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Der
unbekannte Soldat
Michael Verhoevens
Dokumentarfilm über die Wehrmachtsausstellung
Die Erinnerung an den Nationalsozialismus und seine
Verbrechen kommt, so scheint es, anfallartig über die deutschen Kulturen.
Wie in einem Ritual wiederholt sich das Zusammentreffen von Erkenntnis und Reaktion,
bricht sich die Aufklärung an einer Dramaturgie der Kränkungen, derer
sich die Neonazi-Gruppen bedienen, entzünden sich Nebenstreite um Darstellungsformen
und Legitimierungen. Dokumentarische Filme scheinen ein Mittel, der Erinnerungskultur
Nachhaltigkeit zu verleihen.
Zwischen 1999 und 2004 war die "Wehrmachtsausstellung"
ein umstrittenes Ereignis. Neuerlich wurde da ein unterdrücktes Element
im offiziellen und kollektiven Gedenken berührt: Bis dahin war vorherrschend
das Modell einer "sauberen Wehrmacht", die die Verbrechen der "eigentlichen"
Faschisten allenfalls deckten, im Großen und Ganzen aber nicht bemerkten.
Nun aber waren Fotos von Soldaten beim Mord an Zivilisten mit einem Mal öffentlich
dargestellt. Dass die Wehrmachtsausstellung "falsch" sei, war nur
eine abstrakte Behauptung - ihr eigentlicher Tabubruch lag darin, öffentlich
zu machen, was verborgen bleiben sollte. Dass die SS nicht in der Lage gewesen
wäre, ihre mörderische Arbeit zu tun, wenn sie nicht von der Wehrmacht
aktiv unterstützt worden wäre, zum Beispiel, und dass es nicht nur
eine schreckliche Führung war, sondern auch die unteren Ränge sich
an den Mordtaten beteiligten. Manche, wie etliche der Bilder zeigen, mit kaltem
Vergnügen.
Michael Verhoevens Film, der beim Ausstellungsbeginn
ansetzt, ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie ein dokumentarischer Film
einem Schock, der als Skandal verarbeitet wurde, einen bleibenden Nachklang
geben kann. Und anders als etwa ein Buch vermag der Film auch die Emotionalität
des ursprünglichen Geschehens zu bewahren. Der
unbekannte Soldat fasst die Aussagen
der Ausstellung zusammen, gibt Hintergrundwissen durch die Statements der Ausstellungsmacher
und Historiker, zeigt aber auch, wie die Schau wirkte, welche Reaktion sie in
der organisierten Rechten wie bei den empörten Zeitgenossen auslöste,
er zeigt, wie sie sich schließlich einer Revision unterziehen musste,
und der Regisseur unternimmt eigene Reisen.
Dass ein Film über die Wehrmachtsausstellung
mit einer Einstellung auf ein Percussion-Ensemble beginnt, dann überleitet
zu Dokumentaraufnahmen der grausamen Behandlung Gefangener durch deutsche Soldaten,
zu Nahaufnahmen Gehenkter wechselt, dann das wiederkehrende Bild marschierender
Stiefel einfügt, bis man mit dem Zitat von Fernsehberichten in die Ausstellung
selbst gelangt, deren Bilder sich in den fassungslosen Blicken der Zuschauer
spiegeln, dazu eine Frau, die sich auf Spurensuche nach der Geschichte des Vaters
begeben hat, und Adenauers Rede von der Ehre der deutschen Wehrmacht - das alles
zeigt in seiner kompakten Montage, dass Verhoeven nicht ein journalistisches
Stück im Sinn hat. Es ist auch ein filmisches Poem, ein Kunst-Stück
mit einer eindeutigen Autorensignatur. Das gibt einem solchen Film Tiefe - und
es macht ihn angreifbar. Der unbekannte
Soldat drängt dem Zuschauer
keine Meinung auf, aber er argumentiert in jeder Einstellung. Und er setzt damit
möglicherweise neue Erkenntnisse in Gang. Wenn in der historischen Darstellung
erklärt wird, dass die Führung schließlich den Soldaten verbot,
von den Massakern Fotografien herzustellen, aus der Furcht heraus, Bilder der
lachenden Mörder könnten in die Hände der Feinde fallen oder
das Bild des Krieges in der Heimat verändern, dann erscheinen die gewaltsamen
Versuche der Neonazis, die Arbeit des Filmteams zu verhindern, als eine strategische
Kontinuität.
Dem Raffinement der Montage setzt der Regisseur aber
ein ganz anderes Element entgegen: Verhoeven hat sich mit der Kamera in die
Situation geworfen, und diese Direktheit überträgt sich auf den Zuschauer.
Mutig ist der Film nicht nur, weil Verhoeven und seine Mitarbeiter sich auch
den Angriffen der Neonazis stellten, sondern auch, weil er sich auf die Ambivalenz
der Bilder einlässt, entschieden parteiisch, aber ganz ohne Selbstgerechtigkeit.
Und daher ist ein wichtiges Thema auch die Revision, der die Ausstellung unterzogen
wurde, und die, ganz abgesehen von offenkundigen Fehlern in den Zuschreibungen,
auch ein Zurückschrecken vor der Ambivalenz der Bilder bedeutete. So mussten
gerade jene Bilder verschwinden, die an der Schnittstelle zwischen der offiziellen
und der privaten Geschichtsschreibung entstanden. Verhoevens Film entscheidet
sich anders, er bekennt sich zur Emotionalität, aber er verschweigt dieses
Problem der Bilder nicht.
Er erzeugt in seiner Montage eine unmittelbare Gegenwärtigkeit,
eine Herausforderung zur Auseinandersetzung, die eine solche Darstellung mit
deutlicher persönlicher Handschrift anderen Filmen mit ähnlichen Elementen
überlegen macht. Am Ende kommt auch dieser Film nicht darum herum, von
der Geschichte in die Familienromane zu gelangen, in denen eine ganz andere
Erzählung weitergegeben wurde, in der die Großväter und Väter
keine Nazis und keine Mörder waren. Das letzte Wort hat ein Betroffener:
Ich schäme mich, wie sich der deutsche Soldat benommen hat. Auch das ein mutiger Mann.
Georg Seeßlen
Im Auf und Ab der deutschen Erinnerungs- und Revisionsmoden
setzt Verhoevens in jeder Hinsicht gelungener, außerordentlich reflektierter
Dokumentarfilm über die Wehrmachtsausstellung und ihre öffentliche
Wirkung ein wichtiges Zeichen.
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film
Der
unbekannte Soldat
Deutschland
2006. R, B und P: Michael Verhoeven. K: Stefan Schindler, Knut Muhsik, Britta
Becker, Sergey Yemerov, Charles Borninger. Pg: Sentana. V: Kinowelt. L: 100
Min.
Start
21.9.2006
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