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Unter
Null
Ein
Buchtipp
Es
gestaltet sich offenbar schwierig, Bret-Easton-Ellis-Romane adäquat zu
verfilmen. Scheinen die beiden Filme „American
Psycho“(2000;
Regie: Mary Harron,) und „Die
Regeln des Spiels“
(2002; Regie: Roger Avary) noch wenigstens teilweise ihren literarischen Vorlagen
gerecht geworden zu sein (Schelte haben auch sie bekommen), kann man der Filmfassung
des Ellis-Erstlings „Less Than Zero“ allerdings nur eines konstatieren: „Unter
Null“ ist das Paradebeispiel eines zu Tode verfilmten Romans.
Wenn
Ellis die verzweifelt hedonistische Welt von Kindern reicher Eltern in Los Angeles,
einen Lebensstil, unter dessen luxuriöser und ekstatischer Oberfläche
die schiere Sinnlosigkeit verborgen ist, beschreibt, so macht er diesen Zustand
nachhaltig sichtbar und spürbar, indem er niemanden, auch nicht den sein
Unbehagen reflektierenden Ich-Erzähler, aus der kollektiven regressiven
Gleichgültigkeit herausnimmt. Im Buch ist der Punkt möglicher Erkenntnis,
Umkehr und Veränderung längst überschritten, die emotionale,
soziale, ethische Temperatur lange schon (eben) „unter Null“ gesunken, der höchste
Wert die Stimulation der Sinne, durch Drogen, Sex und immer mehr durch sadistische
Gewalt, repräsentiert durch Snuff-Film und dessen teilweise Nachahmung.
„Emotionale Vergletscherung“ ist der Begriff, den Michael Haneke für seine
Filmtrilogie: „Der
siebente Kontinent“,
„Bennys
Video“
und „Funny
Games“
wählte. Nicht zufällig kommt er Ellis’ Buchtitel so nahe. Denn alle
diese Werke handeln von Menschen, die ihren Gefühlen so wenig mehr trauen
wie anderen Menschen, ja, wie irgendeinem menschlichen Projekt überhaupt.
Als
der „Unter-Null“-Protagonist Clay im Roman von seiner Ex-Freundin Blair gefragt
wird, ob er sie jemals gemocht habe, antwortet er: „Ich will überhaupt
nichts mögen. Wenn ich irgendwas mag, dann wird’s dadurch nur noch schlimmer,
dann muss ich mir darum auch noch Sorgen machen. Und das kann weh tun, Und deshalb
lass ich’s lieber gleich sein.“
Der
junge Clay im Buch versucht seine innere Leere wie alle anderen mit Kokain,
Alkohol, Tranquilizern, Psychopharmaka, Partys und homo- oder heterosexuellen
Ausschweifungen zu bekämpfen. Nur ein vager Rest-Instinkt lässt ihn
manchmal an Flucht denken (Aber auch das Ziel dieser Flucht, die Universität
an der Eastcoast, ist eine potenzielle, andere, Hölle. In den „Rules of
Attraction“ hat Ellis auch darüber geschrieben).
Der
Clay des Films von Regisseur Marek Kanievska nun ist im Prinzip alles, was der
Roman-Clay nicht ist: Er liebt
seine Ex-Freundin Blair sogar, wie er es mehrfach verbalisiert, er versucht
sie und seinen Freund Julian aus den Fängen der bösen Drogen, die
für ihn Ursache des Desasters seiner Generation sind, zu befreien. Einzig
die Figur des Clay bleibt im Film ein Bild von einem Saubermann: Keine Drogen,
kein promiskuitiver Sex, und wenn mal einer während des Entzugs ein wenig
aus der Rolle (und Erbrochenes aus seinem Mund) fällt, setzt Clay eine
angewiderte Miene auf, und sieht dabei aus wie eine spießige Frau im Klimakterium.
Andrew McCarthy, bekannt aus typischen 80-er Jahren-Teenagerfilmen wie „Pretty
In Pink“
(wo er auch einen Upper-Class-Schnösel mit gutem Herzen verkörpert)
macht bravourös die letzten kleinen Gestaltungsmöglichkeiten zunichte,
die das völlig verfehlte Drehbuch seiner Figur noch gelassen hat. In des
Filmes besten Momenten, nämlich wenn Moralwachtel McCarthy mit seinem wunderbar
arrogant agierenden Kollegen James Spader zusammentrifft, wirkt er wie ein weggelassener
Auftritt im herzerweichenden „Pretty in Pink“, wo die beiden fast die gleichen
Widerparts mimen. Auch wenn sich Robert Downey Jr. (in diesem Film sogar einmal
zusammen mit Robert Downey Senior) redlich um seine verkokste Filmfigur bemüht,
und gelegentlich dabei fast gut spielt, so macht das die Maske damit kaputt,
dass sie ihm zu tiefe Augenringe verpasst, zu viele Schweissperlen auf die Stirn
träufelt und ein widerlich eitriges chronisches Herpesbläschen in
seinem Mundwinkel platziert – Drogen machen wirklich eklig krank - Overacting
und Klischees, wo man auch hinsieht. Der Film „Unter Null“ ist in seinen schlechtesten
Momenten (und die machen ca. 99 Prozent aus) angestrengt verlogen und etwa so
witzlos gegenüber dem ursprünglichen Sujet, wie es eine moralische
Entrüstung gegenüber einem Erdbeben wäre.
Denn
die allgemeine Katastrophe, die das Buch manchmal demonstrativ, meistens aber
nüchtern und lakonisch registriert, besteht darin, dass ihr mit gutem Willen
und einem ärztlich überwachten Drogenentzug eben nicht zu entkommen
ist. Sie ist eine menschliche Katastrophe, der Zusammenbruch eines kulturellen
und sozialen Gefüges, eine Krankheit der Substanz.
Der
Film jedoch reduziert das unüberschaubar große und doch so verwechselbare
und ausnahmslos haltlose Personal des Romans auf drei Kernfiguren, erfindet
ein Gut und Böse, wo es nur Verlorenheit gibt und überspringt oder
verklebt die schwärzesten Abgründe der schwarzen Vorlage, indem er
z.B. da eine nette Familien-Weihnachtsfeier organisiert, wo sie im Buch nie
stattfindet, indem er einem, im Buch abwesenden, Vater sogar die Empathiefähigkeit
schenkt, sich mit seinem Sohn zu versöhnen (mit dem er im Buch sich noch
nicht einmal verkracht hätte, weil Verkrachen ja auch schon Emotionalität
erfordern würde), also indem er so tut, als gebe es ein Draußen,
wo es nur ein Drinnen gibt, als gebe es Gefühle, da, wo nur Leere ist:
Überall eben in diesem Beverly Hills. Das verändert die Handlung der
Vorlage bis zur Unkenntlichkeit, macht daraus einen jener pädagogisch wertlosen
Drogenaufklärungsfilme Marke Hollywood.
Hollywood
und L.A.: gleichzeitig der Schauplatz von „Unter Null“. Der Roman outet die
hollywooder Film-Upper-Class: Filmproduzenten, Regisseure als dekadente (und
wegen ihrer Gleichgültigkeit als Eltern versagende) Spezies. Wie aber kann
oder will gerade diese Spezies daraus einen Achtziger-Jahre-Hollywoodfilm machen?
Gar nicht. Eben. Also dreht sie das Ding, so wie sie will und wie sie es ertragen
kann, ohne einen genauen Blick auf sich selbst werfen zu müssen. Deshalb
hat der Film „Unter Null“ nichts mit dem Roman „Unter Null“ zu tun. Aber letzteren
sollte man sich schon mal antun.
Andreas
Thomas,
Januar 2004
Unter
Null
LESS
THAN ZERO
USA
- 1988 - 95 min.
Literaturverfilmung, Drama
FSK:
ab 16; feiertagsfrei
Verleih:
20th Century Fox
20th
Century Fox (16 mm)
CBS/Fox
(Video)
Erstaufführung:
28.4.1988/Februar 1989 Video
Fd-Nummer:
26668
Produktionsfirma:
Avnet/Kerner (f20th Century Fox)
Produktion:
Jon Avnet
Jordan
Kerner
Regie:
Marek Kanievska
Buch:
Harley Peyton
Vorlage:
nach einem Roman von Bret Easton Ellis
Kamera:
Edward Lachman
Musik:
Thomas Newman
Schnitt:
Peter E. Berger
Michael
Tronick
Darsteller:
Andrew
McCarthy (Clay)
Jami
Gertz (Blair)
Robert
Downey jr. (Julian)
James
Spader (Rip)
Tony
Bill (Bradford Easton)
Nicholas
Pryor (Benjamin Wells)
Donna
Mitchell (Elaine Easton)
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