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Ten Minutes Older: The Cello
Fortsetzung
des Omnibus-Films zum Thema "Zeit"
Das Konzept hat den Charme einer
bei viel Zigarettenrauch im Café am Nachmittag geborenen Idee. Was, wenn
wir uns zusammentun, jeder kriegt das gleiche Budget, und jeder dreht damit
zehn Minuten zum Thema "Zeit"? Üblicherweise werden solche Projekte
vom Zauber des Anfangs beflügelt - noch namenlose Talente versuchen sich
durch Zusammenrottung Gewicht zu verleihen. Oder es werden mit Bedacht große
Namen versammelt, um einer politischen Aussage Gehör zu verschaffen. Im
Fall von Ten
Minutes Older
hat ein Produzent zur Klassenarbeit gebeten - und 15 etablierte Regisseure haben
abgegeben. Daraus sind zwei "Omnibus"-Filme, The Trumpet und The
Cello,
entstanden, die merkwürdig zwischen Projektfrische und Hausaufgabenmüdigkeit
schwanken.
Der erste der Kompilationsfilme,
The Trumpet, erwies sich als kurzweilige
Zusammenstellung von Short Storys, erstaunlich wenig abgehoben oder kopflastig.
In The Cello sind nun eher die Experimente,
Parabeln und Mini-Essays versammelt, mithin die ehrgeizigeren Projekte, denen
man vielleicht umso leichter ihre "Gewolltheit" ansieht.
Filmszenen aus fünf Jahrzehnten
schneidet zum Beispiel Jirí Menzel in One Moment zusammen. Der Schauspieler Rudolf Hrusínsky, einst ein
jugendlicher Held, naiv und schön, wird vor unseren Augen zum derben Mann
und schließlich zum kauzigen Alten. Menzels Film ist die Studie eines
Gesichts, eines Alterungsprozesses, faszinierend und erschreckend, aber eigentümlich
verfremdet durch die Tatsache, dass man immer nur ein "fiktives",
ein Rollengesicht, sieht - was den Beitrag auch zu einer Reflexion über
die Geschichte des Kinos macht.
Ähnliches versucht Bernardo
Bertolucci in seiner Geschichte
des Wassers:
Ein Junge geht los, um für einen alten Mann Wasser zu holen; unterwegs
trifft er eine Frau, heiratet, wird Vater, bis er, nun selbst alt, wieder auf
den alten Mann trifft, der ihn fragt, warum er so lange gebraucht habe. Doch
hier wirkt es, als seien zehn Minuten zu wenig Zeit, um dieser Pointe den nötigen
Spannungsbogen zu geben; man vergisst einfach nie, auf was es hinauslaufen soll.
Zu schnell vergeht die Zeit auch bei Mike Figgis, der als eine Art Spin-off
seines Time
Code im
Splitscreen von der Vergänglichkeit des Begehrens handelt. Wieder reichen
zehn Minuten nicht aus, um die raffinierten Wechselbeziehungen der vierfachen
Gleichzeitigkeit zu erfassen.
Das jeweilige schnelle Ende lässt
die Intention der Filmemacher allerdings auf eine Weise durchsichtig werden,
die für den Zuschauer interessant bleibt, auch wo die Kurzfilme selbst
enttäuschen. István Szabó will in einer schnittlosen Sequenz
von jenen entscheidenden Minuten erzählen, in denen sich ein Leben radikal
verändert; Volker Schlöndorff - ein deutscher Campingplatz, feiste
Leiber, feiste Grillwürste - gleich eine ganze Gesellschaft abbilden. Claire
Denis setzt dem Philosophen Jean-Luc Nancy auf einer Zugfahrt eine streng fragende
Studentin gegenüber, sein "Gesicht" zeigt dieser aber erst, als
er auf einen weiteren Passagier reagieren muss.
Der Mechanik solcher Schlusspointen
müde, lässt sich am Ende umso mehr der kleine Essay von Jean-Luc Godard
genießen: eine wilde Kompilation aus found footage, die sich mit raunendem Kommentar so rasant durch Zeit und Raum
bewegt, dass man mit den eigenen Gedanken kaum hinterherkommt. Godards Film
gleicht darin einem Gespräch im Café: Selbst herkömmliche Gemeinplätze
erscheinen durch die Intensität der Äußerung wie genialisch
frische Ideen.
Barbara Schweizerhof
Acht prominente
Filmemacher setzen sich in Kurzfilmen mit dem Vergehen der Zeit auseinander.
Manchen Beiträgen wünscht man eine längere Laufdauer und weniger
Pointen.
Dieser Text
ist zuerst erschienen in: epd Film
Ten Minutes Older: The Cello
Deutschland/Großbritannien/Spanien 2002. P: Ulrich Felsberg,
Nocolas McClintock, Nigel Thomas, Massimo Cortesi. M: Paul Englishby, das Cello
spielt Claudio Bohórquez. Pg: Road Movies/Matador/ Odyssey. V: Ottfilm.
L: 109 Min.
Histoire d'eaux: R und B: Bernardo Bertolucci. K: Fabio Cinaghetti. Sch: Jacopo
Quadri. T: Tommaso Quattrini. A: Metka Kosak. Ko: Louise Stjvernsward. Da: Amit Rayani Arroz (Narada), Valeria Bruni Tedeschi (Marcellinia),
Tarun Bede (alter Mann).
A Staircase - About Time 2:
R, B, Sch: Mike Figgis. K: Lucy
Bristow, Danny Cohen, Mike Figgis, Abert Kodagolian. Da: Dominic West, Alexandra
Staden, Mark Lang, Howard Goorney, Maria Charles.
One Moment: R: Jiri Menzel. P: Filip Sirow. Da: Rudolf Hrùsinsky.
Ten Minutes After: R, B: István Szabó. P:
Lajos Ovari. K: Lajos Koltai. Da: Ildiko Bansagi, Gabor Mate.
Vers Nancy: R, B: Claire Denis. P: Martine Cassinelli. K: Agnès Godard,
Lionel Perrin, Léo Dougall, Tony Chapuis. Sch: Emmanuelle Pecalet. Da:
Jean-Luc Nany, Ana Samardzija, Alex Descas.
Enlightenment: R: Volker Schlöndorff. B: Max Frye. P: Karsten Brünig.
K: Tilman Büttner, Andreas Höfer. Sch:
Peter Przygodda, Oliver Weiss. Da: Bibiana Beglau, Irm Hermann, Mario Irrek.
Addicted to the Stars: R, B: Michael Radford. P: Soledad Gatti Pascual. K: Pascal Rabaud. Sch: Lucia Cucchetti.
Da: Daniel Craig, Roland Gift, Claire Adamson.
Dans le noir du temps: R, B, P, Sch: Jean-Luc Godard
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