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United Trash
Wie Reich-Ranitzki uns den
Krieg erklärt
Vermutlich müsste er kotzen,
wenn jemand einen seiner Filme als gelungen bezeichnen würde. Deshalb glaube
ich auch, dass Christoph Schlingensief sich klammheimlich unheimlich freut,
wenn er dann im Interview, wie eine Art katholischer Konfirmand, rumrutscht
und zugibt, „United Trash“ sei nun wirklich nicht sein bester.
Ich würde sogar behaupten,
eigentlich ist "United Trash" nicht mal ein Film. Jedenfalls hat er
nichts, was man sich auf der Leinwand erwartet. Deshalb gibt's ihn jetzt ja
auch auf DVD. Ob er da besser rüber kommt als im Kino, kann ich nicht beantworten,
denn ich sitze ja - wie so viele in Deutschland - in Göttingen (wo sowas
nicht im Kino läuft). Und Göttingen ist überall und Zimbabwe,
da wo Schlingensief und das ganze Filmteam immer wieder verhaftet worden sind,
weil die da angeblich einen Porno oder was Rassistisches drehten, ist nirgends.
Eine Art Porno ist "United
Trash" auf jeden Fall geworden, und natürlich muss man Schlingensief
dafür die Füße küssen, dass es in dieser seiner "Bilderfolge"
ein "Jesuskind" gibt, welches eine "Votze" auf dem Kopf
trägt. Eine Votze, die bei Berührung ejakuliert, und zwar welche Mengen!
Und dafür, dass er ersatzweise für die indisponierte Barbara Valentin
gar Russ Meyer’s Kitten Natividad („Im tiefen Tal der Superhexen“) nicht nur
wieder aus dem Altersheim holen konnte, sondern ihr auch wieder anal eine typisch
Russ-Meyersche-Frauen-Problematik „einführt“, in der nur machtbesessene
FDP-Politiker, wegen Unzucht mit minderjährigen Chorknaben verstoßene
Bischöfe oder UNO-Generale kommen könnten - und somit keinen, dringend
benötigten, Nachwuchs erzeugen. Dafür - also für eine Idee schon
- hat er irgendeinen Nobelpreis verdient. Vielleicht Biologie? Zu verwirrend,
alles, irgendwie? Ja.
Aber es gibt professionelle Hilfestellung:
Oskar Matzerath und Marcel Reich-Ranitzki, diese beiden signifikanten polnischen
Reinstallateure einer mutmaßlich oberstufentauglichen deutschen Nachkriegsliteratur,
erläutern den Wahnsinn (oder besser: sie erklären ihn so, wie man
einen Krieg erklärt) aus dem Off, der eine als quäkig motzende Jungfrauengeburt
a la Schlöndorff, der andere als eloquent lispelnder Interpret einer kolonialistischen
Lesart der Dritten Welt.
Klar strengt "United Trash"
an, und zwar weil er einem mit seinem ganzen Klimakteriums-Gekreische kaum Zeit
lässt, einer seiner detonierenden Ideen nachzugehen. Alles ist atemlos,
die Stars (Kier, Natividad, Kausch), die zimbabwischen Laien, die Kamera, die
Regie, das Drehbuch. Alles wird gehetzt. Schnell geht’s, muss es gehen. Auch
Oskar Roehler hat fahrig daran mitgekritzelt, als gäbe es keine Zeit (und
bald keine brechbaren Tabus) mehr.
In Ruanda gab's die Zeit auch
nicht, 1994, ein Jahr vor dem Film, als die UNO sich zurückzog und ein
paar Tausende Leutchen einfach so lebendigen Leibes mittels Macheten zerhackt
wurden. Historische Bezüge gibt der Film, Argumente und Anliegen auch. Aber im Internet jedenfalls
versteht's keiner nicht, wie ich grade nachprüfen durfte. Vielleicht weil
Schlingensief die Vermittlung für unnötig hält?
Schlingensief ist viellleicht
mehr Künstler als Filmemacher. Irgendwo scheint da doch ein Restunterschied
zu sein. Er kotzt, blutet, ejakuliert und scheißt auteuristisch einfach
nur so raus, was er visioniert. Durchwirkt von banalem Schmutz sind sie, die
Visionen. Vermittlung und Dramaturgie obsolet. Der Künstler, nach Schlingensief,
ist ein schierer Organismus: Nach der Aneignung und der Transformation (der
„Sublimation“) kommt die Ausscheidung, und ausscheiden darf, was ausscheiden
kann: es spielt keine Rolle, welches Organ „Kunst“ produziert, in welchem Verdauungsgrad
oder -trakt sie sich befindet, ob sie sich einer Blutmetaphorik, der Fäkalsprache,
der Urinal-, Sexual- oder der Bulimiegrammatik bedient. Alles muss raus.
Friss es und stirb dran. Das Zielgruppen-Leiden
(die Beleidigung des guten Geschmacks, das banale Genervtsein), also das ästhetische
Attentat auf den Zuschauer, ist allen Schlingensieffilmen inhärent. Schlingensieffilme
funktionieren nur - und nur dann - wenn sie allergische Reaktionen hervorrufen.
Die Erkrankung des bildungsbürgerlichen Subjekts ist identisch mit der
schlingensiefschen Katharsis. Der kathartische Effekt setzt ein, im gelungensten
Fall, bereits mit den ersten Bildern, zugleich mit der totalen Ablehnung durch
den Zuschauer. Das ist größtmögliche Distanz zum Stoff, antillusionistisches
Kino erster Güte, V-Effekte eines Brecht oder von Trier sind dagegen Kindergartenpädagogik.
Der postmortale Rest von „United
Trash“ ist These, Metaphorik und Koprolalie. Der Zwang, obszöne Wörter
zu sagen und versaute Dinge zu zeigen, ist ja ein indirekt gesellschaftlich
hergestellter Zwang. Weil nun Roehler und Schlingensief so ungemein deutsch
sind, schenkt uns „United Trash“ mit seinen verbalen und optischen Schweinereien
so ganz nebenher natürlich auch ein deutsches (Mittelschichts-)Negativ-Psychogramm,
das obsessiv von deutschen Keller- und Klo-Leichen berichtet.
Deutsch der Stil, international
der Stoff: Eine psychotische Reaktion auf die aktuelle Weltpolitik (1995), aus
der hervor eine ziemlich luzide Prophetie kriecht, wenn dann nämlich fundamentalistische
Amerikahasser mittels der Energiequelle namens Mohamed-Jesus-Peter-Panne (:
Schnaps in seine Schädel-Votze kippen) der V-2 zu einem späten Erfolg
im Weißen Haus verhelfen, indem sie sie es atomisieren lassen. Das riecht
doch schon stark nach „Achse des Bösen“.
„United Trash“, ist er einmal
endlich überstanden, ist also nicht nur Dreck, wenngleich er sich als Dreck
generiert. Denn er zeigt auch Politik, Dreckspolitik und ist Kunst, Kunst-Dreck,
Drecks-Kunst, nervtötend, herzerwärmend, notorisch grenzüberschreitend,
somit befreiend, prophetisch und viel zu selten hierzulande. Das alles klingt
vielleicht nach maßloser Übertreibung. Aber das passt schon, wie
wir Göttinger sagen.
Schlussbemerkung: Die Firma Filmgalerie
451, deren Programm sich neben anderen schrägeren deutschen Regisseuren
wie Roland Klick oder Marc Ottiker, auch dem wenig bekannten schlingensiefschen
Film-Oeuvre widmet, hat nun nach „Das deutsche Kettensägenmassaker“, „Freakstars 3000“ und „100 Jahre Adolf Hitler“ seit Kurzem auch „United Trash“ auf DVD im Angebot. Als Zusatzmaterial
gibt es ein ausführliches Interview, worin Schlingensief über die
Dreharbeiten berichtet (die offenbar noch exotischer und gefährlicher waren
als das Endprodukt) und die 45-minütige, für den WDR gedrehte, unterhaltsam-nervtötende
Udo-Kier-Biografie „Tod eines Weltstars“, im Prinzip ein weiterer Schlingensief-Spielfilm ...
Andreas Thomas
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
United Trash
Die Spalte - Jesu Panne ist unschlagbar
Deutschland, Zimbabwe 1995
Regie, Kamera, Buch: CHRISTOPH SCHLINGENSIEF; Buch: OSKAR ROEHLER;
Schnitt: ANDREA SCHUMACHER; Ton: EKI KUCHENBECKER; Produktions-Design: ULI HANISCH;
Kostüme: TABEA BRAUN; Maske: HEIDE HASS; Regieassistenz: RALPH BROSCHE;
Script: GUDRUN WIDLOCK; Schnitt Assistenz: RUDI HEINEN; Kameraassistenz: OLIVER
GRAFF; Art Director: ULI LANGENBERG; Special Effects: THOMAS GÖTTEMANN;
Lichtgestaltung: VOXI BÄRENKLAU; Produktions-Koordination: PETRONILLA MUNONGORO;
Produktionsleitung: IAN WHITE; Herstellungsleitung: CHRISTIAN FÜRST - RALPH
BROSCHE; Produzent: CHRISTOPH SCHLINGENSIEF
Besetzung: UN-General Werner Brenner: UDO KIER; Seine Frau Martha
Brenner: KITTEN NATIVIDAD; Peter Panne: THOMAS CHIBWE; Bischof Pierre: JOACHIM
TOMASCHEWSKY; Diktator Hassan: JONES MUGUSE; Sein schwuler Freund Lund: JOHNNY
PFEIFFER; Dr. Vanderberg/US Präsident: MIKLOS KÖNIGER; Assistentin
Hillary: BRIGITTE KAUSCH-KUHLBRODT; Hassans Minister Christofferson: DIETRICH
KUHLBRODT; Horst Klipp; HEIMO BACHSTEIN; Frau Klipp: ETHAN MATONDO; Fußgänger
und Jeff Koons: KALLE MEWS; Sprecher: Tanja Blixen; Astrid Lindgren: SUSANNE
BREDEHÖFT; Sprecher, Peter Panne, Bela Lugosi: THOMAS NICOLA
Im Verleih der SENATOR FILM, Länge: 79 min, Format: 1:1,85,
Tonformat: Dolby SR
Bundesstart: 22. Februar 1996
Die DVD ist erhältlich bei: www.filmgalerie451.de
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