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Oi! Warning
Ein kampagnenfreier Skinhead-Film. Das Wort "Naziglatze"
fällt, aber das ist auch schon alles an expliziter Politik; außerdem
spielt der Film nicht in Brandenburg, sondern in Dortmund, Bochum, Hagen, Haltern
und Hamburg. »Oi!
Warning«, der Film der Schlammtaucher Produktion, ist das beste,
was man im Kino über Skins, Bauwagenbewohner und ihre Frauen sowie übers
Schlammtauchen einerseits, über die Einrichtung eines Kinderzimmers für
den Zwillingsnachwuchs andererseits sehen kann. Die Regisseure, die Reding-Zwillinge,
haben den Film schwarzweiß gedreht, was auf wundersame Weise von den Klischees
wegführt; was realistisch ist und doch Alptraum (der alte Mann, der in
der Keller-Passage junge Leute anquatscht, muß leider seine eigene Pisse
trinken) und was einwandfrei monumentale Skulptur ist und doch komisch: Gleich
am Anfang posiert Skin-Held Koma nackt im deutschen Buchenwald, angehimmelt
von der lichtübergossenen schwangeren Sandra. Das ist ein starkes, großartiges
Bild, wie es im deutschen Film seit Riefenstahl/Fassbinders Zeiten nicht zu
sehen war.
Erzählt wird eine Geschichte. Politische Klischees
werden vom Film nicht bedient. Die Frauen versuchen, ihre Jungs zu trimmen ("Hör
mal zu, Du wirst Vater!"), die Jungs probieren männerbündnerische
Erotik aus. Bürgersohn Janosch kopiert seinen alten Freund Koma und schert
sich den Kopf; aber lieber hat er mit dem Bauwagen-Chaoten Zottel Sex im Schlamm
oder war es im Bauwagen unter dem APPD-Wahlplakat "Arbeit ist Scheiße"?
In Fraktur.
Wir müssen den ersten Satz relativieren. »Oi! Warning« ist ein Film über eine Bewegung: ins Skin-Lager
reingehen und (mit viel Nutzen und noch größerem Schaden) wieder
raus. Die durchkomponierten Bilder (der Film basiert auf einem detaillierten
Storyboard) sprechen ihre eigene, averbale Sprache. Beim Boxen verliert sich
das Hintergrundgeräusch; der schmatzende Ton, mit dem die Glatzen-Faust
das Gesicht trifft, ist isoliert: ein akustisches Exponat, während später
der Ton draußen, im Freien, aufs Vogelgezwitscher konzentriert wird: Dann
sehen wir den Bauwagenpunk, der klasse jonglieren kann. Oder: Es ist das gleiche
Setting, in dem die spießige Bürgerfamilie fernsieht und später
dann die Skin-Group, bloß daß auf dem Sofa die Sitzkissen fehlen.
Oder: Der Haupt-Skin frönt dem Dusch-Kult, während die Bauwagenfreunde
sich wohlig im Schlamm suhlen. Oder: Die Skins hauen auf andere ein, während
die jonglierenden Chaoten/Punks auf Bürgerparties Feuer schlucken und reiche
Leute verarschen.
Die Filmmontage ist kurz vorm Didaktischen. Es ist in
der Tat jeder verbale Kommentar überflüssig. Aber die Regisseure haben
Angst, mit ihrem Film Opfer der laufenden Naziglatzenkampagne zu werden. Und
der Film läuft jetzt mit 50 Kopien groß an. Deswegen haben sie der
»Oi!
Warning«-Version, die in diesem Jahr auf den Berliner Festspielen
lief, einen reflektierenden Off-Text des Erzählers (Janosch) hinzugefügt.
Jetzt haben wir doch den korrekten Kommentar, und der ist nur dann nicht überflüssig,
wenn man sich vor Fernsehredakteuren und Meinungsführern schützen
will.
Bestehen wir darauf, daß das richtige Casting komplette
Wortbeiträge erübrigt. Die Frauen in »Oi! Warning« sind Schauspielerinnen, die Jungs die Jungs. Sandra
Borgmann avancierte nach den Dreharbeiten zum TV-Serien-Star (Hotel Elfie).
Simon Goerts betreute Anfang der 90er Jahre in Hamburg behinderte Kinder in
einem Sozialprojekt und arbeitete als Bühnenbauer im Schmidt-Theater an
der Reeperbahn. Sascha Backhaus, Bauwagenbewohner und Sänger in einer Punkband,
begann im vorigen Jahr in Hamburg eine Ausbildung als Tischler. Jens Veith war
Bauwagenbewohner in Köln und Hausbesetzer im Hamburger Schanzenviertel;
er arbeitet als Feuerschlucker auf Technoparties in Norddeutschland.
Dietrich Kuhlbrodt
Diese Kritik ist zuerst erschienen im: schnitt
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Oi!Warning
D 1999. R,B: Dominik & Benjamin Reding. K: Axel Henschel. S: Margot Neubert-Maric. P: Schlammtaucher. D:
Sascha Backhaus, Simon Goerts, Sandra Borgmann, Britta Dirks u.a. 89 Min. Nighthawks
ab 19.10.00
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