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Öffne meine Augen
Hastig packt eine Frau ein Paar Habseligkeiten zusammen, weckt ihr Kind und flieht mit ihm hinaus in die Nacht. Im Bus, als die Angst nachlässt, fällt ihr Blick nach unten: Sie trägt noch immer die Hausschuhe.
Keine Tätlichkeiten,
keine Schreie, keine Hämatome, und doch hat „Te doy mis ojos“ („Öffne
meine Augen“) sofort gezeigt, worum es geht: Um eine Standardsituation, die
verbreiteter ist, als frau sich wünschen mag. Der Ehemann, der die Ehefrau
terrorisiert, stellt sich mit Gewalt ins Zentrum ihres Lebens - und dominiert
den Film, der sich ihren Leiden widmet. Am Beginn steht der Fluchtweg Pilars,
weg von Antonio, weg von einem Jahrzehnt der Einschüchterung, der Gewaltausbrüche,
offiziell: ihrer regelmäßigen „Treppenstürze“. Sie und Juan,
der Sohn, kommen bei ihrer Schwester unter. Die verschafft ihr den seit Jahren
ersten Job und leistet seelische Entwicklungshilfe; Pilar könnte sich ein
fragiles Selbstbewusstsein aufbauen – würde nicht vor dem Haus, vor dem
Arbeitsplatz, vor der Schule des Sohnes Antonio auflauern. Doch auch etwas Anderes
versperrt ihr den Weg zum Seelenfrieden: Pilar liebt Antonio noch immer. Zumindest
glaubt sie es. Und sie glaubt, dass er sich ändern kann, denn auf einmal
ist er zurückhaltend, höflich, lässt ihr Blumen, Ohrringe und
eine Botschaft zukommen: „Ich mache jetzt eine Therapie“.
Wenn Pilar wüsste,
aus welch durchwachsenen Herren diese Therapiegruppe besteht und wie sanftmütig
ihr Therapeut sie therapiert. Seine Ratschläge, wie „wenn du merkst, du
kriegst wieder einen Wutanfall, denk’ einfach an etwas Schönes“, sind ein
fragwürdiges Heilmittel für Holzköpfe, die glauben, dass ihre
Frauen „Schläge provozieren“. Die einzige Motivation für den Besuch
der regelmäßigen Sitzungen scheint für die meisten die Aussicht
zu sein, ihre Frauen schnell wieder am heimischen Herd reinstitutionalisieren
zu können.
Antonio schafft es. Aus
ersten heimlichen Treffen werden offizielle und in einem sentimentalen Kurzschluss
überantwortet sie sich ihm und seiner Besitzgier körperlich und verbal:
„Ich gebe dir meine Füße, Hände, Brüste, meinen Rücken.
Ich gebe dir meine Augen!“ Pilars zweites, sehr katholisches, Eheversprechen
erfolgt zwischen den Bettlaken.
„Ich gebe dir meine Augen“
ist, statt „Öffne meine Augen“, auch die wörtliche Übersetzung
des Originaltitels „Te doy mis ojos“. In ihrer Doppeldeutigkeit ist sie die
sinnfälligere, denn Pilars dargereichte Augen sind zwar von nun an Antonios
Besitz, doch wenn er wollte, könnten sie ihm auch eine neue Perspektive
schenken, den Blick der Unterdrückten auf ihren Unterdrücker. In diesem
programmatischen Sinne ist der von der spanischen Regisseurin Icíar Bollaín
gedrehte Film ein Aufklärungsversuch, ein weibliches Lehrstück für
den misshandelnden Mann, speziell den spanischen. Denn einige Indizien sprechen
dafür, dass dieser Antonio nur die verhaltensauffällige Variante einer
pathologischen Regel verkörpert. Im Prinzip ist er genauso ein Chauvinist
wie seine Vorväter, ein Erbe eines spanischen Patriarchats, welches sich
jahrhundertlang unhinterfragt an seinen Ehefrauen austoben konnte. Dieses Spanien
ist immer noch eine Männergesellschaft, auch wenn die meisten Männer
im Film subtilere Machos sind als Antonio. Frauenunterdrückung hat Tradition.
Schon Pilars Vater wusste, seine Frau wirksam ruhig zu stellen. Kein Wunder,
dass ihre Mutter sie drängt, zu Antonio zurückzukehren.
Es gibt nur ein positives
männliches Gegenmodell und der ist ein Schotte. Im Schottenrock heiratet
er Pilars Schwester und im Streit ist er so „unmännlich“, dass sie ihm
ungeschlagen sagen darf: „Du bist doch Scheiße!“. Pilar hingegen - zwischen
Todesangst, Verschlossenheit und keimendem Selbstwertgefühl differenziert
gespielt durch Laia Marull - kehrt zurück zu ihrem Mann in die hübsch-hässliche
Einfamilien-Neubauwohnung in Toledo, behält etwaige Kraftausdrücke
für sich und ist froh, eine Ausbildung zur Museumsführerin machen
zu dürfen. Das Interpretieren alter Meisterwerke bringt neues Leben in
sie. Die Kunstgeschichte wird ihr zur Antithese zum kulturschwachen Gatten,
was dessen latente Eifersucht nur noch verstärkt. Je autonomer Pilar wird,
desto jähzorniger wird Antonio. Es ist absehbar, dass es nicht bei seinen
Fußtritten gegen das Auto bleibt. Nicht in diesem Umfeld, wo Männer-Therapie
nur Männer-Kosmetik ist und wo Männer gelernt haben, niemals die Kontrolle
über die Dinge verlieren zu dürfen. Denn wenn das droht, verlieren
sie die Kontrolle über sich selbst.
„Te doy mis ojos“ könnte
auch vor dreißig Jahren gedreht worden sein. Das liegt zum Einen an seiner
konventionellen Erzählweise und zum Anderen am Sujet, von dem man wohl
meinen könnte, es sei weitgehend überholt - gäbe es nicht diese
Zahlen, nach denen eine von vier Frauen in Europa und in den USA bereits Erfahrungen
mit gewalttätigen Beziehungspartnern gemacht haben und gar die häufigste
Todesursache bei Frauen zwischen 14 und 45 Jahren in Europa Gewalt durch den
Partner sein soll. Wenn es stimmt, dass in Deutschland nur jeder zwanzigste
Fall von innerfamiliärer Gewalt gegen Frauen der Polizei gemeldet wird,
zeigt das, wie tabuisiert, also wie akzeptiert das Thema männliche Gewaltausübung
auch hier immer noch ist.
„Te doy mis ojos“ also handelt
nur von der katholisch-spanischen Version eines globalen Missstandes, aber die
im Film thematisierte körperliche Gewalt ist auch nur die sichtbare Kehrseite
einer historisch gefestigten, strukturellen, latenten Unterdrückung der
Frau durch den Mann. Gewalt gegen Frauen wird immer noch viel zu oft bagatellisiert.
Denn sie entspringt einem männlichen Selbstverständnis, das gar nicht
die Absicht hat, sich zu hinterfragen. Deshalb müsste es viel mehr Filme
wie „Te doy mis ojos“ geben. Aber auch Filme, die weiter gehen. Denn „Te doy
mis ojos“ begeht einen ähnlichen Fehler wie seine Protagonistin. Er ist
zu nett. Er hat Mitleid, nicht nur mit dem Opfer, sondern auch mit dem Täter.
Er sieht die wiederholte Körperverletzung und psychische Erpressung innerhalb
der Ehe noch zu sehr als Beziehungsproblem, und die Problemursache, den misshandelnden
Mann, zu sehr als den psychisch Kranken, ohne deutlich genug zu artikulieren,
was er doch vor allem ist: Ein gefährlicher Gewalttäter, ein Krimineller,
der strafrechtlich vom Staat verfolgt werden müsste - was noch immer in
nur wenigen europäischen Ländern die Regel ist.
„Te doy mis ojos“ unternimmt,
wie Pilar, einen schüchternen Emanzipationsversuch, er verzeiht schon,
bevor die Einsicht, geschweige denn die Reue, eingesetzt hat. Er möchte
einem Aggressor helfen, indem er ihm den Blickwinkel seines Opfers schenkt.
Es ist ja alles richtig, die Geschichte von Pilar und Antonio ist psychologisch
glaubwürdig und nah an den Realitäten, sie schildert sensibel Mechanismen
männlicher Gewalt und weiblicher Defensivstrategien. Fraglich bleibt nur,
was der Adressat des Films mit seinem eigenen Spiegelbild anfangen kann - wenn
es am Ende doch wieder nur der Ochse sein wird, der den Ochsen verständnislos
beglotzt.
Dieser Text ist zuerst
erschienen in der filmzentrale
Spanien 2003 - Originaltitel: Te doy mis ojos - Regie: Icíar Bollaín - Darsteller: Laia Marull, Luis Tosar, Candela Peña, Rosa María Sardá, Kiti Manver, Sergi Calleja, Elisabet Gelabert, Nicolás Fernández Luna, Dave Mooney - FSK: ab 12 - Länge: 106 min. - Start: 4.8.2005
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