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Long Night´s Journey Into Day
Eindrucksvolle Dokumentation über vier Fälle vor der Truth &
Reconciliation Commission Südafrikas.
Inhalt
Nach dem Fall des Apartheid-Regimes wurde 1997 die "Truth &
Reconciliation Commission" (TRC) in Südafrika eingeführt. Vor diesem
Ausschuss werden (mit Übertragung im Fernsehen) Menschenrechtsverstösse
während der Apartheid-Ära verhandelt. Die Funktion ist dabei eine
symbolische: Die TRC ist kein Gericht (kann also niemanden verurteilen),
kann aber im Gegenzug für totale Enthüllung der Vorkommnisse eine
Amnestie aussprechen. Long Night´s Journey Into Day betrachtet vier
solcher Fälle. Den Tod der weissen Antiapartheid-Aktivistin Amy Biehl,
die zur Vorbereitung der ersten demokratischen Wahlen aus Amerika kam und
von vier jungen Schwarzen erstochen wurde. Einen Bombenanschlag des
ANC-Mitglieds Robert McBride, der auf ein unter weissen Polisten
beliebtes Lokal gerichtet war und drei Frauen tötete. Den Fall der
"Cradock 4", bei dem der weisse Polizist Eric Taylor gemeinsam mit
Kollegen vier schwarze Aktivisten auf dem Heimweg abfing und tötete. Und
schliesslich die Ereignisse um die "Gugletu 7", Township-Jugendliche die
von einem agent provocateur in Staatsauftrag zum Überfall auf eine
Polizeistation angestiftet und dabei in einen Hinterhalt gelockt und
niedergemetzelt wurden.
Kritik
Neben den manipulativen Dokumentarfilmen im Stile von The Last Days hat
sich im amerikanischen Fernsehen eine Form komplexer, nahezu objektiver
Dokumentationen ausgebildet, deren unaufdringliche Gestaltung
tatsächliche Ahnungen von den Lebensumständen und Konflikten ihrer
Subjekte geben. Spike Lees 4 kleine Mädchen war so ein Glücksfall, Long
Night´s Journey Into Day von Frances Reid und Deborah Hoffmann übertrifft
ihn sogar noch. Was beide Filme auszeichnet, ist ein unvoreingenommer
Blick: Ganz im Sinne der TRC, die hier in zentraler Rolle fungiert,
weigern sich die Filmemacher in einfache Gut-Böse-Schemata einzuteilen
(der Vorspann stellt die Umstände allerdings rücksichtslos klar: "Mehr
als vierzig Jahre lang herrschte in Südafrika die berüchtigtste Form von
Rassenunterdrückung seit dem Nationalsozialismus") - die Schuld eines
ungerechten Regimes steht hier ausser Frage, die Schuld des Einzelnen
hingegen bleibt der Bewertung des Zusehers überlassen; als Resultat ist
dieser Film auch eine Herausforderung zum Überdenken von vorgefassten
Meinungen.
Der erste Fall macht dies bereits schlagend klar: Ausgerechnet Amy
Biehl, die amerikanische Fulbright-Stipendiatin die zum Kampf gegen das
ungerechte Regime nach Südafrika ging, fiel der tödlichen Wut
protestierender Schwarzer zum Opfer. Die Hautfarbe allein macht nicht den
Menschen (etwas, das auch sehr schön eingefangen wird, als bei einem
großer Demonstrationsmarsch zum Begräbnis der "Cradock 4" in der
schwarzen Masse die Gesichter weisser Jugendlicher auftauchen) - aber in
einer Gesellschaft, in der sie vierzig Jahre lang den Wert des Menschen
bestimmte, fällt es schwer, nicht in diesen Kategorien zu denken. Anfangs
scheint es, als hätte man diesen Fall als Zugeständnis ans amerikanische
Publikum in den Film gefügt, doch zeigt sich bald die vertrackte
psychosoziale Komponente des Dilemmas, das hier zur Verhandlung steht.
Amys Eltern folgen dem Vorbild ihrer Tochter und sprechen sich für eine
Amnestie für den Mörder aus. "Wenn mir in Südafrika etwas zustösst, will
ich keine besondere Aufmerksamkeit, weil jeden Tag Tausende schwarze
Südafrikaner in der Anonymität sterben", hatte Amy Biehl gesagt. Ihre
Mutter fügt an: "Wenn ein Weisser stirbt, kennt man nicht nur seinen
Namen, sondern auch den eines Hundes."
Long Night´s Journey Into Day präsentiert sein Material dabei fern
von jeder Emotionstreiberei: Bilder derVerhandlungen, Archivaufnahmen,
Interviews mit den Beteiligten und den Angehörigen der Opfer sind hier zu
einem ruhigen Mosaik zusammengefügt, dessen klarer Blick keine Höhepunkte
braucht. Die setzen sich von allein: Wie die Mütter der "Gugletu 7" im
Saal schreiend zusammenbrechen, als sie Videodokumente vom Tod ihrer
Kinder mitansehen, ist ein Bild von so direkter Durchschlagskraft, dass
jede Manipulation durch Musik oder Kommentar einer Verstümmelung
gleichkäme. Und so behalten die Filmemacher das sich langsam ausweitende
Netz von Schmerz und unfassbaren Enthüllungen mit sicherem Griff im Auge.
Ohne falsche Vorbehalte darf sich jede Seite präsentieren.
Etwa im Fall Robert Mc Bride, der von Nelson Mandela aus der Todeszelle
begnadigt wurde. Wortreich spricht er vor der Kommission von den
unhaltbaren Bedingungen, die ihn zum Mittel des Anschlags greifen
liessen. Es täte ihm leid für die Opfer, doch er habe keine andere Wahl
gehabt. Ihm gegenüber steht Sharon Welgemoed, die Schwester einer der
Toten. Ihr Leid ist echt, ebenso ihre Wut: Mit skeptischem Blick sitzt
sie im Saal und hört das Bekenntnis des Bombenlegers, mit aufrichtiger
Trauer präsentiert sie Bilder ihrer toten Schwester. Und fügt hinzu, dass
es eine völlig Unschuldige getroffen hätte - Apartheid sei ihr fremd
gewesen, "we didn´t even support it." Sie sagt es so offenherzig, als sei
es ein Unglücksfall gewesen, dass sie ihn wohliger Nichtahnung auf Kosten
einer anderen Bevölkerungsgruppe zufrieden gelebt hat. Durch den Verzicht
auf Kommentar wird so der Zwiespalt, der durchs Land läuft, greifbar.
Reid und Hoffmann denken ebensowenig daran, den Bombenleger zu
rechtfertigen wie die Weisse zu verurteilen; beide präsentieren vor dem
Zuschauer die Dinge aus ihrer Sicht. Der Rezipient kann sowohl die
Verzweiflung McBrides wie die Verletztheit Welgemoeds verstehen und aus
ihren Reaktionen Rückschlüsse auf die Gesellschaft, die sie geprägt hat,
ziehen - ohne dass ein erhobener Zeigefinger nötig wäre.
Ein noch einigermassen leichtes Verständnis der Hintergründe (wenn auch
nicht des Schmerzes) wird dabei mit zunehmendem Fortschreiten des Films
immer schwieriger - je komplexer die Zusammenhänge, desto schwieriger das
Urteil. Im Fall Eric Taylors, des weissen Polizisten etwa, der mit
Offenheit über sein frühes Leben spricht. Für eine bessere Welt sei er
Polizist gewesen, die Werte des Christentums gegen Atheismus und seinen
teuflischen Bruder, den Kommunismus verteidigend, bis ihm ausgerechnet
Mississippi Burning zu denken gab über die Rolle, die die Polizei
innehat. Wir werden nicht nur Zeuge des vermutlich einzigen Falls, in dem
Alan Parkers Film zum Ankauf von Nelson Mandelas Autobiographie geführt
hat, der objektive Blick von Reid und Hoffmann auf den Prozess fördert
ganz andere Dinge zutage. Trotz seines scheinbar aufrichtigen
Geständnisses melden sich zunehmende Zweifel an der Vollständigkeit von
Taylors Aussage. Nicht zuletzt wegen seiner einfühlsamen Vorgangsweise
macht Long Night´s Journey Into Day nämlich auch die prekäre Lage der
umstrittenen TRC klar. Mörder gingen ungestraft frei, so ein Kritikpunkt,
alte Wunden würden wieder aufgerissen so ein anderer (während des Films
werden von mit den Verhandlungen verbundenen Personen zahlreiche
verschiedene Standpunkte dargelegt, die den einzigartigen Status dieser
Institution von sehr unterschiedlichen Blickwinkeln aus beleuchten). Doch
wie das Ziel der TRC selbst - durch ein gemeinsames Untersuchen der
Ereignisse ein komplexeres, im Idealfall befreiendes Verständnis der
Situation zu ermöglichen - lädt der Film den Zuschauer nur ein zur
Vertiefung des Weltbilds: Die schlussendliche Meinungsbildung liegt beim
Betrachter, so wie die Entscheidung zur Offenheit beim Selbstankläger vor
der Kommission liegt.
Und der letzte Fall des Films lässt keinen Zweifel daran, wie sehr eine
solche Verständigung vonnöten ist: Zwei der über zwanzig an der Ermordung
der "Gugletu 7" beteiligten Polizisten stellen sich überhaupt der
Komission. Einer ist weiss und streitet ab, dass die Todesschüsse auf
Befehl erfolgten. Der andere ist ein ehemaliges Mitglied der Vlakplavas,
eines schwarzen Todeskommandos, und gesteht offen den Mordauftrag ein.
Der Weisse müsse nicht zwischen Schwarzen leben, fügt er anschliessend im
Interview hinzu, aber ihm bleibe nur die völlige Offenheit, um seinen
Brüdern und Schwestern unter die Augen zu treten. Die Brüche sind noch
da, aber wie gnadenlos es davor aussah, lassen uns Reid und Hoffmann mit
zwei Ausschnitten ahnen. Das oben schon erwähnte Video der Toten treibt
nicht nur die Mütter in Weinkrämpfe, sondern auch den Zuschauer an den
Rand des Faßbaren, wenn er hört, dass es von der Polizei für Werbezwecke
verfertigt wurde. Und dann kommen die Abendnachrichten vom Tag des
Massakers. Zwei Schlagzeilen gebe es, so der Sprecher: Sieben Terroristen
seien heute von der Polizei erschossen worden, und England erlebe den
kältesten Tag seit dreissig Jahren. In einer Welt, in der so etwas
möglich ist, kann es gar nicht genug Filme wie Long Night´s Journey Into
Day geben.
Fazit: Eindringliche und feinfühlige Dokumentation, die ihr schwieriges
und brisantes Thema mit souveräner Komplexität meistert.
Christoph Huber, 04.09.2000
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Long Night´s Journey Into Day
Long Night´s Journey Into Day
USA 2000
Regie: Deborah Hoffmann, Frances Reid
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