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Schotter
wie Heu
"Ich
war noch niemals in New York!"
In
Gammesfeld, irgendwo im Schwäbischen, gehen die Uhren anders. Nämlich
analog. Digitales ist hier, zumindest in der örtlichen Raiffeisenbank,
nicht erwünscht. Deswegen ist Gammesfeld auch so berühmt. Der alte
Betreiber der Bank, Fritz Vogt, war schon Gegenstand zahlreicher interessierter
wie verwunderter Zeitungsartikel und sogar schon mal, spätabends, beim
Kerner im TV. Da hat er sich aber zusammengerissen und nicht so sehr geschwäbelt
wie in diesem - stellenweise untertitelten! - Film. Die einzige Bank Deutschlands,
die noch komplett ohne Computer funktioniert - das macht Gammesfeld zur regionalen
Attraktion. Und die Bewohner des Dorfes wollen ihre Bank auch gar nicht anders:
Man kennt sie eben von kleinauf so, dem Vogt, dem vertraue man eben, mehr als
so einer digitalen, unpersönlichen Maschine und so ganz will man sich dem
raffenden Kapital eben auch nicht hingeben. Da schwingt man dann schon fast
eine bedenkliche Provinzrenitenz mit. Obendrein bedeutete eine Computerisierung
alleine schon durch die Anschaffungs- und Umstellungskosten den Tod für
die kleine Filiale und ein Mehr an Zinsen ist bei analoger Buchführung
sogar auch möglich: Den Schwaben freut's.
Ein
kleines Kamerateam beobachtet den rüstigen wie redseligen Senioren. Er
wolle nicht noch einmal als Freak zwischen Kuhstall - in der Freizeit ist Vogt
Landwirt - und Finanzbuchung dargestellt werden, heißt es zumindest in
den Begleitmaterialien zum Film. Die Tatsache, dass eine der beiden Filmemacherinnen
als eine aus der Umgebung Stammende den örtlichen Dialekt noch recht gut
beherrscht, schafft Vertrauen, wenngleich die beiden mit ihren Kameras in der
500-Seelen-Gemeinde nie ganz das Fremde verlieren.
Schnell
wird obendrein klar: Es geht nicht allein um das Kuriosum einer noch immer analog
geführten Bank, es geht vielmehr um ein Portrait der Befindlichkeiten im
Spiegel der Zeit. Denn überall in Gammesfeld lassen sich bereits Zeichen
eines Wandels entdecken: Ein jüngerer Landwirt präsentiert stolz seine
komplett vom Computer gemanagte Stallsäuberungsanlage. Wo man früher
noch stundenlang bei dicker Luft den Buckel krumm machen musste, drückt
man nun, fernab von Schiss und Jauche, nur noch ein paar Knöpfe und lässt
den guten Freund aus Silicon Valley den Rest der Arbeit verrichten. Die Jugendlichen
im Dorf engagieren sich kaum noch ehrenamtlich in Sportverein oder Feuerwehr.
Wer eines Tages, wenn Vogt dazu nicht mehr in der Lage ist, die Bank übernehmen
soll, ist ebenso unklar - eine Nachfolge ist nicht in Sicht. Und der Euro steht
auch vor der Tür.
Der
11.September findet während der Dreharbeiten statt: Er reicht gerade mal
für ein paar kurze Statements, einen Tag lang ist man perplex, die Stimmung
im Dorf gedämpft. Aber New York ist weit weg von Gammesfeld, in jeder Hinsicht.
Wie könnte man das besser ausdrücken als mit dem Bild des Stammtisches,
der am Abend still bei einem Bier vor sich hin brütet, im Hintergrund Udo
Jürgens vom Band: "Ich war noch niemals in New York, ich war noch
niemals in Hawaii ...". Dieser Moment grenzt schon an surreale Komik. Wenn
das Vorangegangene nicht so tragisch wäre.
Zum
Freak wurde Vogt nicht noch einmal degradiert. Dafür ist der Film schon
viel zu sehr auf Sympathie mit dem Gegenstand aus. Die typisch tappsige Musik
des Bajuwaren Haindling, den man auch "lang scho nimmer g'sehn" hat,
unterstreicht die provinzielle Beschaulichkeit, vor allem wenn sie einen dieser
alten Landwirte begleitet, die man wohl jederzeit in jedem Dorf dieser Größenordnung
in irgendeiner Straße finden kann, wie sie im Blaumann eine Schubkarre
wohin auch immer schieben. Man ist, dies ist in der Tat eigentlich ein Problem,
schon fast zu sehr dem klassischen Authentizitätsanspruch der Dokumentation
verpflichtet, belässt es lediglich beim Abfilmen äußerer Phänomene
und montiert diese stimmig zusammen. Schon allein Vogts irgendwie ja wirklich
sympathischer Modernentrotz schien diese Vorgehensweise verlockend zu machen:
Keine dieser gemahnenden Binsenweisheiten irgendwo zwischen Altersstarrsinn
und Lebensklugheit sollen verloren gehen. Warum aber die Jugend, wenn vielleicht
auch unbewusst, die Flucht antritt, davon erzählt der Film nicht, er verschweigt
es geradezu: Gezeigt werden entweder kleine Kinder, die sich im landwirtschaftlichen
Idyll noch wohl fühlen, oder aber schwäbelnde Teens und Twens, für
die allesamt - das sollte doch zu denken geben - es nur einen großen Traum
gibt, zumindest reden alle davon: Endlich ein eigenes Auto, Mobilität also.
Welche Kommunikationskanäle hinter den Fassaden der Fachwerkhäuser
regelmäßig heißlaufen, deutet der Film nur an: Da scheinen
ganz eigene Machtgefüge zu existieren, das graue Eminenzentum erfreut sich
in derart unanonymisierten Welten, man weiß das ja, noch immer höchster
Konjunktur.
Dabei
hätte ein Blick hinter die Kulissen jenseits bloßer Beschaulichkeit
dem Film gut getan. Vogt selbst ist immerhin ehrlich: Man solle erst gar nicht
glauben, dass man hier in einer Idylle lebe. Regelmäßig würden
Ehen geschieden - wenn man sieht, welchem Brunftverhalten die Filmemacherinnen
oft gegenüber stehen, meint man auch zu wissen, warum - und eine hohe Selbstmordrate
gäbe es hier auch. Dies wird indes nur widerwillig zugegeben und ist auch
eher Gegenstand von Witzeleien nach dem 11.September: Hier hätte man ja
auch so seine Selbstmord-Terroristen. Erst langes Nachhaken führt zur sukzessiven
Lüftung des Hintergrunds dieser Witzchen. Nun ja.
Als
Dokument von Umbruchszeiten ist der Film gewiss sehr wertvoll, gewissermaßen
bot sich mit dem Soziotop Gammesfeld die letzte Möglichkeit, die analoge
Ära als solche in der Geschichtsschreibung bundesrepublikanischer Peripherie
für die Zukunft festzuhalten. Doch der Blick in eine andere Welt löst
dann doch eher - analog zum dargebotenen provinziellen - urbanen Trotz aus:
Nach dem Film erstmal ins Starbucks nebenan, einen schönen Café
Late Macchiato trinken. Und dann schnell weiter ins Internetcafé, vielleicht
hat mir ja wer 'ne E-Mail geschrieben. Geliebtes Berlin.
Thomas
Groh,
2003
Diese Kritik erschien zuerst auf der Website der Zeitschrift: F.LM - Texte zum Film
Schotter
wie Heu
Deutschland,
2003
Regie/Kamera/Drehbuch:
Siegrun Köhler, Wiltrud Baier
Darsteller:
Fritz Vogt und weitere Gammesfelder
Offizielle
Website
http://www.schotter-wie-heu.de/
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