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Life
at 25 Frames per seconds
- Menschen
im Videodrom
"Welcome
to Videodrome!"
Das
Videdrom zu Berlin, Deutschlands - vielleicht sogar Europas - bestsortierteste
Videothek, ist so ein bisschen wie der Plattenladen aus High
Fidelity.
Oder wie ein gewisses Tabakgeschäft aus
Brooklyn. Man kommt hin und kennt sich. Man schwatzt. Unterschiedliche Welten
und Geschmäcker treffen aufeinander: Das ist nicht weiter tragisch - im
Videodrom wird Pluralität groß geschrieben und als Bereicherung verstanden.
Und man leiht sich Videos aus. Das wird dann fast schon zur Nebensache (natürlich
nicht). It's
a big little family. Und
hier bekommt man, was es sonst nirgends sonst zum Leihen gibt. Asien, Klassiker,
Trash, Horror, Splatter, Import, Mainstream, Kunst. Und so weiter und so fort.
Life
at 25 Frames per second
trägt nicht umsonst den Untertitel "Menschen im Videodrom". Menschen
diesseits wie jenseits des Tresens, über den schon mancher Schatz der Filmgeschichte
gereicht wurde, machen das, was die treue Stammkundschaft im Drom, wie es liebevoll
genannt wird, am liebsten machen: Sie schwatzen. Über das Drom, über
Filme, über Hollywood, über magic moments und: über sich. Der
Coffee-to-go zum schnellen Schnack gehört dazu. Und im Hintergrund der
Tonkulisse das Knarzen des Druckers, der die zu unterschreibenden Belege für
die Kundschaft druckt.
Cinephile,
vom Lauf der Dinge kaum überzeugte Kulturkritiker, Gerne-mal-nen-Filme-Kucker,
Exil-New-Yorker Slacker, glückliche Kunden: Für alle ist die kleine
und längst eigentlich schon überquellende Videothek an einer typischen
Kreuzberger Ecke, wo sonst nur berüchtigte Eckkneipen vor sich hin gammeln,
zum wesentlichen Teil des Alltags geworden. Der eine steht auf Action'n'Gore,
der andere verehrt Tarkowskij und Hitchock, wieder andere kucken querbeet, was
ihnen unter die Finger kommt und auch nur irgend interessant scheint ("Das
sind mir so die liebsten Kunden", kommentiert der wie stets eloquente Thomas
Klein - an dieser Stelle Grüße - dieses Spektrum an einer Stelle
gänzlich unironisch und ich selber fühlte mich da, hoffentlich zu
Recht, angesprochen).
Doch
wo allzu viel freundliches Nebeneinander herrscht, schlagen manchmal gerne dunkle
Zeitgenossen drauf. So auch im Falle des Videodroms, das 1999 von Seiten des
Kreuzberger Wirtschaftsamts und der Berliner Staatsanwaltschaft einfach mal
so wegen bloßen Verdachts auf den Vertrieb gewaltverherrlichender Filme
geschlossen wurde. Ein denkbar schlechter Coup, denn die vermeintlich schmuddelige
Nische für soziale Outsider, über deren Ende ja wohl kaum Tränen
vergossen würden, entpuppte sich als international geschätzte Insel
der Filmkultur. Eine ungeahnte Solidaritätsbewegung war die Folge, mit
namhaften Unterzeichnern allenthalben. Wenige Wochen später zeigten sich
die Behörden entsprechend beschämt und räumten der nunmehr so
bezeichneten "Kultureinrichtung" dann doch verlegen die Wiedereröffnung
ein. Thomas Klein lässt das Drama auf üblich lakonische Art Revue
passieren, der Film unterstützt ihn auf ganz eigene charmante Weise: An
Star
Wars
angelehnte Jingles („DIE SCHLIESSUNG Episode 3 – DIE RÜCKKEHR DES VIDEODROMS“
etc.) deuten die, gottlob gutausgegangene, Krise mit den Mitteln des Subversionsfilms
humoresk um in eine anekdotenreiche Erfolgsstory über das Zusammenhalten
und "die da oben" gegen "uns da unten".
Überhaupt
übt sich Life
at 25 Frames per Second
in sympathischer Parteilichkeit. Wie die Menschen vor der Kamera, die von sich
und ihrem Leben mit dem Drom erzählen, verbringen auch die hinter der Kamera
offenkundig einen nicht unwesentlichen Teil ihres Lebens mit Filmen aus der
Kreuzberger Off-Videothek. Deutlich wird dies, wenn sie verwinkelte Fahrten
durch die, auf Video gebannt schier endlos wirkenden, Regale unternehmen (vor
denen man selber schon manche Stunde verbrachte), dabei den „Trip“ aus 2001
– Odyssee im Weltraum
ästhetisch simulieren und die Regale des Glücks hinter dem Tresen,
wo sich auf schwindelerregend wenig Bodenfläche einmal die Essenz der derzeit
abgreifbaren Filmgeschichte gelagert findet, mittels Kameraperspektive zum Monolithen
aus Kubricks Weltraummeditation stilisiert werden. All dies, so gehört
es sich für einen Kunden des Videodroms, mit genügend sophisticated
Ironie und Alltagsabgeklärtheit, um nicht in abgehangenen Bildwitzchen
zu enden.
Ein
schöner Film, der den Reiz eines einzigartigen Filmarchivs und eines vielleicht
noch einzigartigeren Soziotop mit den ureigenen Methoden des Films und seiner
eher subversiven Tradition auch für Außenstehende nachvollziehbar
auf Tape (this is home entertainment, not cinema!) gebannt hat. Und für
Freunde des Hauses – hier schreibt so einer – ein zu jeder Sekunde schwer genossenes
Dokument seiner Lieblingsvideothek.
Life
at 25 Frames per Seconds - Menschen im Videodrom
gibt es natürlich im Videodrom gratis unter der Leihnummer 2720.
Thomas
Groh
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Life
at 25 Frames per seconds - Menschen im Videodrom
Andreas
Flack/Eva Reblin/Kristina Wedemeyer, Deutschland 2004
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