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Neunzig
Tage
Aus Kanada kommt dieser bescheidene kleine
Film: Das National Film Board of Canada (hierzulande hauptsächlich bekannt
geworden durch eine Vielzahl hervorragender Kurzfilme aus der Zeit, als es im
Kino noch ein richtiges Vorprogramm gab) hat ihn produziert, vom Regisseur hat
man noch nie etwas gehört, und die Besetzung besteht zum größten
Teil aus Laien. Trotzdem - oder gerade deswegen - ist NEUNZIG TAGE eine Perle.
Zwei Männer werden einem nahegebracht:
Blue, Mitte dreißig, ein schüchterner, gutmütiger, etwas unbeholfen
wirkender Kerl, hat das Single-Dasein allmählich satt und wartet sehnsüchtig
und mit flatterndem Herzen auf die Ankunft der Koreanerin Hyang-Sook, die er
bisher nur aus Briefen kennt. Alex, um die Vierzig, ist ein ganz anderer Typ:
welterfahren, selbstbewußt, immer zu einem Flirt bereit. Im Moment ist
er etwas aus dem Gleichgewicht, weil seine Frau ihn achtkantig aus dem Haus
geworfen hat.
Alex besucht seinen Freund Blue, aber
der ist viel zu beschäftigt, und als Alex einen „Kirschblüten-Katalog"
bei ihm findet, ahnt er auch, warum Blue keine Zeit für ihn hat und ihn
ziemlich unwirsch vor die Tür setzt. Der Film bleibt aber beiden auf der
Spur, und man erlebt, wie Blue Hyang-Sook vom Flughafen abholt und eine vorsichtige
Annäherung zwischen den beiden stattfindet und - parallel dazu - wie Alex
von der hübschen, aber stur geschäftsmäßig bleibenden Laura
angesprochen wird, die ihm im Auftrag eines Kunden 10.000 Dollar für sein
Sperma bietet.
Beide, Blue genauso wie Alex, geraten
an Frauen, durch die sie völlig unerwartet aus der Reserve gelockt werden.
Hyang-Sook ist eben nicht die unterwürfige Kirschblüte, sondern weiß
sehr genau, was sie will. In neunzig Tagen läuft ihr Visum ab, und wenn
Blue sie bis dahin nicht geheiratet hat, wird sie eben, um eine bittere Erfahrung
reicher, wieder abreisen. Und Blue, der ewige Zauderer, weiß plötzlich
nicht mehr, was er will, und schiebt die Entscheidung immer weiter hinaus.
Alex fühlt sich, nachdem er anfangs
kaum seinen Ohren getraut hat, von Laura herausgefordert, an seiner Männlichkeit
gepackt. Daß Laura ihn jedoch wie in einem Spionagefilm von einem Treffen
zum anderen dirigiert, sich dabei in geheimnisvollen Anweisungen ergeht und
ausschließlich an seinem Samen statt an seiner Person interessiert ist
- das irritiert ihn doch sehr und nimmt ihn, den sonst so von sich Überzeugten,
doch schwer mit. Die einzige Möglichkeit, den Kontakt zu Laura nicht abreißen
zu lassen, ist, ihre absurden Instruktionen brav zu befolgen.
Fast dramatisch wird es, als Alex sich
sagen lassen muß, sein Sperma sei „zu träge", und als Hyang-Sook
nach einer.erniedrigenden Begegnung mit Blues exzentrischer Mutter beschließt,
ihre Sachen zu packen. Am Schluß laufen in Blues Wohnung die beiden Handlungsstränge
zusammen, alle Beteiligten treffen nach klassischem Komödienmuster aufeinander,
und einer Lösung der Krisen samt glücklichem Ende steht nichts mehr
im Wege.
Ähnlich wie in MÄNNER werden
auch in NEUNZIG TAGE die Vertreter des angeblich starken Geschlechts auf liebenswürdige,
gar nicht denunziatorische Art dem Schmunzeln preisgegeben, wird ihr anerzogener
Chauvinismus entlarvt, tritt hinter der Macho- wie hinter der Softie-Fassade
ein kindliches, verunsichertes, verwundbares Wesen hervor. Aber wo Doris Dörrie
- als Frau - nur aus der beobachtenden Warte argumentieren und aufzeigen konnte,
sprechen Giles Walker und sein Co-Autor David Wilson aus der Erfahrung der Geschlechtsgenossen.
Das macht die Männer dieses Films noch durchschaubarer und menschlicher
(und die Frauen durchaus nicht weniger stark).
Woody-Allen-Fans dürften ihre Freude
an diesem Film haben, auch wenn hier nicht halb so viel geredet wird wie in
Allens Komödien und sich die Geschichte ohne jegliche Hektik und formal
geradezu unscheinbar präsentiert.
Robert Fischer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in epd Film 2/87
Neunzig
Tage
NINETY
DAYS
Kanada
1986.
R: Giles Walker, David Wilson. K: Andrew Kitzanuk. Sch: David Wilson. M: Richard
Gresko. Ba: Andy Thomson. Pg: National Film Board of
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