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Reservoir Dogs
Tarantinos Regiedebüt – mit dem unsäglichen deutschen Titel „Wilde
Hunde“ – zeigt schon deutlich die Vorlieben des Regisseurs für ein Kino,
das gegen den Strich bürstet, was klassische Dramaturgie, inhaltliche
Aussage und Effekte angeht. Tarantino schafft klassische Tragödien und
handelt doch gegen deren Regeln. Formal ist „Reservoir Dogs“ eine solche
klassische Tragödie mit dem kathartischen Ende, dem Tod aller, und doch
durchbricht er diese klassische Form der Tragödie an etlichen Punkten.
Die Geschichte selbst ist derart simpel gestrickt, das sie nicht weiter
auffällt. Wie Tarantino diese Geschichte aber verarbeitet, ist hoch
interessant und spannend inszeniert.
Acht Männer sitzen in einem Café und freuen sich auf ihren viel Geld
versprechenden Job. Die Kamera wandert minutenlang um die Gangster herum,
die sich ihres Erfolgs sicher sind, sie scherzen, ärgern ihren
Auftraggeber Joe Cabot (Lawrence Tierney), einen erfahrenen Gangster, für
den die anderen einen Juwelier ausrauben sollen. Tarantino stellt sie
vor, die sich – so will es Cabot – nur mit ihren Spitznamen kennen: Mr.
White (Harvey Keitel), Mr. Orange (Tim Roth), Mr. Blonde (Michael
Madsen), Mr. Pink (Steve Buscemi), Mr. Blue (Edward Bunker), Mr. Brown
(Quentin Tarantino) und Nice Guy Eddie (Chris Penn). Sie sprechen über
Madonnas „Like a Virgin“, über den Sinn oder Unsinn von Trinkgeldern. Als
sie das Café verlassen, sehen sie aus wie die Men in Black, schwarze
Anzüge, Sonnenbrillen, zu allem entschlossen.
Der Job geht schief. Die Polizei war anwesend. Und der Verdacht kommt
auf, dass unter den sechs Gangstern ein Verräter weilt. Einer der sechs
ist bereits tot, einer ist eine Weile lang verschwunden. Drei können in
eine Lagerhalle flüchten, Mr. White und der schwerverletzte Mr. Orange,
der in einer Blutlache liegt; später stößt Mr. Pink zu ihnen. Heftig und
nervös diskutieren sie, warum der Raub fehlgeschlagen ist, verdächtigen
sich gegenseitig. Der einzige vernünftige scheint Mr. White, der darüber
nachdenkt, was jetzt weiter geschehen soll. Mr. White und Mr. Pink
streiten, ob sie den schwerverletzten Mr. Orange in ein Krankenhaus
bringen sollen. Da platzt Mr. Blonde mitten in den Streit hinein und
führt Mr. White und Mr. Pink zum Kofferraum seines Wagens. Er hat einen
Polizisten, Marvin Nash (Kirk Baltz), entführt, den die drei nun in die
Halle bringen und gefesselt auf einen Stuhl setzen. Als Nice Guy Eddie
Mr. White und Mr. Pink holt, um die vor der Halle parkenden Autos zu
verstecken, beginnt Mr. Blonde – Mr. Orange liegt blutend und bewusstlos
am Boden – den Polizisten zur Musik von „Stuck in the Middle with You“ zu
foltern. Die Tragödie nimmt ihren Lauf ...
Formal ist „Reservoir Dogs“ ein klassischer „heist movie“, ein
Gangsterfilm, in dem der Coup scheitert, aufgeteilt nach Vorbereitung,
Durchführung und Blutbad (Rache, Katharsis) oder ähnliches zum Schluss.
Tarantino verzichtet allerdings schon auf die Darstellung der
Durchführung des Raubüberfalls auf das Juweliergeschäft. Lediglich die
Flucht unmittelbar nach dem Coup, als Mr. Orange blutend von Mr. White im
Auto weggefahren wird, deutet auf den fehlgeschlagenen Überfall hin. Auch
die Vorbereitung des Coups wird lediglich in einzelnen Rückblenden
ausschnittsweise gezeigt, ebenso die Vorbereitung von Mr. Orange, dem
Undercover-Polizisten, auf seine Rolle als Spitzel in der bunt
zusammengewürfelten Schar der Gangster.
Das Hauptgewicht des Films liegt aber auf den Szenen in der karg
ausgestatteten Lagerhalle. Diese Szenerie und die Handlung in der
Lagerhalle gleichen einem Theaterstück, einem Bühnenstück also, nicht
aber einem klassischen heist movie. Nicht die Vorbereitung und
Durchführung der Tat stehen im Vordergrund, sondern die Folgen ihres
Scheiterns. Tarantino dreht damit die klassische Reihenfolge solcher
Filme auf den Kopf und setzt noch eins oben drauf: nämlich die
(jedenfalls in dieser Hinsicht) völlig belanglose Anfangssequenz, in der
sich die acht Männer über den Sinn von Trinkgeldern streiten. Allerdings
hat diese im Verhältnis zur Dauer des Films relativ lange Anfangsszene
eine durchaus wichtige Funktion: die Personen werden vorgestellt. Die
Bedeutung, die den unterschiedlichen Charakteren der acht Männer zukommt,
wird dem Betrachter allerdings erst in der Lagerhalle bewusst.
Mit vier Rückblenden durchbricht Tarantino zusätzlich den klassischen
heist movie, folgt allerdings trotz allem den Regeln der klassischen
Tragödie, eben auf seine Weise: die erste stellt die Flucht von Mr. Pink
nach dem Überfall dar (70 Sekunden); die zweite zeigt Mr. White in Cabots
luxuriösem Büro, letzterer erklärt Mr. White den Job (2 Minuten); die
dritte spielt ebenfalls in dem Büro, Nice Guy Eddie schlägt Mr. Blonde
für die Teilnahme am Raub vor (acht Minuten); die vierte schließlich –
ganze 23 Minuten lang – zeigt die Vorbereitungen Freddys (Mr. Orange) auf
seine Undercover-Tätigkeit. Diese Rückblende ist eine fast schon eigene
Geschichte in der Geschichte und nimmt immerhin ein Viertel der Länge des
Films ein. Sie unterteilt sich wiederum in drei Teile: Einschleusen von
Freddy in Cabots Gang, direkte Vorbereitungen des Coups und Flucht von
White, Orange und Brown nach dem Coup. Auch diese Rückblende ist wiederum
mit Rückblenden versehen, u.a. mit der Szene, in der sich Freddy mit
einer Tasche voll Stoff in eine Herrentoilette begibt, wo sich vier
Polizisten und ein Polizeihund befinden.
Tarantino („Pulp Fiction") spielt also mit den Regeln des heist movie
ebenso wie denen der klassischen Tragödie, ohne die formale Struktur der
Tragödie jemals vollständig zu verlassen. Er realisiert sie auf seine
eigene Weise. Auch Gewalt inszeniert Tarantino auf seine Weise. Die
Szene, in der der Polizist Marvin Nash von Mr. Blonde gefoltert wird, ist
nicht gewalttätiger als viele Szenen in Kriegsfilmen, Thrillern u.ä., und
trotzdem wird ihr unterstellt, sie verherrliche Gewalt. Wer die Szene
jemals gesehen hat, kann das nicht ernsthaft behaupten, zumal das
Abschneiden des Ohrs nicht gezeigt wird. Wo hier die Sympathien liegen,
ist eindeutig: bei Nash, nicht bei Mr. Blonde, der im übrigen wenig
später die Quittung für seine Folterung erhält. An dieser Szene ist
nichts Amüsantes, Lustiges, im Gegenteil, sie verstört, der sadistische
Mr. Blonde schreckt ab, Nash ist derjenige, mit dem man mitfühlt, obwohl
man weiß, dass er keine Chance hat zu überleben [1].
„Reservoir Dogs“ ist ein hoch moralischer Film. Verrat beispielsweise
wird nicht geduldet. Es geht um Loyalität und Erlösung, aber auch um die
Fadenscheinigkeit und das Scheitern dieses ethischen Kodex in einem
bestimmten Kontext. Selbst Mr. White, der einem menschlich am nächsten
steht, duldet keinen Verrat. Mr. White mag Mr. Orange, man könnte sogar
sagen, zwischen beiden herrscht so etwas wie väterliche Freundschaft. Als
Mr. Orange am Ende gesteht, ein Spitzel zu sein, greift Mr. White
allerdings zur Waffe. Verrat wird bestraft, weil Vertrauen, hier sogar
ein leichter Anflug von Freundschaft oder zumindest Sympathie missbraucht
wurde. In diesem Kontext bedeutet Strafe immer Tod. Das führt Tarantino
auf eindrückliche Weise vor. Keiner der Gangster überlebt. Und auch
Freddy muss sterben. Denn er hat sich auf diesen Kontext eingelassen –
man mag das für ein „Berufsrisiko“ halten oder für etwas anderes. Mr.
White – ein eiskalter Gangster, der keine Skrupel hat, ein ganzes Magazin
und mehr auf ein Polizeiauto abzufeuern – erweist sich in diesem
moralischen System als unbescholtenster Mann unter allen. „Reservoir
Dogs“ ist formal – trotz der bewussten Brüche und Tendenzen gegen die
Regeln des Dramas und des heist movie – eine klassische Tragödie. Und
inhaltlich ebenso. Der Tod steht als Endpunkt in einem moralischen
System, in dem Loyalität alles ist und deren Verletzung unausweichliche
Konsequenzen mit sich bringt. Shakespeare inszenierte in dieser Hinsicht
nichts anderes.
Ulrich Behrens
[1] Vgl. die hervorragende Analyse zu diesem Film, auf die ich mich hier
weitgehend stützen konnte, von Robert Fischer, in: Fischer / Korte /
Seeßlen: Quentin Tarantino, Berlin 2000, S. 71-96
Dieser Text ist zuerst erschienen bei CIAO.de
Reservoir Dogs
[Reservoir Dogs] USA 1991
Start: 04.09.1992
Verleih: Ascot Elite
Laufzeit: 95
FSK: 18
Drehbuch: Quentin Tarantino
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Harvey Keitel, Tim Roth, Chris Penn, Steve Buscemi, Lawrence
Tierney , Michael Madsen, Eddie Bunker, Quentin Tarantino, Randy Brooks
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