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Von einem der auszog: Wim Wenders frühe Jahre
Öffnung
der Archive
Filmporträts von Filmemachern
sind aus gutem Grund recht selten in den Kinos zu sehen: Menschen mit Kamera,
die anderen Menschen mit Kamera folgen, sind selbst den dokumentarfreudigsten
Zuschauern meist eine Abstraktionsstufe zuviel. Und wo ist die mediale Adaptionsleistung,
wo kann da Mehrwert gewonnen werden gegenüber der einfachen Wiederaufführung
der originären audiovisuellen Dokumente, um die es doch eigentlich geht?
Dieser Problematik ist auch die vorherrschende Kameraeinstellung in Marcel Wehns
Wim-Wenders-Porträt geschuldet: Man schaut Wenders über die Schulter,
weil beim Filmemacher anders als bei jeder anderen Persönlichkeit nicht
zählt: Was spielt sich im Gesicht ab, oder: Was macht er mit den Händen,
sondern vor allem: Was sieht er?
Diese stilistisch problematische
Zweitverwertung der Blicke versucht Wehn vor allem damit in Grenzen zu halten,
daß er die Szenen, in denen er Wenders begleitet, grundsätzlich auf
ein Minimum reduziert. Dies geschieht entweder, wenig abwechslungsreich, durch
die berüchtigte »talking heads«-Interviewsituation; oder, deutlich
überzeugender, durch die von Wenders kommentierte Darstellung des eigentlichen
Gegenstands, nämlich der frühen Filme. Wenders, bescheiden, mit weicher,
ruhiger Stimme (»soft-spoken«, wie man im Englischen sagt), ist
ohnehin kein besonders kameraaffiner Mensch, er schaut meist schüchtern
an der Linse vorbei oder unter ihr hindurch, ab und zu löst sich ein schüchternes
Kichern. Wenders wurde von seinen Mitstreitern Przygodda und Vogler (völlig
zu Recht) als beeindruckend charismatische Erscheinung beschrieben, wenn man
ihm in Person gegenübersteht, umso überraschter ist man von dem unscheinbaren
Mann, der vor Wehns Kamera sitzt.
Leider braucht der Regisseur viel
Zeit, bis er im Dickicht der wendersschen Biographie auf das eigentliche Mark
stößt. Allzu lange Minuten werden den ersten Liebschaften gewidmet,
die von einem existenzialistischen Pubertierenden erzählen oder unangemessen
intime Einblicke in das Privat- und Liebesleben des Künstlers geben. Inwieweit
solche Einblicke Rückschlüsse auf das filmische Werk zulassen, wird
nie so ganz klar. Hier hat Wehn leider sein eigenes filmisches Vorwort schon
wieder vergessen, in welchem er Wenders darüber referieren läßt,
daß die Frage nach dem Sinn einer Existenz nicht zu privat beantwortet
werden darf, wenn sich noch andere Leute dafür interessieren sollen.
Erst nach einem Drittel der Laufzeit
versteht man, warum sich diese filmische Biographie doch noch lohnen könnte.
Die Einspielung der frühen Aufnahmen wirken wie das Öffnen einer Schatzkiste:
Erstaunliche Super 8-Aufnahmen in grobem Schwarzweißkontrast flimmern
da vorüber, voller schwerer Schatten und romantischer Widersprüche
– ein Testament für das glückliche Auge, das bereits dem Gymnasiasten
Wenders gegeben war. Dann die ersten künstlerischen Aufnahmen, eine durchaus
typische stilistische Mischung aus Nouvelle Vague und deutschem Expressionismus.
Sogar die Aufnahmen der Studienzeit in Paris, auf den ersten Blick ein Urlaubsfilmchen,
erinnern bereits an das brillante Verständnis für städtische
Landschaften, das Wenders in seinen späteren Filmen an den Tag legen sollte.
Und zwischen diesen bisher unbekannten
Aufnahmen kommen endlich auch die engen Mitarbeiter zu Wort, deren Eindrücke
von Wenders nicht durch Intimitäten getrübt ist. Peter Handke, den Wenders
bereits als Schüler kennenlernte, schlägt die Brücke vom künstlerisch
interessierten Jugendlichen zum späteren Meisterregisseur am anschaulichsten:
»Es ging eine warmherzige Einsamkeit von ihm aus.« Auch sein ehemaliger
Filmhochschullehrer Helmut Färber formuliert einen wunderschön vielsagenden
Satz: »Von dieser filmischen Langsamkeit ging damals eine Faszination
aus, die so stark war, daß es eine ganze Zeit gedauert hat, bis sich die
Mitstudenten davon erholt hatten.« In seiner Stimme spricht die Ehrfurcht
vor einem Phänomen, das zu gleichen Teilen als Religion und Epidemie gesehen
werden kann.
Wehn schafft seinen letztendlichen
Mehrwert also doch, weniger durch Kommentierung oder Neuinterpretation, sondern
vor allem durch das Öffnen der wendersschen Archive, sozusagen durch das erstmalige
Bereitstellung jener audiovisuellen Dokumente in ausgesuchten Teilen. Die Weite,
die Ruhe, die Innerlichkeit – bei der Interpretation der frühen Filme ist
die Dokumentation dann endlich ganz bei ihrem Thema angekommen und erzählt
tatsächlich viel über die Anfänge des Filmemachers Wenders. Leider
wird auch dieser Mehrwert nur die eingefleischten Kenner wirklich berühren.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Von einem der auszog: Wim Wenders frühe Jahre
Deutschland 2007 - Regie: Marcel Wehn - Darsteller: (Mitwirkende)
Wim Wenders, Donata Wenders, Bruno Ganz, Peter Handke, Heinz Badewitz, Ulrike
Sachweh, Peter Przygodda, Edda Köchl-König - FSK: ohne Altersbeschränkung
- Länge: 96 min. - Start: 24.1.2008
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