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Bilder können (be)trügen.
Mit Bildern kann manipuliert werden. Die Werbung arbeitet mit dieser Möglichkeit.
Aber man muss nicht auf solche Mechanismen der Macht der Bilder zurückgreifen,
wie der spanische Regisseur chilenischer Herkunft Alejandro Amenábar
(„Faszination
des Grauens“, 1996;
„The
Others“, 2001) in
seinem 1997 inszenierten Meisterwerk „Open Your Eyes“( „Abre los ojos“) verdeutlicht
hat. Der Erfolg dieses Films, vor allem in Spanien selbst, wo er zu einer Art
Kultfilm wurde, veranlasste Cameron Crowe 2001 zu einem Remake mit Tom Cruise,
(ebenfalls) Penélope Cruz, Cameron Diaz, Jason Lee und Kurt Russell in
den Hauptrollen. Crowe erzählte die Geschichte in „Vanilla
Sky“ buchstabengetreu
nach, wenn er auch anfangs David Aames – den César in seiner Version
– als Teilhaber einer Firma einführte und die gesamte Handlung amerikanisierte.
Wie bei anderen Remakes, etwa bei Christopher Nolans „Insomnia“ (2002), ein
Remake von Erik Skjoldbjærgs „Todesschlaf“ (1997), fällt das ganze
Gewicht dessen in die Waagschale, was Hollywood-Kino ausmacht.
Es erzeugt eine wohlige, warme Nähe
zu den Figuren. Diese Nähe kann sowohl Nah-Sein als auch Fern-Sein bedeuten.
Tom Cruise, anfangs der Playboy, zum Schluss der auf seine Normalität zurecht
gestutzte Mensch, ist eben einer wie du und ich. Eduardo Noriegas César
dagegen „wahrt“ die Möglichkeit, die Wahl zwischen Ablehnung und Zustimmung,
und vor allem – was viel wichtiger ist – Amenábar stellt diese Frage
der Identifikationsmöglichkeit in den Rahmen einer Handlung, einer Geschichte,
die Hand und Fuß hat und sich nicht in irgendeiner Art von sanftem, aber
nichtsdestotrotz amerikanisiertem Heldentum erschöpft. In Crowes „Vanilla
Sky“ mutiert die Handlung zu einem äußeren Rahmen, der lediglich
der Heldengeschichte zu dienen hat: Tom Cruise findet zu sich selbst zurück
– the american dream. Penélope Cruz, in „Open Your Eyes“ die ambivalente,
mal liebevolle, mal kalte Glanzgestalt, hat in „Vanilla Sky“ das Format of the
nice girl von nebenan, das man im Central Park beim Joggen trifft und mit dem
man gerne mal small talk hat.
Ist „Vanilla Sky“ deshalb ein schlechter
Film? Mir hat er gefallen, obwohl er mit den typischen Trugbildern des Mainstream-Kinos
arbeitet, die unserer Kultur, unserer Mentalität eben auch nicht fern sind,
fremd sind, sondern deren Teil. Das Original von Amenábar ist jedoch
ein weites Stück ehrlicher. Das Paradoxe vor dem Hintergrund dieses Vergleichs
beider Filme ist, dass die Manipulierbarkeit durch Bilder bei Amenábar
viel deutlicher und in gewissem Sinn krasser ausfällt als bei Crowe und
„Open Your Eyes“ trotzdem mehr an Glaubwürdigkeit, an Ehrlichkeit besitzt.
Crowes Version führt den Weg auf Umwegen zurück in die vermeintliche
Sicherheit des Daseins. Amenábar lässt alles offen.
César (Eduardo Noriega),
reich und Frauenheld, wacht zweimal auf. Er rasiert sich, schaut in den Spiegel,
zieht sich an, geht in die Tiefgarage. Das mächtige doppelte Tor öffnet
sich wie die Augen des Betrachters. César fährt hinaus, es ist kurz
nach 10 Uhr morgens in Madrid. Doch die Straßen sind menschenleer, kein
Verkehr, eine tote Stadt. Er steigt aus, irrt herum. Zum zweiten Mal surrt der
Wecker „Öffne deine Augen“. César hat geträumt. Wiederum steht
er auf, rasiert sich, zieht sich an, geht in die Tiefgarage, das Tor öffnet
sich und die Straßen sind – wie gewohnt – voll von Autos, Menschen, Lärm.
César hat keine feste Freundin.
Derzeit heißt die Frau, mit der er schläft, aber schon längst
nicht mehr schlafen will, Nuria (Najwa Nimri), die nicht nur bemerkt, wie er
sie los werden will, sondern tief verletzt, enttäuscht ist. Auf seiner
Geburtstagsparty erscheint Césars Freund Pelayo (Fele Martínez)
mit der schönen Sofia (Penélope Cruz), die César sofort als
Nachfolgerin für Nuria auswählt. César zweifelt nicht, vor
allem nicht an sich selbst, Sofia zu bekommen.
Als er ihre Wohnung verlässt
und wegfahren will, sieht er Nuria, in Rot gekleidet in ihrem roten Auto, auf
ihn wartend. Sie überredet ihn einzusteigen. Sie fährt los, und plötzlich
rast sie die Straße entlang, immer schneller. „Glaubst Du an Gott?“ fragt
sie César und fährt mit hohem Tempo an eine Mauer.
Bis zu diesem Zeitpunkt erscheint
der Film (fast) wie eine Liebesgeschichte, ohne Liebe auf Césars Seite,
mit enttäuschter Liebe auf Nurias Seite. Lediglich die Eingangsszene des
„zweimaligen“ Aufwachens deutet von einer schleichenden Ungewissheit, von Dingen
abseits von Sicherheit, vollständiger Kontrolle. Schnell jedoch stellt
sich danach wieder das Gefühl eines sicheren Lebens ein. Schließlich
war das erste Aufwachen nur ein Traum. Aufatmen, Erleichterung, aber nur kurze
Zeit.
Der Unfall scheint alles zu verändern.
Nuria ist tot. César überlebt, schwer verletzt und mit entstelltem
Gesicht, ein Gesicht, das dem Darsteller in einem Horrorfilm, einer Kreatur
wie in „Frankenstein“ etwa, in nichts nachsteht. César gerät außer
sich. Die Ärzte machen ihm wenig Hoffnung, wieder so auszusehen wie vor
dem Unfall. Sie überreichen ihm eine Maske aus biegsamen Material. Sofia
und Pelayo reagieren abweisend auf César. An einem Morgen findet Sofia
César auf der Straße vor ihrer Wohnung liegend, weckt ihn, nimmt
ihn zu sich. Sie schlafen miteinander. Doch Césars Verzweiflung wandelt
sich in einen Horrortrip. Plötzlich liegt nicht Sofia im Bett, sondern
Nuria. Er hält ein Kissen auf ihr Gesicht.
Das alles erzählt er dem Psychologen
Antonio (Chete Lera). Es scheint, als ob César Nuria erwürgt hätte,
die doch beim Autounfall ums Leben gekommen ist. César, in der psychiatrischen
Abteilung maskiert, erzählt auch davon, dass sein Gesicht plötzlich
wieder wie früher ausgesehen habe. Er erzählt von einem Mann, der
ihn verfolgt habe, und sich als Geschäftsführer einer Firma mit Namen
„Life Extension“ entpuppte, er glaubt an eine Art Verschwörung gegen ihn
...
Amenábar steigert die Absurdität,
den Alptraum, die Vermischung von Realität und Wahn bis zum Äußersten.
„Open Your Eyes“ durchstreift die Genres Sciencefiction, Horror, Kriminalfilm,
psychologisches Drama und lässt bis zum Schluss alle Fragen von Schein
und Sein, Wirklichkeit und Einbildung offen. Der Film entfaltet trotz aller
geheimnisvollen Ereignisse, mysteriösen Personen eine innere Logik und
Dynamik, die scheinbar mehrere Lösungen der „brennenden Fragen“, denen
sich César und der Betrachter stellen müssen, zulassen.
– ein Sciencefiction über eine
geheimnisvolle Organisation, die mit „Lebensverlängerung“ ihr Geld verdient;
– eine psychologische Studie über
einen Mann, der aus seiner Selbstgewissheit und Selbstgerechtigkeit herausgerissen
wird, dessen Arroganz ihn in eine Wahnvorstellung treibt;
– eine „medienkritische“ Analyse,
die beweist, das Kino Manipulation in allen Schattierungen sein kann.
„Abre los ojos“ ist von allem etwas.
Vor allem aber fragt Amenábar nach der Wirklichkeit. Was ist das eigentlich?
Sind Traum, Phantasie, Wahnvorstellungen etwas anderes als Wirklichkeit? César
hat drei Gesichter: das Gesicht des schönen jungen Playboys vor dem Unfall,
das entstellte Gesicht nach dem Unfall und das Gesicht mit der Maske. Die Liebe
erscheint doppelt in Gestalt von Nuria und Sofia. Nuria, in Rot gekleidet und
mit einem roten Sportwagen, einem Rot, das für Liebe, aber auch für
Vorsicht steht. Sofia dagegen, schön, aber eher unauffällig, raumgreifend,
aber doch auch wieder zurückhaltend, ambivalent in ihren Gefühlen
gegenüber César. Beide Frauen erscheinen wie Bild und Wunschbild
Césars, der zur Liebe nicht fähig scheint. Sein Wunschbild wird
leibhaftig, doch kurz darauf wird er zum Monster. So rasch, wie er seinen Wunsch
in der Figur Sofias realisiert sieht, so rasch wird er auf eine Normalität
zurückgeführt, in der sein entstelltes Gesicht wie das nach außen
gekehrte Innere seiner selbst erscheint.
César ermordet Nuria. Aber
Nuria stirbt zweimal. Sie spürt die Ablehnung durch César und bringt
sich um. Aber sie hat eine Wiederauferstehung. César wird sie nicht los.
Er sucht die Liebe und tötet sie zugleich. Der Mord, der Tod kann sie nicht
aus seiner Erinnerung löschen. César kann vor seiner Vergangenheit
und sich selbst nicht davonlaufen.
Der Schluss des Films löst
die Geschichte auf. Eindeutig? Unzweifelhaft? Das Öffne-Deine-Augen des
surrenden Weckers ersetzt Amenábar durch eine dunkle Leinwand. Eine Stimme
ertönt und sagt „Tranquilo César, tranquilo“. Geht da ein Alptraum
zu Ende? Geht der Alptraum weiter, ohne dass der Film weiter geht? Die Augen
sind geschlossen, man sieht nichts, man hört eine Stimme, die zu beruhigen
versucht, wie jemand, der gemerkt hat, dass der eben noch Schlafende einen Alptraum
hatte. So scheint es, und es beruhigt unser Gewissen, dass es so sein könnte,
ja, so sein muss – alles nur ein Alptraum.
Amenábar taucht sein Publikum
in eine unsichere Welt, in der es selbst lebt. Und er entlässt es ebenso
unsicher mit der vagen Hoffnung, alles könne nur der Alpdruck, Horror im
Traum gewesen sein. Was allerdings heißt „alles“? Der Unfall, Sofia? Der
Psychiater? Die Firma „Life Extension“? Der Kommissar? Der Freund? Nuria? Was
davon war Traum und was Wirklichkeit? Und so zeigt Amenábar eben auch,
wie Kino manipulieren kann und im Unsicheren hinterlässt, was doch „klar
zu sehen“ ist. Unsere Bilder geraten in einer Welt ins Wanken, in der wir kontinuierlich
von Sicherheit träumen, ohne sie zu haben und besitzen zu können,
in der wir ständig festhalten wollen, was uns lieb und teuer ist, ohne
es fixieren zu können. Nicht nur in dieser Hinsicht überzeugt Amenábars
„Open Your Eyes“ eher als das Remake von Cameron Crowe.
Ulrich Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei CIAO.de
Open Your Eyes
(auch unter den Titeln: Öffne die Augen; Virtual Nightmare
– Open Your Eyes)
[Abre
los ojos]
Spanien, Frankreich, Italien 1997
Laufzeit:
117
Drehbuch:
Alejandro Amenábar, Mateo Gil
Regie:
Alejandro Amenábar
Darsteller:
Eduardo Noriega, Penélope Cruz, Chete Lera, Fele Martínez, Najwa
Nimri, Gérard Barray, Jorge de Juan, Miguel Palenzuela, Pedro Miguel
Martínez
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