zur
startseite
zum
archiv
Quer
durch den Olivenhain
Eine
Fassade wie in der Opernkulisse: Von der einstöckigen Häuserfront
bröckelt der Putz, rechts führt eine steile Treppe nach oben, oben
quer ist ein Balkon mit einer Verkleidung aus blaugestrichenem Holz, davor Geranientöpfe.
Auf der Treppe sucht ein junger Mann nach seinen Socken, aus dem Off hören
wir die Kommentare einer - seiner - Frau. Aus dem Gespräch mit einem anderen
Mann, der links in einer Fensternische sitzt, erfahren wir, daß der junge
Mann frisch verheiratet ist, daß es noch am Hochzeitstag ein verheerendes
Erdbeben gab und das junge Paar die Hochzeitsnacht auf freiem Feld verbringen
mußte - zwischen Toten und Verwundeten.
Schnitt.
Gegenüber dem Haus ein Filmteam: Regisseur, Kameramann. Tonmann, Assistentin.
Regieanweisungen, Korrekturen. Wir sehen: Das Haus ist nur Attrappe, eine hergerichtete
Ruine in einem vorn Erdbeben zerstörten und verlassenen Dorf. Die Blumen
sind von weither zusammengetragen. Der junge Mann und die junge Frau spielen
ein Ehepaar für die Kamera.
Während
der Drehpause redet Hosein, der Schauspieler, oben auf dem Balkon auf seine
Partnerin ein. Von Liebe spricht er und von der Zukunft, von dem Haus, das er
ihr bauen will, von der Aufmerksamkeit, mit der er sie verwöhnen, vom Glück,
das er ihr schenken will. Eine Antwort erbittet, fordert er, ein Zeichen mindestens,
daß sie ihn erhört hat. Denn etwas anderes, als erhört zu werden,
ist für ihn nicht vorstellbar.
Hosein,
der bei den Filmaufnahmen den jungen Bauarbeiter in den Flitterwochen spielt,
ist außerhalb des Films in die junge Frau verliebt, die im Film seine
Ehefrau darstellt. Vor Jahren schon hat er ihrem Vater einen Antrag gemacht
und ist abgewiesen worden, als zu arm und zu ungebildet. Nachdem das Erdbeben,
der große Gleichmacher, fast allen fast alles genommen hat, versuchte
Hosein noch einmal sein Glück bei der Großmutter, der einzigen Überlebenden
der Familie - wieder erfolglos. Jetzt gibt ihm das Zusammentreffen mit der Angebeteten
bei den Dreharbeiten eine letzte unverhoffte Chance, seine Werbung-im traditionellen
Kontext sicher ungewöhnlich - direkt an die Frau zu richten. Diese allerdings,
das Mädchen Tahereh, ist eine Mauer aus Abweisung und Schweigen. Nicht
einen Blick gönnt sie ihrem Verehrer, unbewegt sitzt sie auf ihrem Stuhl
auf dem Balkon und studiert ihr Buch, während der Mann ihr Komplimente
macht, Tee serviert und Blütenzweige zusteckt.
Eine
reizvolle erzählerische Konstellation: Der hoffnungslos Verliebte muß
den jungen, leicht herrischen Gatten geben, die spröde Abweisende die ehrerbietige
Ehefrau. Das Rollenspiel ermöglicht spielerischen Umgang auch mit dem Leben,
das Leben drückt dem Rollenspiel seine Eigenheiten auf: Take um Take muß
aufgenommen werden, weil sich das Mädchen weigert, ihren Ehemann so anzusprechen,
wie es das Drehbuch fordert, sie es aber für unangemessen hält. Wieder
und wieder steigt der junge Mann die Treppe hinunter, wieder und wieder kommt
von oben ihr Kommentar. Szenen einer Ehe, leicht variiert.
Abbas
Kiarostamis Film ist ein Film der Bezüge und der Querverweise, der Spiegelungen
und Brechungen, Verschiebungen und Variationen. Er erzählt eine einfache
Geschichte, die doch auf viele andere verweist, er erzählt sie in einfachen
Bildern und Wörtern, die reich sind an Assoziationen und Bedeutungen.
QUER
DURCH DEN OLIVENHAIN ist der dritte einer Reihe von Filmen Kiarostamis, die
sich in Themen, Örtlichkeit und Motiven aufeinander beziehen. WO IST DAS
HAUS MEINES FREUNDES? hatte die Geschichte einer Jungenfreundschaft und kindlichen
Aufbegehrens im ländlichen Nordiran erzählt. Für UND DAS LEBEN
GEHT WEITER kehrte der Regisseur in jenes mittlerweile vom Erdbeben zerstörte
Dorf zurück, um das Schicksal seiner Darsteller zu erkunden - und erzählt
genau darüber in seinem Film.
QUER
DURCH DEN OLIVENHAIN nun berichtet von Dreharbeiten in jener verlassenen, ländlichen
Region, die sich aus technischen, dann auch aus persönlichen Gründen,
zunehmend schwierig gestalten. Was gedreht wird, sind einige Szenen aus Kiarostamis
letztem Film UND DAS LEBEN GEHT WEITER: Die Geschichte zwischen Hosein und Tahereh
beruht, so Kiarostami „nahezu vollständig auf einer wahren Begebenheit"
bei den Dreharbeiten zu diesem Film. Die beiden Schauspieler sind dieselben
wie damals im Film. Das Haus sieht ähnlich aus und ist doch ein wenig anders.
Fast
unentwirrbar geht hier aus dem Realen die Fiktion hervor und führt in die
Wirklichkeit zurück: denn schließlich, auch wenn dies nicht gezeigt
wird/werden kann, wir wissen, daß es ein zweites Filmteam geben muß,
das wiederum Hosein und Tahereh und das Filmteam filmt, wie sie an dem Film
arbeiten, den wir sehen.
Widrig sind die Arbeitsbedingungen in der verlassenen
Berggegend, Schauspieler und Material müssen von der Assistentin mühsam
mit dem Geländewagen herantransportiert werden, das Team kampiert in einer
Lichtung zwischen den Olivenbäumen. QUER DURCH DEN OLIVENHAIN ist ein Film
der Außenräume und der zurückzulegenden Wege. Draußen, zwischen dem Rascheln der Olivenbäume und dem Lärmen
von Automotoren spielt sich das Leben ab, der Weite der Landschaft treten die
engen Blickverhältnisse im Inneren der Autos und auf den Ladeflächen
gegenüber, Fahrgastkabinen als die einzigen Innenräume überhaupt.
Häuser gibt es hier nur als Erinnerung und als Hoffnung: zerstört,
verlassen, aufzubauen, als Ruinen und als Baustelle.
Hosein,
der Verschmähte, der Bauarbeiter, dessen größter Mangel das
Fehlen eines Hauses ist, macht im Überschwang, der Schmach das eigene Leid
für das allgemeine Unheil verantwortlich: „Ich glaube, es war das Seutzen
aus dem Herzen, daß all diese Häuser zerstörte."
Hosein,
ein ernsthafter junger Mann mit einem verletzlichen, weichen Gesicht, verrennt
sich mit bäuerlichem Starrsinn in seine Geschichte. Und diese Geschichte
einer männlichen Besessenheit, denn Liebe kann man es nicht nennen, schält
sich mit Beharrlichkeit heraus aus der Fülle des Erzählten. Eine einfache
Geschichte, auch hier als Kette von Wiederholungen. Immer wieder von neuem setzt
der Junge an zu immer neuen Erklärungen. Beschwörungen. Versprechungen.
Und
Tahereh? Traut sie sich nicht oder will sie nicht? Oder weiß sie nicht,
was sie sich trauen oder wollen darf? Konsequent zeigt Kiarostami die Frau als
Objekt des Begehrens, handelnd nur in der Verweigerung - und verbietet jeden
Blick nicht nur auf ihr Gesicht, sondern auch in die Beweggründe ihres
Handelns. Eine Möglichkeit, den Bilderregeln der islamischen Revolution
Genüge zu tun, ohne seiner Geschichte Zwang anzutun, und eine Erzählperspektive,
die in der Konsequenz, mit der sie durchgehalten wird, verstanden werden könnte
als Einsicht des Regisseurs in die Begrenztheit jedes Blicks und auch als Kommentar
zu einer gesellschaftlichen Situation, die weibliche Willensäußerungen
schnell an schroffe Grenzen stoßen läßt. Die Hilflosigkeit,
in die die Passivität der Frau den jungen Mann stürzt, überträgt
sich auf die Haltung der Zuschauenden. Stellung zu beziehen, scheint fast unmöglich.
Abbas
Kiarostami, geschult in der jahrzehntelangen Arbeit für das Teheraner „Institut
zur intellektuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen", läßt
seinen größtenteils nicht professionellen Darstellern durch äußerst
reduzierte Drehbuchvorgaben Raum, ihre Figuren improvisatorisch zu entfalten.
Gerade in den Nebenrollen läß diese Arbeitsweise eine offene, fast
dokumentarische Atmosphäre entstehen. Ein Bauarbeiter, der stur die Straße
blockiert. Flüchtlingsfrauen, die sich mit scheuer Zurückhaltung den
Fragen des Regisseurs öffnen, die strenge, kluge Arbeitsweise der Regieassistentin:
Das sind Menschen, wie sie selten sind im Kino.
Leider
aber findet Kiarostami, vom Schöpfergeist getrieben, dann doch eine Figur,
die es erlaubt, die vornehm-weise Zurückhaltung zu durchbrechen. Nicht
durch Zufall wohl ist es der Regisseur des Films im Film, als einziger gespielt
von einem Professionellen, dem Schauspieler Mohamad Ali Keshavarz. Mit auffälligem
Wohlgefallen, ja mit Eitelkeit ist dieser Mann in Szene gesetzt, mit verständnisvollem,
doch deutlich patriarchalem Gestus hat er das Geschehen im Griff. Als wohlwollender
Komplize beteiligt er sich auch an Hoseins Brautwerbung, deren Erfolg er als
lächelnder Gönner aus dem Abseits beobachtet. Ihre Spiegelung findet
dieses innerfilmische Autoritätsgebaren interessanterweise in dem Zwang,
den der Regisseur Kiarostami seiner Geschichte mit seinem Ende antut; einem
Ende, das, in einer wunderschönen, langen, blickfesselnden Totale einen
harmonischen jubilierenden Schlußakkord setzt, der sich als solcher in
seiner Schönheit genießen läßt, der Filmerzählung
aber als auktoriales Wunschdenken aufgezwungen erscheint.
Vor
einigen Jahren, als erstmals einer seiner Filme bei uns in die Kinos kam, galt
der iranische Regisseur Abbas Kiarostami als Geheimtip, und sein Film WO IST
DAS HAUS MEINES FREUNDES? wurde als ein „Kinderfilm auch für Erwachsene"
gehandelt. Mittlerweile haben Filmfreunde und Cineasten, vor allem in Frankreich,
den Regisseur entdeckt und feiern ihre Entdeckung gebührlich. Preise wurden
vergeben, hochgestochene Analysen verfertigt, jetzt im August wurde dem Oeuvre
des gerade mal 55jährigen Abbas Kiarostami die Retrospektive des Filmfestivals
von Locarno gewidmet. Der Verdacht taucht auf, daß der Überschwang
dieses Jubelns auch der Dankbarkeit geschuldet ist für ein Glück,
das verloren schien: filmische Vielschichtigkeit und Intelligenz gepaart zu
sehen mit einer erzählerischen Unschuld, die im aktuellen Kino immer an
der Komplexität der Wirklichkeit scheitert, im fernen Lande Iran aber noch
möglich und irgendwie auch legitim erscheint.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd Film 9/95
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
QUER
DURCH DEN OLIVENHAIN
ZIRE
DARAKHTAN ZEYTON
Iran
1994. R, B, P, Sch: Ahbas Kiarostami. K:
Hosein Djafarian, Farhad Saba. T: Mahmoud Samakbashi, Y. Nadjafi. Pg: Ciby 2000.
V: Pandora. L: 103 Min. St: 7.9.1995. D: Hosein Rezai (Hosein), Tahereh Ladanian
(Tahereh), Mohamad Ali Keshavarz (Regisseur), Zarifeh Shiva (Mrs. Shiva), Farhad
Kheradmand (Farhad).
zur
startseite
zum
archiv