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Der
Untergang
Zwei
Artikel von Georg Seeßlen
1.)
Mit
einem Drehbuch des Produzenten Bernd Eichinger, zwei prominenten, viel beachteten
Vorlagen, einem Budget von 14 Millionen Euro und erheblichem Mediengeräusch
ist Hitler jetzt im Kino gelandet. Was leistet Der
Untergang,
ein Film, der für sich einen „authentischen“, historisch zertifizierten
Blick auf die letzten Tage des Nazi-Regimes reklamiert, wirklich?
Der
Untergang, wer wüsste das inzwischen nicht, schildert die letzten Tage
von Hitler und seinen Getreuen im bombardierten Berlin, den körperlichen
und geistigen Verfall des „Führers“, den Verlust der Wahrnehmung der militärischen
Wirklichkeit, die Fortdauer von Gewalt und Rachsucht, die Vorbereitungen auf
den Selbstmord, die Formulierung grausiger politischer Testamente, die Hochzeit
von Eva Braun und Adolf Hitler, die Ermordung der Kinder von Joseph und Magda
Goebbels. Und draußen wird geschossen, gestorben, gehungert und verbrannt.
Bernd Eichinger legte seinem Drehbuch die Erinnerungen der Sekretärin Traudl
Junge und die historische Darstellung von Joachim C. Fest zugrunde. Und Regisseur
Oliver Hirschbiegel verwendet als Abbildungsmethode eine nur leicht stilisierte
Form des psychologischen Realismus: Wir sind, so suggeriert das, „dabei“, in
einem kohärenten Repräsentationsraum, der auf allen Ebenen seine enge
Verbindung mit dem historischen Vor-Bild beweisen will, vom Ausstattungsdetail
über das Handzittern des Führers bis zum Wortlaut letzter Gespräche.
In
diesem offensichtlich geschickt gewählten Rahmen „funktioniert“ der Film,
er hat seine starken Momente: Bruno Ganz, der als Hitler seine letzte vegetarische
Mahlzeit löffelt, die Ermordung der Kinder durch Magda Goebbels, eine Bild-Stafette
von Nahaufnahmen von Händen, die sich berühren oder eben nicht, und
so fort. Der Untergang entwickelt hier Anteilnahme und dort Empörung, riskiert
kaum den Bruch guten Geschmacks. Man kann das als Kompliment für Drehbuch,
Regie, Schauspieler und Technik ansehen. Erst wenn einen der Film mit der Koda
von Traudl Junges Flucht entlässt, kommt man wieder zu sich. Der Film hat
uns sicher geführt, auch über die eine oder andere Bilder-Falle. Aber
wohin hat er uns geführt, abgesehen von der erleichterten Feststellung:
Doch, das geht, den Menschen Hitler zeigen?
Die
Fiktion kann ein Instrument sein, hinter die Masken der historischen Evidenz
zu gelangen, in ein Inneres der Beziehungen von Macht und Begierde. Der Trick
dazu ist eine Verschiebung des Subjekts, die Reflexion im „privaten“ Widerschein
der Geschichte, der enthält, was die Inszenierung der Macht und die Realisierung
des Widerstands verbergen müssen. Der Umweg über die Fiktion ist,
sehen wir von Propaganda, „Belehrung“ und exploitation
ab, ein dem Experiment verwandtes Gedankenspiel zwischen Situation, Interesse,
Ideologie und Verhalten. Nun ist aber Der
Untergang
in seinem Bemühen eine Art Eins-zu-Eins-Umsetzung der Quellen zu schaffen,
das Gegenteil einer solchen Reflexion, schon weil sich das Unternehmen gleich
zweimal an eine anerkannte Form der Authentizität bindet, nämlich
einmal an die Augenzeugen-Authentizität von Traudl Junges Bericht (bewährt
schon in der Vorbereitung von Georg Wilhelm Pabsts Film Der
letzte Akt
aus dem Jahr 1955, später in André Hellers Film
und als Buch
präsent),
die eine passable „unschuldige“ Perspektive abgibt (nah beim Führer und
doch nicht Teil seiner Verbrechen), und auf der anderen Seite die nicht minder
bewährte Historizität von Joachim C. Fest .
Doch
mit dieser doppelten „Authentizität“ verhält sich Der
Untergang
eher wie eine Doku-Soap Opera denn wie ein historisch-moralisches Experiment.
Es ist alles „erschreckend echt“, und diese scheinbar standpunktlos offene „Echtheit“
kommt als Erfüllung aller Vorstellungen und zugleich als Vermeidung aller
bis dahin aufgezeichneten Fehler über uns: Hitler nicht dämonisieren!
Hitler nicht karikieren! Hitler nicht vermenscheln! Nicht auf die Inszenierungen
und Selbstinszenierungen hereinfallen, die uns die Quellen des Nationalsozialismus
hinterlassen haben! Hitler nicht als „Verrückten“ charakterisieren, Hitler
nicht als Nicht-verrückten darstellen! Und weil der Film auf der anderen
Seite handwerklich auch jenseits seines historischen Sujets funktioniert, als
Melodram, als Thriller, sogar als Kriegsfilm mit seiner Typologie, mag Der
Untergang
ein Gefühl der „Richtigkeit“ hinterlassen. Nur die Frage nach der Erkenntnis,
nach dem, was über diese „gepflegte“ Tautologie hinausgeht, kann er nicht
beantworten.
Pabsts
Film Der
letzte Akt
versuchte sich am Prozess der cineastischen Entmythisierung: Hitler, von Albin
Skoda als Mensch dargestellt, der ohne sein Instrument, sein Massen-Echo nur
noch jämmerlich erscheint. Der
Untergang
mag auch so etwas wie ein last remake von Der
letzte Akt
sein, nur dass der eine Film einen Diskurs zu beginnen trachtet, der andere
ihn beenden will. Vielleicht muss jede Generation ihr eigenes Hitler-Bild in
ihre Kultur einschreiben, und Bruno Ganz, der den Führer tatsächlich
jenseits von Dämonie, Spießer-Erbärmlichkeit und Karikatur (oder
in perfekter Balance von alledem) als das Paradox des Unmenschlichkeit produzierenden
Menschen gibt, liefert das Hitler-Bild für die Post-Postmoderne, die sich
weder mit Abstraktionen noch mit Analysen, weder mit doppelten Codierungen noch
mit psychologischen Brechungen abfindet, sondern distanzloses Dabeisein verlangt.
Hitler für die Kinder von CNN, Big Brother und Political Correctness.
Die
meisten Hitler-Filme beinhalten, explizit oder nicht, Faschismus-Theorien, ökonomische,
sexuelle, massenpsychologische Erklärungsmuster, die über den Plot
hinausgehen und unter ihm rumoren. Nicht so Der
Untergang.
Er enthält stattdessen das Diktum des Blickwechsels. Der Faschismus vom
Ende her gesehen erscheint als Menschheitstragödie. Und der Mythos der
Authentizität gebiert eine ganze andere, hinter der Maske der Echtheit
verborgene Phantasie: Der Untergang der Reichshauptstadt als Wiederkehr des
blutigen Endes der Nibelungen (ganz direkt inszeniert der Film eine Szene eingeschlossener
deutscher Soldaten als Replik der Metzelei am Hof des Hunnenkönigs), das
Drei-Akt-Schema von Verdammnis, Opfer und Erlösung, die Rettung der Heldin
an der Hand jenes Jungen, der gerade noch mit der Panzerfaust tötete und
von Hitler persönlich ausgezeichnet wurde, der archaisch-mythische – von
der Historie entfernte – Tod von Magda und Joseph Goebbels, die sonderbaren
Sympathieverteilungen in der Entourage des Führers (der Kriegsverbrecher
Speer wird geradezu zum humanistischen Helden): All dies und vieles mehr in
der Tiefenschicht des Filmes wird sich womöglich zukünftigen Psycho-Historikern
als eine heftigere Kehrtwendung erschließen, als es uns im Augenblick
gewahr ist. Der
Untergang
schildert das Ende des Krieges nicht als Befreiung, sondern als tragische Abfolge
von Selbstzerstörung, Opfer und Wiedergeburt. Das ist eine große
Lüge, selbst wenn sie aus lauter kleinen Wahrheiten zusammengesetzt ist.
Der Faschismus hat keinen Untergang, der Faschismus ist Untergang. Von jenem
Anfang an, dessen Ausblendung das Ende in falschem Schicksalsglanz leuchten
lässt.
Georg
Seeßlen
Mittendrin,
nicht nur dabei: Der Untergang liefert das Hitler-Bild für die Post-Postmoderne
und zahlt dafür einen hohen politischen Preis – der Faschismus erscheint
hier als Menschheitstragödie, das Ende des Krieges als Opfer und Wiedergeburt.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Der
Untergang
D
2004. R: Oliver Hirschbiegel. B: Bernd Eichinger (nach dem gleichnamigen Buch
von Joachim Fest und „Bis zur letzten Stunde“ von Traudl Junge und Melissa Müller).
P: Bernd Eichinger. K: Rainer Klausmann. Sch:
Hans Funck. M: Stephan Zacharias. T:
Roland Winke. A:.
Ko: Claudia Bobsin. Pg:
Bernd Eichinger. V: Constantin. L: 155 Min. FSK: 12 ff. FBW: besonders wertvoll.
Da: Bruno Ganz (Adolf Hitler), Alexandra Maria Lara (Trautl Junge), Corinna
Harfouch (Magda Goebbels), Ulrich Matthes (Joseph Goebbels), Juliane Köhler
(Eva Braun), Heino Ferch (Albert Speer), Christian Berkel (Prof. Schenck), Matthias
Habich (Prof. Dr. Werner Haase).
2.)
Mensch,
Hitler
Vom
Scheitern eines Mediums an einem Subjekt, anlässlich einer herbstlichen
Häufung von Filmen über das Dritte Reich
Immer,
wenn ein neues Gespenst des Mannes mit dem lächerlichen Bärtchen die
Leinwand betritt, fragen wir uns: Warum kommen diese filmischen Hitler-Fantasien
in solcher Regelmäßigkeit über uns? Ist es zu erlauben, ihn
durch Schauspieler darzustellen - also ein menschliches Gesicht jenem Menschheitsverbrecher
zu geben, der selber als perfekter Schauspieler auftrat und als Maske des Bösen
weiter wirken musste? Die Kamera kann nicht anders, als zwischen Gesicht und
Maske Fragen visuell zu beantworten, die wir in den fragmentarischen Diskursen
der Geschichte wohlweislich offen lassen. Ist "der Führer" an
allem schuld, oder ist er nur perfekter Ausdruck eines grausigen Zusammenwirkens
von Macht-Interesse und wahnhafter Verblendung, die Schnittstelle zwischen den
furchtbar rationalen und den genauso furchtbar irrationalen Elementen? Ist Hitler
der Geist oder die Darstellung des deutschen Faschismus? Es sind Antworten,
die die Kamera gibt, je nachdem, ob sie Hitler ins Zentrum oder an die Peripherie
des Bildes rückt, ob sie die Maske durchscheinend oder abweisend macht,
in welchen Blickstafetten, in welchem Spiel zwischen den subjektiven und den
objektiven Einstellungen das Bild erzeugt wird. Eine Ikonografie für dieses
filmische Hitler-Bild aber ist nie ernsthaft diskutiert worden, jeder neue Hitlerfilm
löst nur eine neue Welle von Entrüstung und Faszination aus, und wie
im jüngsten Fall, dem "Untergang", deckt der Medienrummel die
ernsthafte Auseinandersetzung zu, bevor der Film überhaupt sichtbar wurde.
Distanz
und Annäherung
Welches
Bild könnte sich das Kino von diesem Menschen machen, wenn es nicht das
eines Monsters, das eines grotesken Clowns, das eines banalen Spießers
im Zentrum des größten Verbrechens wäre? Muss nicht jedes Hitlerbild
auf der Leinwand die Opfer kränken, die Fantasien der neuen Nazis beflügeln
oder uns versöhnen mit einem, mit dem man sich unter keinen Umständen
versöhnen darf?
Die
Darstellbarkeit scheint noch am ehesten gesichert in Form der Karikatur - von
Charles Chaplins "Führer" in "Der große Diktator"
(1940) über Sidney Miller in Jerry Lewis' "Wo, bitte, geht's zur Front?"
(1970) bis Giuseppe Damianti im Adriano-Celentano-Vehikel "Zio Adolfo,
in arte Führer" (1977). Die Fallhöhe zwischen der historischen
Bedeutung der Figur und der Erbärmlichkeit des Menschen, der sie ausfüllt,
mag im Einzelfall geschmacklos sein, sie operiert indes aus sicherer Distanz.
Im deutschsprachigen Nachkriegskino hatte Hitler seinen ersten Auftritt aber
ganz anders, in Georg Wilhelm Pabsts "Der letzte Akt" (1955), dargestellt
von Albin Skoda - als "Mensch". Es schien die größtmögliche
Annäherung in der nötigen Distanzierung, denn der Film musste klar
machen, dass die Attentäter des deutschen Widerstands einen Menschen töten
mussten, um den Diktator zu beseitigen. Diese Dialektik bestimmt das filmische
Hitler-Bild bis zu "Komm und sieh", wo der jugendliche Held, der so
sehr unter Hitlers Truppen gelitten hat, voller Zorn auf Hitlerbilder schießt,
bis er eines vor sich hat, das ihn als Jungen zeigt, und in dem Moment kann
er nicht weiter schießen.
Distanz
schafft es auch, wenn man auf die Konstruktion äußerer Ähnlichkeit
verzichtet: Helmut Qualtinger als Hitler in Peter Zadeks "Eiszeit"
(1975), Heinz Schubert und Johannes Buzalski in Hans Jürgen Syberbergs
"Hitler - ein Film aus Deutschland" (1977), Kurt Raab in Uli Lommels
"Adolf und Marlene" (1977). Entscheidend für diese Darstellungen
war wohl stets, dass es nicht um eine realistische Wiedergabe ging, sondern
um das Gespenstische selbst. Ein Untoter ist dieser Unmensch/Mensch ja allemal.
In "Als Hitler den Krieg überlebte" (1967; Regie: Zbynek Brynch)
wird Hitler, der von Fritz Diete (wie übrigens auch in dem russischen Film
"Befreiung") dargestellt wird, entführt und in ein Schweizer
Sanatorium gebracht, dort lässt man ihn seine Foltermethoden am eigenen
Leib spüren, bis all' seine Inszenierung von ihm abfällt.
Da
bricht in Hitlers Gespenst ein schrecklicher Rest von Menschlichkeit auf. Umgekehrt
suchen Regisseure immer wieder nach dem "Hitler in uns". Wenn Hitler
in den Spiegel blickt, schaut ein erbärmlicher Mensch zurück. Wie
viele erbärmliche Menschen aber sehen in den Spiegel, und eine Hitler-Maske
schaut zurück? Das ist keineswegs stets so beiläufig und komisch wie
bei Louis de Funès, dem Schattenbilder einen Hitler-Bart aufmalen, als
er sich wie ein Tyrann geriert. Und auch wenn die Ehefrau des Coca-Cola-Karrieristen
in Billy Wilders "Eins,
zwei, drei"
den autoritären Anordnungen von James Cagney mit "Jawohl, mein Führer"
begegnet, ist diese Wendung ins Allgemein-Menschliche nur einerseits komisch.
Armin Mueller-Stahl inszenierte "Gespräch mit dem Biest" (1996),
in dem er einen 103 Jahre alten Hitler spielt, der in einem Keller in der Kantstraße
in Berlin lebt. Ein Gespenst in einem Kammerspiel von der Unsterblichkeit Hitlers
- oder vielleicht doch nur seiner Doppelgänger. Wirklich geklärt wird
die Frage nach der Identität in diesem mal grotesken, mal surrealen Spiel
nicht, in dem sich die Doppelgänger Hitlers zum Hochzeitsfest des Führers
im Bunker treffen. Je näher man eine Gestalt wie Adolf Hitler anschaut,
desto ferner schaut sie zurück - Mueller-Stahls Hitler war so entfernt,
dass weder Kritik noch Publikum damit etwas anfangen konnten.
Auch
Gespenster haben ihre Vor-Bilder. Der Hitler auf der Leinwand kann sich nur
zusammensetzen aus der Selbstinszenierung des Führers durch seine Fotografen
und die Wochenschau, durch den Riefenstahl-Blick in "Triumph des Willens",
aus den "privaten" Bildern, die die manische Bilderfabrikation des
deutschen Faschismus produzierte, Hitler-Kitsch mit Lederhose und Schäferhund,
und schließlich aus den propagandistischen Verzerrungen. Hitler geistert
durch Popcorn-Filme à la "Indiana Jones"; wie bei Donald Duck
mit Schnurrbart ("Der Fuehrer's Face") wird die Nachahmung zum komischen
Effekt, etwa in Lubitschs "Sein
oder Nichtsein"
und Brooks' "Frühling für Hitler". Hitler liegt in einer
Badewanne, liest die "Zeit" und wird von Piranhas gefressen in Russ
Meyers "Up", er glotzt lüstern auf die Orgien der "Girls
of the Third Reich" bei Loretta Sterling. Kurzum: Die Blasphemie ist da
Teil des Bildes. Und gerade in der Blasphemie wird das Gespenst wieder unsterblich.
Clown, Massenmörder, Durchschnittsmensch zugleich, so wie es in Alexander
Sokurows "Das Monster" (2002) erscheint: ein Körper, ein Bild,
eine Biografie, in der sich auf ewig das Banale und das Böse treffen. Die
Lächerlichkeit hat Hitler nicht getötet, wie uns alte und neue Faschisten
im Lande so authentisch demonstrieren. Bis hin zu persönlichen Auseinandersetzungen
wie Herbert Achternbuschs wundervollem "Heilt Hitler", der vom Grauen
zum Quatsch führt und umgekehrt, konnte das nicht gelingen.
Vielleicht
war das Gespenst zu töten, wenn man an seinem Sterben teilhaben konnte,
wie in "Hitler - Die letzten zehn Tage" (1973 - Regie: Ennio de Concini),
zumindest vom Motiv und vom Material her ein direkter Vorläufer von "Der
Untergang". Der Film spielt im "Führerbunker" ein absurdes
Endspiel durch: Hitler (Alec Guiness) schwadroniert nach wie vor von seinen
Erfolgen (er habe etwa "die österreichische Frage sehr zufrieden stellend
gelöst" nachdem er den Kettenraucher Schuschnigg zur Abstinenz brachte).
Hier heiratet er auch Eva Braun (Doris Kunstmann) und bewundert er die Fliegerin
Hanna Reitsch. Schließlich beschließt Hitler, dass das deutsche
Volk seine Daseinsberechtigung verloren habe. Der Film hält sich so weit
als möglich ans schriftlich Überlieferte, und Guiness hat Mimik und
Gestik des "Führers" anhand von Fotos und Wochenschau-Material
genau studiert. Aber weder eine visuelle noch eine textliche Quellentreue ergeben
ein Bild jenseits neuer Mischung zwischen dem Trivialen, dem Dämonischen
und dem Grotesken.
Schurke
und Mordskasper
Oder
lässt man sich statt auf das Sterben doch eher auf das menschliche Werden
des Monsters ein? Fast verständnisvoll zeichnete Axel Corti in "Ein
junger Mann aus dem Innviertel" (1980) die frühen Jahre von Hitler
in einer Mischung aus Dokumentation und Spielhandlung. Er entwirft ein kleinbürgerlich
borniertes Klima in Braunau und der Schulstadt Linz, das Psychogramm einer gefährdeten
Person, des jungen Hitlers (Franz Trager) Bindung an die Mutter und Konflikt
mit dem auftrumpfenden Vater, schließlich die Zurückweisung von der
Kunstschule, die Begegnung mit den rassistischen Gedanken im Männerheim,
mit denen der Film seinen Versuch beschließt, Hitler als exemplarisch
in der Geschichte fehlkonstruierte Biografien zu deuten.
Ist
das eine Bild zu bieder, so ist das Gegen-Bild zu grotesk. Ist der ästhetische
Amoklauf, wie er sich in den Filmen Buttgereits ("Exzesse im Führerbunker",
1982) und Schlingensiefs ("100
Jahre Adolf Hitler",
1988) andeutet, immer noch besser, als politisch korrekt in "Schindlers
Liste"
zu weinen? Oder geht umgekehrt das Spiel der doppelten Provokation, Hitler als
B-Movie-Schurken und Mordskasper zu präsentieren und zugleich die Ängstlichkeit
des Gutmenschen vor dem Bild des Schreckens zu provozieren, nicht ins Leere,
wenn wir den echten Faschismus schon wieder vor der Haustüre haben?
Die
Fragen sind vermutlich falsch gestellt. Ein Tabu zu errichten ist, kulturgeschichtlich,
weder richtig noch falsch. Es ist nur notwendig, und ebenso notwendig ist seine
Durchbrechung, weil es nichts verhindern, sondern nur etwas verbergen kann.
Die Frage ist brisant genug: Welcher Hitler spukt auf der Leinwand durch unsere
Köpfe? "Der Untergang", der das Monster als Mensch sterben lässt,
ohne ihm seine Monstrosität zu nehmen, verspricht in seiner symbolischen
Repräsentation eine Art von endgültigem Abschiednehmen. Hitler ist
tot, sagt er, wir können ihn, gerade weil wir ihn so weit wie möglich
als Mensch sterben ließen, nun wirklich als Geschichte begreifen. Aber
als Medienereignis (und Beginn einer neuen Welle von Nazi-Filmen, die ihre Medien-Schatten
vorauswerfen) sagt er gerade das Gegenteil. Das Gespenst ist wieder da.
Georg
Seeßlen
Bald
im Kino // „Der Untergang“ von Oliver Hirschbiegel startet am 16. September.
„Der
neunte Tag“ von Volker Schlöndorff kommt voraussichtlich am 11. November
in die Kinos.
„Das
Goebbels-Experiment“ in der Regie von Lutz Hachmeister soll im Herbst starten:
Ohne festen Veröffentlichungstermin sind außerdem noch "Speer"
von Heinrich Breloer und "Napola" von Dennis Gansel.
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: www.BerlinOnline.de
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