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Traders’
Dreams
Marcus Vetter
und Stefan Tolz nähern sich dem eBay-Phänomen
Ein Steinhäuschen unter den niedrigen Wolkenbänken
der Isle of Skye. Vor den groben Natursteinwänden des Wohnzimmers flackert
heimelig ein Kamin. Der Mann mit Kippe und Schnauzbart am Tisch sieht nicht
nur aus wie ein Schafzüchter, er ist auch einer. Doch in den Brillengläsern
unter der schräggestellten Schiebermütze spiegelt sich das blaue Rechteck
eines Computerbildschirms. Denn außer der Schafzucht betreibt Spike auch
einen regen Handel mit Münzen und anderen Antiquitäten über das
Internet. Er ist ein sogenannter eBay-Powerseller, und nicht der einzige in
der schottischen Einsamkeit, der sich auf diese Art mit der Welt verbindet.
Das Postaufkommen in der Region sei seit eBay-Zeiten spürbar gestiegen,
sagt jedenfalls die Postbotin, die ein wachsames Auge auf eingehende Videos
und andere Waren hat.
Mit der vielbeschworenen Anonymität des Netzes
ist es hier nicht weit her. Und auch die anderen Ebay-Fans, die Traders’ Dreams – Eine Reise in die eBay-Welt uns vorstellt, sind eher von traditionell ländlicher
Couleur. Da ist Familie Thurn aus dem sächsischen Borna, die Präsentkörbe
und einmal sogar einen echten Fischmarktwagen in den virtuellen Marktplatz einstellt.
Etwas anders liegen die Dinge bei den Kunsthandwerkern aus dem mexikanischen
Wüstenkaff Mata Ortiz, die ihre in Heimarbeit produzierten Vasen an einen
kalifornischen Zwischenhändler abliefern. Erst als irgendwann auch ihr
Dorf ans Telefonnetz angeschlossen wird, sehen sie mit entsetztem Staunen, wie
ihre Produkte im Internet zum zehnfachen Preis gehandelt werden. Was liegt da
näher, als in Zukunft den Verkauf per eBay in die eigene Hand zu nehmen?
Doch das heißt auch, sich zusätzlich zu Keramikformen und Pinselfertigkeit
notgedrungen mit Webseitendesign und Vermarktungsfragen zu beschäftigen.
In einer Welt zunehmender ökonomischer Ungerechtigkeit
verkauft sich eBay gerne als Geheimwaffe der Ausgegrenzten, denen wegen ihrer
Kapitalarmut der Weg zum Markt versperrt bleibt. Wer nicht mitmacht, ist selber
schuld. Doch wie viele schaffen den dauerhaften Absprung ins freie Händlertum
wirklich? Was geschieht mit dem Rest? Und wie verändert die „Ebayisierung“
bei allen den Umgang mit der eigenen Arbeit und der Welt? In derzeit dokumentarfilmüblicher
Manier hüpft Traders’ Dreams um die Welt, um an fünf verschiedenen Flecken
des geschrumpften Erdballs von den Verheißungen und Fallen des Online-Selling
zu berichten, wobei firmeneigene Lehrvideos und eine grellbunte kalifornische
Propagandavorstellung die schrille Hintergrundfolie abgeben: Marktideologie
für Dummies. Und ein chinesischer Unternehmer hat mit der eigenen kostenlosen
Verkaufsplattform Alibaba mal wieder den Igel erfunden, der den Ebay-Hasen zumindest
auf dem heimischen Markt weit abgeschlagen hat.
Leider fehlt den Filmemachern Marcus Vetter und Stefan
Tolz trotz vieler sehenswerter Momente die Konsequenz, ihr Thema inhaltlich
und ästhetisch wirklich auf den Punkt zu bringen. So bleibt das erfolgreiche
Geschäftsmodell von eBay selbst – abgesehen von den Einstellgebühren
– komplett ausgespart. Und die Fallgeschichten aus Mexiko, Schottland und Sachsen
hören da auf, wo es eigentlich interessant werden würde. Der wesentliche
Rest wird dann schriftlich vor den Abspanntiteln serviert. Und die allzu leichtfertig
eingesetzte Pausenfüller-Musik von Paul Shigihara setzt viele Szenen in
akustisches Weichzeichnerlicht.
Dokumentation über den weltweiten eBay-Handel,
die ihrem spannenden Thema leider nur in Ansätzen gerecht wird: Es fehlt
jenseits der Fallbeispiele an Analyse.
Silvia Hallensleben
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 7/2007
Traders’
Dreams – Eine Reise in die eBay-Welt
Deutschland
2007. R und B: Marcus Vetter, Stefan Tolz. P: Stefan Tolz. K: Sylvio Claußner,
Thomas Riedelsheimer, Holger Schüppel, Dieter Stürmer. Sch: Annette
Muff, Marc Schubert, Stefan Tolz, Saskia Metten. M: Paul Shigihara. T: Thomas
Schwarz, Marcus Vetter. Pg: Filmquadrat/ZDF/ NDR/ Arte/TSR. V: Piffl Medien.
L: 83 Min. - Start: 28.6. (D)
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