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Yara
Gleich
sein erster Spielfilm 1992 hat dem Regisseur Yilmaz Arslan reichlich - auch
internationale - Anerkennung eingebracht. Mit LANGER GANG, einem Film, der das
Zusammenleben einer Gruppe behinderter Jugendlicher beschreibt, hatte der 1968
in Kazanli in der Türkei geborene Regisseur gleich zwei Tabus gebrochen:
daß Filme über Behinderte bestimmte Dinge, zum Beispiel Sexualität,
auszusparen haben. Und daß Türken sich im Kino gefälligst erstmal
um andere Türken kümmern sollen.
Jetzt
hat Yilmaz Arslan seinen zweiten Film gedreht, und er scheint in der Zwischenzeit
diesen Mut verloren zu haben. YARA ist die Geschichte einer Deutschtürkin,
die wegen einer
psychischen
Erkrankung von ihren Verwandten zu Onkel und Tante in die Türkei verfrachtet
wurde. Hülya leidet dort, sie sehnt sich zurück nach Deutschland,
irgendwann flieht sie einfach übers weite Feld.
Nicht
gerade eine originelle Grundidee, wenn auch sicher nah dran an der Realität.
Das Schicksal türkischer - meist junger - Frauen, Zwangsheirat, familiäre
Abhängigkeiten, autoritäre Ehemänner, waren von Helma Sanders-Brahms
SHIRINS HOCHZEIT (1975) über Tevfik Basers 40 QM DEUTSCHLAND (1985) bis
jetzt oft und gerne Anlaß, gerade für „nicht Betroffene", deutsche
Frauen oder türkische Männer, patriarchalische Verhältnisse in
der Türkei oder unter Auslandstürken anzuprangern.
Arslan
inszeniert Hülyas Flucht aus der familiären Abhängigkeit als
einerseits hysterische, anderseits fast folkloristische Besichtigungsreise durch
die ländliche Türkei. LKW-Fahrer, eine Weibergesellschaft auf einem
Traktor-Anhänger, ärmliche Hütten mit Kaminfeuer und Schafherden
in einer Abendröte, die wie eine Feuersbrunst aussieht.
Immer
auch inszeniert der Film dabei den Gegensatz zwischen klaustrophobisch dunklen
Innenräumen und der Weite der Landschaft. Irgendwann singt Hülya einer
Handvoll Jungs, die sich schon im zarten Alter mit harter Arbeit durchschlagen
müssen und ebenso hart gestimmt sind, „Der Mond ist aufgegangen" in
ganzer Länge vor. Erst lachen die, dann sind sie ganz still.
Die
Jungs sind ein Lichtblick. Ein anderer: ein reisender Puppenspieler, der die
verstörte Frau mit seiner einzigen Marionette zu ein bißchen Zutrauen
verführen kann. Ein wiederkehrendes Motiv: die unbotmäßige Bitte
der Frau um eine Zigarette. Der Puppenspieler gibt ihr eine. Später dann,
nach einem Selbstmordversuch und der Einlieferung in die psychiatrische Anstalt,
wird der Kampf um den Tabak unter allen Beteiligten zu einem Dauergag. Die Psychiatrie,
mit schweren Gittern, lesbischer Aufseherin und hospitalismusgeschädigten
Insassinnen, die im Dauerrhythmus Türen hin und herquietschen lassen, ist
in ihrer Stereotypie eher ein Tiefpunkt dieses Films. Ähnlich die Traumszenen,
die eine Frau im langen Kleid in und um einen Käfig zeigen, umgeben von
Gestalten, die wie bei Angelopoulos in einem hell flimmernden Niemandsland herumstehen.
Eine
zu offensichtliche Metaphorik. Irgendwann kommt Hülya doch noch nach Deutschland.
Das Paradies ist das dann nicht, wir ahnten es schon. Der Puppenspieler wird
auch noch schnell entzaubert. Und dann ist der Film vorbei.
Ein
merkwürdig unbefriedigendes Gefühl bleibt zurück. Vielleicht,
weil dieser Film sich nicht so recht entscheiden kann zwischen Märchen
und Sozialrealismus, Kino und Fernsehen. Erklärungen, Hintergründe
gar, werden kaum gegeben. Andererseits reicht die Überzeugungskraft von
Darstellern und Bildern nicht aus, um unbefragt für sich zu stehen. Den
größten Sog entwickelt da die Musik, sparsam eingesetzt, orientalisch,
jazzig, am Schluß fast klassisch.
Wie
eine andere türkische Co-Produktion, die auch derzeit in den Kinos läuft,
REISE ZUR SONNE von der jungen Regisseurin Yesim Ustaoglu, ist auch YARA als
Roadmovie angelegt, nur in umgekehrter Richtung. Nicht ins verwüstete Kurdistan
geht es hier, sondern eben nach Westen in Hülyas persönliches Paradies,
Almanya. YARA erreicht trotz der Kamera von Jürgen Jürgens nie die
visuelle Kraft von Ustaoglus REISE. Beide Filme sind auch von und für das
Fernsehen gemacht: Diesem sieht man es an.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
YARA
Türkei/BRD/Schweiz
1998. R,
B. P: Yilmaz Arslan. K:
Jürgen Jürges. Sch:
Andre Bendocchi Alves. M: Rabih Abou-Khalil. Pg: Yilmaz Arslan Filmproduktion.
V:
Pegasos. FSK: 12, ffr. L: 98 Min. St: 24.6.1999. D: Yelda Reynaud (Hülya),
Nur Sürer (Ayse), Halil Ergün (Onkel), Füsun Demirel (Tante),
Necmettin Cobanoglu (Vater), Ozay Fecht (Mutter).
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