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Oktoberfest
Wenn der Film ein spielfilmlanger Trailer für
eine Serie wär, dann wär endlich nicht nur Berlin eine standing location
für schöne Menschen, junge Liebe und lösbare Beziehungsprobleme.
Nach den Gesetzen der TV-Dramaturgie verflechten sich in "Oktoberfest"
Handlungsstränge, brechen ab, werden wieder zusammengetackert und entwirrt.
Immer und immer wieder werden in ausgereiften Ansichten Totalen vom Münchner
Volksfest platziert und Fahrgeräte voll innovativer, aber auch nostalgisch-bodenständiger
Art vorgestellt. Werbewirksam ist auch die Wandlung japanischer Touristen. Sie
stehen für die internationale Attraktivität des Oktoberfests ("Let's
go to Oktoberfest"). Skeptisch anfangs der eine, kindisch sind ihm die
Saufrituale. Aber dann prostet auch er der Gemütlichkeit zu. Doch fehlt
es ihm fürs Biertrinken an Übung. Die Bayern sind dem Asiaten voraus.
Gefördert ist "Oktoberfest" von Bayern
(FFF), dem Bund (FFA) und dem Bundeskulturministerium (BKM), koproduziert vom
Bayerischen Rundfunk und Arte. Das läßt aufmerken. Und in der Tat
ist der Film ästhetisch aufgewertet. Das Fest der Bayernmetropole ist eine
feine Sache, öffentlichrechtliche Oberschicht. Edel verhält sich die
Festpolizei. Hat sie endlich den gehtüchtigen Täter gefaßt,
der im gestohlenen Rollstuhl rumfährt und einen Selbstmordanschlag vortäuscht,
dann wird er auch schon mit der Auflage entlassen: "Bringen Sie den Rollstuhl
dorthin , wo Sie ihn gestohlen haben. Verschwinden Sie!" So kulant geht
es in München zu, und die Drehbuchsätze sagen es wie überall
im Film laut und deutlich aus.ge.spro.chen. Autor und Regisseur Johannes Brunner
liefert mit "Oktoberfest" sein Spielfilmdebüt ab. Als Münchner
ist er ein gestandener Mann, studierter Bildhauer an der Akademie der Bildenden
Künste, Professor der Kunstakademie, Lehrbeauftragter der Hochschule für
Fernsehen und Film (HFF). Alles München.
Zugegeben, daß die Verlegung der Spielhandlung
in die live reality des Oktoberfests die Schauspieler (Lohmeyer, Rudnik) dazu
nötigt, das Umtata des Festzelts zu überschreien; zugegeben auch,
daß der eine oder andere Blick in die Kamera unvermeidbar ist, so bleibt
doch ein Unbehagen. Und zwar an den gut bekannten Schauspielern. Sie sind in
diesem Genremix Fremdkörper, und die grölenden Fans der bayerischen
Gemütlichkeit dominieren dokumentarisch. Ethnisch sind sie monströs
faszinierend, diese Ballermanns auf den Wiesn. Was freilich einwandfrei eine
unbayerische Sicht ist. Auf den Tischen dralle Maiden. Der Bauch quillt aus
den Jeans. Ekstase pur. Das muß man gesehen haben.
Die Kamera hat es gesehen. Thomas Riedelsheimer ist
Chefkulturdokumentator fürs Fernsehen. Mit Preisen ist er überhäuft,
und "Rivers
and Tides" (2000) ist mein spezieller
Favorit. Welch ein Glück für die Maßleerer; sie kommen gänzlich
unsatirisch ins Bild als ethnische Besonderheit und expandierendes Brauchtum.
Das "Oktoberfest" wird darüberhinaus von ein wenig aufdringlichem
Schnitt aufgemotzt (Horst Reiter). Das ist allererster Güte. Zwar einwandfrei
inkompatibel mit der seriellen Handlung, auch mit dem ehrlichen dokumentarischen
Blick, aber doch fernsehgerecht. Altavangardistische Schnittcluster suggerieren
Spannung, wie wir sie aber auch von den innovativen Clips gewohnt sind, für
die Reiter verantwortlich ist (Telekom, BMW, Langnese, McDonald's). Von tieferer
Bedeutung ist auch, den Ton zu einem menschenleeren Festzelt mit einem gefüllten
anzulegen, falls das nicht ein Gag war.
Ich will ja gar nichts Böses sagen, auch bitte
ich um Verzeihung, daß ich die diversen Handlungsstränge nicht referieren
mag. Es ist ja alles da, Fiktives, Dokumentarisches, Unterhaltsames, Bayerisches,
Japanisches, doch es kommt nicht so recht zusammen. Verzweifelt versucht der
Regisseur zu einem Ende zu kommen. Es gelingt ihm nicht. Bestimmt hat er geschwitzt,
es hinzukriegen, noch die kleinste Nebenhandlung gewissenhaft abzuschließen.
Ergebnis ist, daß der Film ein Dutzend Enden hat, also kein einziges.
Der Zuschauer, dem was offen bleiben kann, wird gut dran tun, seinen Kinobesuch
vorzeitig zu beenden.
Dieser
Text wurde für die taz geschrieben
Deutschland
2005 - Regie: Johannes Brunner - Darsteller: August Schmölzer, Barbara
Rudnik, Peter Lohmeyer, Branko Samarovski, Gunnar Möller, Hildegard Kuhlenberg,
Arndt Schwering-Sohnrey, Samira Bedewitz - Länge: 120 min. - Start: 1.9.2005
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