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Matrix
Reloaded
Der
Heiland spricht
Ein
Film, sie zu knechten, sie ewig zu binden: "Matrix Reloaded" der Wachowski-Brüder
zeigt ein System der Weltbeherrschung - mit erstaunlichen Parallelen zu Marktstrategien
im Blockbuster-Kino
Wenn
wir jetzt noch irgendjemandem erklären müssen, worum es eigentlich
geht, ist sowieso was grundlegend schief gelaufen. Für diesen Fall muss
besagter Einzelfall entweder in die nächste Videothek latschen, um mit
Teil
1
den Wissensrückstand in Sachen "Matrix" aufzuholen. Oder es ist
uns halt doch jemand durch die Maschen der Ereignis-PR geschlüpft. Dafür
aber werden die Millionen wahrer Fans nicht mit Redundanz genervt. So ist das
mit zeitgemäßen Sequels: Wer den zweiten Teil der "Herr
der Ringe"-Trilogie
ohne Vorbildung besuchte, bekam nicht mal erklärt, dass der vermaledeite
Ring unsichtbar macht.
Was
mit Peter Jackson hinhaut, das sollte für Warner Bros. mit den Wachowski-Brüdern
allemal klappen. "Matrix Reloaded" beginnt prompt mit der berühmten
Action-Zeitlupen-Melange: Die Ouvertüre explodiert, woraufhin Trinity (Carrie
Ann Moss) aus zwei Pistolen feuernd bei ihrem zeitverzögerten Fenstersturz
im schwebenden Glasscherbenregen von der Kugel eines Matrix-Agenten in die Brust
getroffen wird. Ein Schnitt entschärft die Szene als einen Traum des Helden
Neo (Keanu Reeves); weil "der Auserwählte" aber inzwischen auch
über eine seherische Gabe verfügt, ist damit schon das dramatische
Finale angekündigt. Bis dahin aber vergehen noch knapp 140 Minuten, von
denen die ersten 45 einem futuristischen Kirchentag Konkurrenz machen. Erklärungen
zur Weltlage - die Menschen werden von Aliens ausgebeutet und dafür mit
der Weltillusion der Matrix versorgt, während eine Rebellenkommune in der
verborgenen Stadt Zion Widerstand gegen dieses "System" organisiert
- treten zugunsten der Erlöser-Illumination zurück. Im bunt bevölkerten
Zion wird Heiland Neo mit Gaben und Ehrerbietung überhäuft. Ungläubige
gilt es zu bekehren, der Messias verkündet kurze, wahre Sätze ("Er
ging zum Orakel, und alles hat sich verändert" - "Ja, das kann
es"), als Gastprediger spricht Morpheus (Laurence Fishburne) und dann steigt
in den heiligen Hallen eine quasireligiöse Goa-Party.
Zu
diesem Zeitpunkt hat "Reloaded" bereits viel von dem erfüllt,
was man nach "Matrix" erwarten durfte. Wieder versucht "das Filmereignis"
möglichst viele Interessengruppen zu bedienen und aktuelle Diskurse - Achtung:
geklonte Feinde! - für sich auszuschlachten. Das Blockbuster-Prinzip spinnt
die schier endlose Verweiskette von "Matrix" weiter, die als schmuckes
Möbiusband aus Zitaten und Anspielungen von der Bibel über Hongkongs
Martial-Arts-Tradition und französische Science-Fiction bis hin zu verschwurbelter
Erkenntnistheorie, mystischer "Systemkritik" und wieder zurück
verläuft. Keanu Reeves Schlusssatz in Teil 1 war auch ein Bekenntnis dieser
Strategie: "Ich zeige euch eine Welt, in der alles möglich ist."
Dass
man sich dabei freilich auch unter dem bekämpften "System" alles
oder nichts vorstellen kann und gesellschaftliche oder politische Brisanz vom
willigen Publikum hineingeheimnist wird, korrespondiert prima mit der Perfektion,
mit der "Matrix Reloaded" nun noch deutlicher den Regeln des Marktes
folgt. Neben einer wahren Produkt-Armada (Kurzfilm-Edition + Videospiel + Teil
3 im Herbst) heißt das für die Fortsetzung vor allem, sich aus der
Metaphern- und Zeichenwelt zuletzt erfolgreicher Kinoereignisse zu bedienen.
Deshalb darf Neos Rolle ein wenig an Ringträger Frodo erinnern und das
ganze Spektakel auch als Kriegsfilm durchgehen. "Was geschieht, wenn ich
versage?" - "Dann wird Zion fallen!"
All
dies würde irgendwann lächerlich, bekäme nicht zusehends die
Action die Oberhand. In der zweiten Filmhälfte scheint es fast, als würde
sich "Reloaded" als Trash auf höchstem Choreografieniveau verstehen,
sozusagen als wirkungsvolle Ablenkung vom Damoklesschwert der aufgeladenen Bedeutung.
Dass auch in der zentralen, großartigen Actionsequenz auf einem Freeway
mit Verfolgungsjagden, Superman-Flügen und Lkw-Ballett der Zitatenterror
nicht stillsteht, ist Teil des Erleichterungsspiels und gehört ebenso dazu
wie die fortschreitende Immunisierung gegen Kritik.
Wer
den Wachowski-Brüdern vorwirft, mit dem "Matrix"-Prinzip samt
allen erdenklichen Synergie-Effekten ihr eigenes Markt-"System" ähnlich
machtvoll auszubauen wie eben jenes "System", gegen das wir im Film/Internet/Videospiel
mit Neo & Co anzutreten aufgerufen werden, bekommt mit "Matrix Reloaded"
die passende Antwort. Neo, der Gesalbte der Rebellion, entpuppt sich hier selbst
als eine Funktion der Matrix, als direktes Geschöpf des großen "Architekten".
Die Spirale der Selbstreflexivität dreht sich weiter und integriert den
Vorwurf: Kritik außerhalb der "Matrix"-Bedingungen, so viel
soll klar sein, läuft nicht. Vermutlich liegt der Erfolg des ganzen Projekts
gerade in dem austarierten Pendeln zwischen einem offenen Selbstbedienungskino,
in dem alle auf ihre Kosten kommen sollen, und einem ebenso übergreifenden
Absolutismus.
Jan
Distelmeyer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: TAZ
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diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Matrix
Reloaded
USA
2003 - Regie: Andy und Larry Wachowski - Darsteller: Keanu Reeves, Laurence
Fishburne, Carrie-Anne Moss, Hugo Weaving, Jada Pinkett Smith, Gloria Foster,
Adrian Rayment, Neil Rayment, Monica Bellucci - FSK: ab 16 - Länge: 136
min. - Start: 22.5.2003
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