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Der
Untergang des amerikanischen Imperiums
Selbst
abführend
Der
Vorspann des Films besteht aus einer schier unendlichen Kamerafahrt durch ein
nicht näher definiertes, allerdings gigantisch dimensioniertes Gebäude.
Die Fahrt lässt weder rechts noch links liegen. Es geht einfach nur vorwärts,
ohne dass es voran geht. Irgendwann tauchen vor einer großen Glasfassade
zwei Frauen auf. Vielleicht hat der Zuschauer gerade den Geburtskanal verlassen
und schaut nun, was passiert. Natürlich fangen die Frauen gleich an zu
reden, es ist ein Interview, eine der beiden, Dominique, hat gerade ein Buch
geschrieben, das die These in den Raum stellt, dass das Glücksbestreben
des Einzelnen mit dem Untergang des Ganzen einher gehe. Solche gegenläufigen
Figuren sind ja recht häufig in der Historiografie. Ist ein staatliches
Gebilde am Ende, geht’s der Kunst blendend. Freut sich ein Staat, braucht er
keine Kunst. Oder eben nur die Staatskunst.
Auf
den Film selbst angewandt, heißt die These: Je mehr über Liebe geredet
wird, desto mehr ist sie bereits verschwunden. Oder hat den Sex zum Zwillingsgeschwister
gemacht. Nach der Exposition mittels Interview geht es sofort zur Sache. Es
wird weiter geredet. In kleinen, überschaubaren Gruppen, zudem geschlechtergetrennt.
Wenn
man will, kann man auch das noch als Exposition sehen, die sich dann auf etwa
zwei Drittel des Films beliefe. Es handelt sich jeweils um vier Personen, die
sich und die männlichen bzw. weiblichen Pendants gut kennen, akademisches
Milieu (Dozenten), Alter etwa 40-50. Jede Gruppe hat einen Youngster, die Rolle
des Naiven, und einen Wortführer, der die Malaise mit der Liebe auf den
Punkt bringt, aber gewitzt und zynisch genug ist, auch daraus noch Lust zu ziehen.
Da alle schon emanzipiert sind, Männer wie Frauen, stehen die Männer
hinter dem Herd (künstlerisch angeleitet von dem schwulen Claude), während
die Frauen ihre Muskeln trainieren. Man amüsiert sich prächtig auf
Kosten der anderen. Leider weiß der Zuschauer am Ende dieses Prozesses,
nachdem ausgiebig zwischen Küche und Fitnessstudio hin- und hergezappt
wurde und die eine und andere Rückblende noch die letzte Illusion über
souveräne Entscheidungen im Liebesleben begraben hat, dass mit der These
des Buchs irgendwas nicht stimmen kann. Und in der Tat, in dem Moment, wo alle
zusammen am Essenstisch sitzen und das parasitäre Amüsement dem Gebot
der Konventionalität gewichen ist – was auch eine Erleichterung für
den Zuschauer bedeutet, denn nichts ist unangenehmer, als bei einer Runde wildfremder
Gestalten, die sich prächtig zu unterhalten scheinen, den Beobachter zu
mimen, der nicht aus Neid unwillig ist, sondern aus Ekel vor diesem sich für
alles zuständig fühlenden privatistischen Lachautomatismus, den allerdings
der Film selbst schon bricht durch das Aufbrechen der Gruppe –, wird das Tempo
merklich langsamer, die Stimmung gesetzter, die Zwischentöne zahlreicher,
und wenn dann noch ein Unbekannter auftaucht, ein Nichtakademiker, dem die schöne
Rolle zufällt, noch ein Minus hinzuzufügen, dann ist klar, dass nicht
mehr so viel zu lachen übrig bleibt.
Die
Sache wird aber im Gegenteil noch bitter, indem die Großmäuligkeit
kontrastiert wird mit dem unbestechlichen Mitschnitt eines Kennenlernens. Der
Historiker Pierre trifft auf die Studentin Danielle, im Massagesalon. Die Bitterkeit
fällt aber auf den Film selbst zurück, denn wo alles mindestens doppelt
reflektiert wird, gähnt bei dieser Szene der blinde Fleck des unwillkürlich
Passierens, und wo auch nur ein wenig die Einstellung von der des Films abweicht,
ist die Abwehr da und man glaubt nicht mehr, was da geschah. Die Romanze wird
zur Groteske, man selbst, in der Position Pierres, hätte nicht stand gehalten.
„Äh, einen Augenblick, ich komme gleich.“ „Ah ja, klar.“ „Danke, das war
super.“ Die Jungen fallen auf die Alten rein und halten es für Liebe, die
Alten machen sich das Leben gegenseitig schwer und stehen trotzdem auf der bright
sight of life. Schöne Häuser, schöne Ausblicke (auf den See),
und natürlich ist da die Gabe der Rede, die noch mit jeder These fertig
geworden ist. Die ständige Geburt von Betrug und Selbstbetrug. Mehr kann
man von einem Leben nicht verlangen.
Dieter
Wenk
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Der
Untergang des amerikanischen Imperiums
LE
DECLIN DE L'EMPIRE AMERICAIN
Kanada
- 1986 - 102 min. – Komödie - FSK: ab 18; nicht feiertagsfrei - Verleih:
Tobis, Marketing (Video) - Erstaufführung: 30.10.1986/2.3.1987 Video/15.4.1994
ARD - Fd-Nummer: 25862 - Produktionsfirma: Corporation Image M & M/Office
National du Film du Canada/Téléfilm Canada/u.a.
Produktion:
René Malo, Roger Frappier
Regie:
Denys Arcand
Buch:
Denys Arcand
Kamera:
Guy Dufaux
Musik:
Georg Friedrich Händel, François Dompierre (Bearbeitung)
Schnitt:
Monique Fortier
Darsteller:
Dominique
Michel (Dominique)
Dorothée
Berryman (Louise)
Pierre
Curzi (Pierre)
Rémy
Girard (Remy)
Louise
Portal (Diane)
Geneviève
Rioux (Danielle)
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