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Verfolgt (1947)
Denn
sie wissen nicht, was sie tun
Wollte man versuchen, Raoul Walshs
"Pursued" in ein Genre einzuordnen, so fiele einem zuerst "Western"
ein. Und doch ist der Film nur dem äußeren Schein nach ein Western.
Auch "Familiendrama" kennzeichnet die Geschichte nur zum Teil. Genauso
treffend wäre es, "Pursued" als film noir zu beschreiben. All
diese Einordnungsversuche aber verdeutlichen letztlich nur, dass Walsh hier
abseits der üblichen
Genre eine Geschichte von Verrat, Liebe, Hass,
Trauma und Wiedergutmachung erzählt, die den Film in seiner ganzen Inszenierung
zu einem Ausnahmefilm jener Jahre nach dem Krieg werden ließ. Und so antiquiert
manchem vielleicht die Geschichte in ihrem Grundgerüst angesichts heutiger
Geschmacksrichtungen und Moden erscheinen mag, so faszinierend erscheint sie
mir im Vergleich zu manchem Drama, das uns heute dargeboten wird.
Ein Alptraum, der sich zum Trauma
auswächst - seit seinem vierten Lebensjahr verfolgt es Jeb Rand (Robert
Mitchum). Immer wieder sieht er in seinen Träumen silbern glänzende
Sporen. Immer wieder lauert irgendeine tödliche Gefahr, von der er nicht
weiß, was sie zu bedeuten hat. Immer wieder auch beschleicht ihn das Gefühl,
verfolgt zu werden.
Medora Callum (Judith Anderson)
nahm Jeb im Alter von vier Jahren zu sich auf. Seine Eltern waren tot, seine
Schwester auch. Und Jeb wächst heran neben seinen ungefähr gleichaltrigen
Stiefgeschwistern Thorley und Adam Callum (Teresa Wright, John Rodney). Medora
behandelt Jeb wie ihre eigenen Kinder, die auf der kleinen Ranch eine (fast)
unbeschwerte Jugend verbringen. Ein Vorfall allerdings deutet an, was Jeb und
die Familie Callum künftig schwer belasten wird: Ein Unbekannter schießt
auf ihn und trifft sein Pony tödlich. Und obwohl Jeb Adam verdächtigt,
der ihm verboten hatte, mit dem Pony auszureiten, weiß Medora genau, dass
jemand anders hinter dem Vorfall steckt.
Als Jeb erwachsen ist, sucht die
Armee Freiwillige für den Krieg mit den Spaniern. Auf jeder Ranch solle
sich jemand melden. Und es ist Jeb, der nach einem Münzwurf mit Adam den
Kürzeren zieht. Nach Monaten kehrt er wieder zurück - gefeiert als
Kriegsheld, der sich tapfer geschlagen hat. Thorley freut sich besonders, dass
Jeb mit einer nur leichten Verletzung heimgekehrt ist. Denn sie liebt Jeb und
er liebt sie. Nur einer freut sich nicht: Adam. Schon von klein auf war ihm
Jeb ein Dorn im Auge. Und nun versucht er alles, um Jeb zum Weggehen zu drängen.
Und noch jemand ist hinter Jeb
her: Grant Callum (Dean Jagger), der Schwager Medoras, die ihn vor Jahren daran
hindern konnte, Jeb etwas anzutun. Doch Grant hatte geschworen wiederzukommen,
wenn Jeb erwachsen sei. Grant, inzwischen Staatsanwalt, hat nichts weiter im
Kopf als - Rache, Rache an der Familie Rand. Und Jeb ist der einzige der Rands,
der noch lebt. Jetzt spricht Grant Adam an und erzählt ihm, es gebe einige
Dokumente über die Rands, die er sich vielleicht einmal anschauen solle.
Wenig später ist Adam tot
- erschossen von Jeb. Als der auf dem Weg zurück zur Ranch aus dem Hinterhalt
beschossen wird, schießt er zurück. Und erst als er die Leiche umdreht,
sieht er, dass Adam auf ihn geschossen hatte. In einem Prozess, in dem Grant
die Höchststrafe für Jeb fordert, wird Jeb freigesprochen. Denn Richter
und Geschworene glauben ihm, dass er aus Notwehr gehandelt hat. Doch Medora
und Thorley verstoßen Jeb - hasserfüllt.
Jeb verlässt die Ranch und
kauft sich bei dem Saloonbesitzer Jake Dingle (Alan Hale) ein, wird zu seinem
Partner. Nachdem er Monate später auf einer Tanzveranstaltung Thorley wieder
trifft, die er immer noch liebt, und sie zum Tanz zwingt, stachelt Grant den
jungen Prentice (Harry Carey Jr.), der sich Hoffnungen auf Thorley macht, auf,
sich an Jeb zu rächen. Wenig später ist auch Prentice tot ...
Robert Mitchum spielt einen Mann,
der seit seiner Jugend von Alpträumen und Verfolgungsängsten geplagt
wird, dessen Familiengeschichte ihm von allen, die davon etwas wissen, vorenthalten
wird - einen Mann, der von sich selbst glaubt, etwas Böses, Dunkles stecke
in ihm, der glaubt, er könne nicht wirklich lieben, obwohl er sich zu Thorley
schon immer hingezogen fühlte. Mitchum verkörpert den deprimierten,
ahnungslosen und heimatlosen Anti-Helden, der - obwohl von Medora liebevoll
aufgenommen und von Thorley geliebt - permanent das Gefühl hat, schlecht
und vom Schicksal verfolgt zu sein. Er ertrinkt deshalb nicht in Selbstmitleid,
nein. Jeb ist eine Art Stehaufmännchen, der immer wieder überlegt,
was der Grund für sein Schicksal sein könnte - und erst ganz am Schluss
eine Antwort erhält.
Walsh inszenierte diese Geschichte
in einer selten klaren, ja nüchternen Art, die auf fast jegliche Sentimentalität
verzichtet und erst recht ohne Rührseligkeit auskommt. Das Schicksalhafte
führt Walsh auf harte Fakten zurück und löst es damit auf. Für
ihn ist entscheidend, was in den Beziehungen der Akteure geschieht. Die Kain-und-Abel-Assoziation
zwischen Jeb und Adam ist ebenso einer "praktischen" Gefühlswelt
geschuldet wie die Liebe zwischen Jeb und Thorley. Beide Beziehungen und auch
die zwischen Jeb und Medora werden beherrscht nicht von den "großen
Gefühlen" jenes Kinos, das man eben deshalb Gefühlskino nennt,
sondern von Gefühlen, die auf klar umrissene Interessen und Wünsche,
Bedürfnisse usw. zurückgeführt werden können.
"Pursued" ist vor allem
eben ein in das Genre des Western gekleideter film noir, der eher einem Tennesse-Williams-Stück
gleicht als einem "wirklichen" Western. Die Colts, aus denen geschossen
wird, versinnbildlichen "nur" das verkehrte Verhalten der Akteure
respektive das durch Intrige oder Verschleierung der Vergangenheit bedingte
Aufeinanderprallen der Protagonisten. Das Verkehrte in den Handlungen fast aller
Beteiligten steigert sich zu immer tragischeren Verwicklungen, bis ein sozusagen
befreiender Akt Jebs am Schluss des Films die Knoten auf einen Schlag löst
und einem "kleinen Happyend" endlich die Tore geöffnet werden.
Wir treffen auf Adam, einen Mann,
der schon als Junge in Jeb nur einen Konkurrenten sah - bedingt auch durch die
Unaufmerksamkeit seiner Mutter, die, weil sie etwas zu verschleiern hat, vor
allem ein Auge auf Jeb wirft. Wir treffen auf Thorley, die - geblendet durch
ihre Liebe zu Jeb - im tragischen Moment nicht erkennt, wes Geistes Kind ihr
Bruder Adam war. Wir treffen auf Medora, die um alles in der Welt verhindern
will, dass die Vergangenheit Jebs und seiner Familie und das damit verbundene
Tragische ans Tageslicht kommt, weil sie selbst im Mittelpunkt dieser Tragik
stand und steht. Wir treffen auf Jeb, der wie ein verzweifelnd Suchender mehr
durch die Welt irrt, als dass er einen Weg für sich finden könnte.
Und wir treffen auf Grant Callum, der wahrscheinlich nur Staatsanwalt geworden
ist, um seinen abgrundtiefen Hass gegen die Rands, von denen nur einer übrig
geblieben ist, besser unter dem vermeintlichen Schutz des Gesetzes ausleben
zu können - einen Hass, der seinen Selbsthass nur verbergen soll.
Die nüchterne, düstere
und bis fast zum Schluss tragische Atmosphäre des Films bewirken auch die
Bilder James Wong Howes, der den Westen des Westerns als größtenteils
kalten Raum erscheinen lässt. Das Fünkchen Hoffnung, das man anfangs
noch hegt in Bezug auf einen positiven Ausgang des Films, verschwindet mit zunehmender
Handlung. Und erst zum Schluss, als Jeb bereit ist, sein Leben zu lassen und
dem Schicksal seinen Weg zu lassen, bleibt ein Happyend, das jedoch angesichts
des bis dahin Geschehenen kaum befriedigend sein kann. Vieles an dieser Inszenierung
erinnert mich an Charles Laughtons "Die Nacht des Jägers" (1955), in dem ebenfalls Robert Mitchum eine zentrale Rolle
spielt (obwohl so ganz anders als in "Pursued").
DVD
"Verfolgt"
ist als Nr. 71 in der Reihe der SZ-Cinemathek erschienen und bietet den Schwarzweißfilm
in ausgezeichneter Ton- und Bildqualität in englischer oder deutscher Sprache
und mit wählbaren deutschen Untertiteln. Ein weiterer herausragender Film
in der SZ-Reihe für magere € 9,99.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist
zuerst erschienen in:
Verfolgt
(Alternativtitel: Späte Rache)
(Pursued)
USA 1947, 101 Minuten (DVD: 96 Minuten)
Regie: Raoul Walsh
Drehbuch: Niven Busch
Musik: Max Steiner
Kamera:
James Wong Howe
Schnitt:
Christian Nyby
Darsteller:
Teresa Wright (Thorley Callum), Robert Mitchum (Jeb Rand), Judith Anderson (Medora
Callum), Dean Jagger (Grant Callum), Alan Hale (Jake Dingle), John Rodney (Adam
Callum), Harry Carey Jr. (Prentice McComber), Ernest Severn (Jeb, 11 Jahre),
Charles Bates (Adam, 11 Jahre), Peggy Miller (Thorley, 10 Jahre)
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