiya (Kohei)
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