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The
Eye
Eklektizistisch
inszenierte Langeweile
Wenn
ich an von anderen bewunderte Filme wie „The Sixth Sense” (1999) denke, steigt
bei mir das Wort Langeweile in den Kopf. Mich hat dieser Film – wie übrigens
auch Shyamalans „Signs” (2002) – nicht einen Millimeter vom Hocker gerissen.
Was für die einen eine Schlaftablette, ist für andere der psychologisch-übersinnliche
Reißer schlechthin. Damit muss man sich abfinden.
In
der Tradition von „The Sixth Sense” drehten die beiden aus Thailand stammenden
– und übrigens die thailändische Filmindustrie kräftig mit aufbauenden
– Brüder Oxide Pang Chun und Danny Pang 2002 die Geschichte einer jungen
Frau, die die Chance erhält, nach langen Jahren der Blindheit seit ihrer
Kindheit wieder sehen zu können – durch Übertragung der Netzhaut einer
anderen, verstorbenen Person.
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I N H A L T •
Hung
Jiawen (Lee Sin-je) schmerzen die Augen nach der Operation, die Dr. Lo (Edmund
Chen) durchgeführt hat. Sie trägt zeitweise eine Sonnenbrille und
kann anfangs alles nur sehr verschwommen sehen. Gedächtnis und andere Funktionen
des Gehirns müssen sich erst an die neue Situation anpassen. Im Krankenhaus
lernt Hung Jiawen die elfjährige Yingying (Yut Lai So) kennen, die bereits
mehrfach operiert worden ist. Das Mädchen leidet an Krebs. Beide verstehen
sich sofort blendend, und Yingying ist – trotz Chemotherapie – gut gelaunt.
Noch
im Krankenhaus hat Hung Jiawen ein merkwürdiges Erlebnis. Sie sieht undeutlich
eine ältere Frau, die zur ihr sagt: „Mir ist kalt.” Am nächsten Morgen
erzählt eine Krankenschwester Hung Jiawen, die Frau sei in der Nacht gestorben,
bevor Hun sie gesehen haben will. Als Yee (Candy Lo) ihre Schwester Hung aus
dem Krankenhaus abholt, sieht diese mitten auf einer viel befahrenen Straße
in Hongkong einen Mann ohne Beine über die Straße schweben. Vor der
Wohnung ihrer Großmutter (Yin Ping Ko), bei der Hung und Yee leben, begegnet
Hung einem kleinen Jungen, der sie fragt, ob sie sein Zeugnis gesehen habe.
Später erfährt sie, dass der Junge Selbstmord begangen hat.
Hung
Jiawen bekommt Angst. Sie erzählt dem jungen Psychologen Dr. Lu Hua (Lawrence
Chou) – dem Neffen von Dr. Lo, der sie betreuen soll – von den Erscheinungen.
Aber der kann ihr zunächst nicht weiter helfen, obwohl er Hung glaubt.
Hung Jiawen sieht Tote, die von einem Mann in schwarzer Kleidung abgeholt werden.
Sie sieht den Selbstmord des Schülers, der nach dem Zeugnis gefragt hatte.
Sie sieht einen Mann, der in einem Fahrstuhl schwebt, einen Mann mit einem eingeschlagenen
Gesicht.
Die
Situation wird für Hung immer beängstigender. Sie vergräbt sich
in ihrem Zimmer, schließt die Augen, weil sie das, was andere nicht sehen
können, auch nicht mehr sehen will.
Dr.
Lu Hua, der sich in Hung verliebt hat, trifft eine Entscheidung: Man kann der
Sache nur auf den Grund gehen, wenn man die Person findet, von der die Netzhaut
stammt ...
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I N S Z E N I E R U N G •
Der
Begriff Eklektizismus bezeichnet eine unoriginelle, unschöpferische geistige
Arbeitsweise, bei der Ideen anderer übernommen oder zu einem System zusammengetragen
werden. Anstatt selbst kreativ zu wirken, sucht sich der Eklektiker in der Kunst
aus verschiedenen Stilepochen das jeweils vermeintlich Schönste, löst
es aus seinem sozialen und historischen Zusammenhang und baut daraus ein meist
(äußerlich) dekoratives „Neues”, das als solches verkauft wird, bei
genauerer Betrachtung seine Herkunft aber nicht verhehlen kann.
Genau
um ein solches Werk handelt es sich bei „The Eye”. Vor allem bei Shyamalans
„The Sixth Sense”, aber auch bei „Ringu” (Japan 1998) haben sich die Brüder
Pang kräftig bedient. Nicht nur das. Die „formal” „glänzende” Visualisierung
in „The Eye” ist ein hübsch-hässlicher Schein. Fast eine Stunde benötigen
die beiden Regisseure, um auch dem letzten Zuschauer auf dem hintersten Platz
im Kino plausibel zu machen, dass die junge Frau nach der Operation merkwürdige
Dinge sieht. Diese lange Zeit, in der so wenig erzählt und so viel „gezeigt”
wird, vergeht deshalb im Fluge, weil mit den Erwartungen des Publikums kräftig
spekuliert wird. Mir ging es nicht anders. Erst eine alte Frau, dann ein kleiner
Junge, dann ein Mann auf der Straße, dann einer im Fahrstuhl, dann ein
dicker Schüler auf der Straße – ein bereits Toter löst den nächsten
ab und schürt – untermalt von entsprechender „Schrecken erregender” Musik
– die Hoffnung, im nächsten Moment geschehe etwas wirklich Furchtbares.
Aber
nichts dergleichen passiert wirklich, wenn man einmal von dem blutigen Showdown
gegen Ende des Films absieht, der allerdings auch nicht gerade eine Ausgeburt
künstlerischer Kreativität darstellt. Wie schaffen die beiden Regisseure
es, dass man bei der Stange bleibt? Sie ließen „schöne” Bilder fotografieren,
die diese Erwartungshaltung des Betrachters bestehen lässt – zumindest
für eine bestimmte Zeit. Dabei handelt es sich um einen sehr einfachen
Trick: Man lässt die Kamera um Ecken herumfahren, sieht verschwommen wie
die Hauptfigur selbst, lässt eine Tote bei einem Kalligraphie-Kurs kurz
„ausflippen” („Was machst du auf meinem Platz”) – und hält sein Publikum
so länger hin, als es der Film verdient hat.
Und
sie engagierten eine Hauptdarstellerin, von der als einziger gesagt werden kann:
Sie leistet etwas. Lee Sin-je alias Angelica Lee spielt die Rolle der Hung Jiawen
(oder Mun, wie sie in einigen Besprechungen des Films genannt wird) äußerlich
ruhig, innerlich immer mehr zerrissen und verängstigt, sympathisch, und
nicht zuletzt ist sie ist, auf die sich die Augen des Betrachters ausschließlich
konzentrieren. Alle anderen Personen des Films – vielleicht bis auf die kleine
Yingying – sind Makulatur.
Hinter
der Geschichte selbst verbirgt sich: fast nichts. Denn es handelt sich eigentlich
gar nicht um eine Geschichte, eine Erzählung oder irgend etwas ähnliches.
Man muss auch nicht lange rätseln, was „dahinter steckt”. Von Anfang an
ist klar: Hung Jiawen sieht durch die Augen einer anderen – und deshalb das,
was diese einstmals gesehen hat. Sie sieht Tote, sie sieht Unglück voraus.
Welch grandioser Einfall, Hung Jiawen und ihren Psychologen Dr. Lu Hua zum Ursprung
des Geschehens, nach Thailand, fahren zu lassen, um mehr über die unfreiwillige
Netzhaut-Spenderin zu erfahren. Allerdings: Auch dies führt nicht dazu,
dass Hung Jiawen ihr Problem lösen könnte.
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F A Z I T •
„The
Eye” ist gnadenlos phantasielos, die Regisseure können nicht wirklich erzählen,
der Film bedient sich aller bekannten Klischees aus dem Sub-Genre des übersinnlichen
Films und schwelgt in ästhetisch aufgemotzten „schönen” Bildern, um
sein Publikum bei der Stange zu halten. Die Idee, in einem Film eine Person
Tote sehen zu lassen, die nicht einmal in irgendeiner Weise gefährlich
sind, reicht offensichtlich nicht aus, um einen spannenden Film zu machen. Von
Horror kann in diesem Zusammenhang sowieso keine Rede sein.
Wertung:
3 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
The
Eye
(Jian
gui)
Hongkong
2002, 109 Minuten
Regie:
Oxide Pang Chun, Danny Pang
Drehbuch:
Oxide Pang Chun, Danny Pang, Jo Jo Yuet-chun Hui
Musik:
Orange Music
Director
of Photography: Decha Srimantra
Schnitt:
Oxide Pang Chun, Danny Pang
Produktionsdesign:
Simon So
Darsteller:
Lee Sin-je (Hung Jiawen), Lawrence Chou (Dr. Lu Hua), Chutcha Rujinanon (Ling),
Yut Lai So (Yingying), Candy Lo (Yee), Yin Ping Ko (Muns Großmutter),
Pierre Ping (Dr. Eak), Edmund Chen (Dr. Lo), Wai-Ho Yung (Mr. Ching), Wilson
Yip (Taoist)
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