James Bond - Liebesgrüße aus Moskau(aus Filmkritik 5/64)
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sich auch bei uns in der
Bundesrepublik der rechte nationale Eifer für James Bond entfaltet.
Vorläufig sind wir noch dabei, in unseren Kinos die leicht angestaubten
Reize von Edgar Wallace auszukosten. Doch wird die Arbeit der hamburger
Presse nicht umsonst sein: Zeit und Spiegel mühen sich redlich, das
öffentliche Interesse für James Bond zu gewinnen. Damit dürfte sie nicht nur bei Anglophilen Erfolg haben.
Lassen sich die Kinos bei uns auch mit James-Bond-Filmen noch nicht
füllen, so stehen wir doch erst am Anfang. Es wird sich schon
herumsprechen, daß der Titelheld sich mit den hehrsten Recken der
germanischen Überlieferung messen kann. Dann hätten endlich auch wir
wieder ein angemessenes Leitbild. Ein angemessenes?
Die Liebesgrüße aus Moskau sind ein Scherz. Bond (Connery) schreibt
sie im Vorzimmer des Secret-Service-Chefs "M" in London auf ein Foto,
um die Vorzimmerdame zu necken. Auf dem Foto ist die schöne Tatjana
Romanowa (Bianchi) abgebildet; sie arbeitet für die sowjetische
Botschaft in Istanbul, und ihr Körper gehört dem Staat. Bond weiß die
Besitzverhältnisse zu seinen Gunsten zu verändern. Dazu verhilft ihm
die doppelte Null vor seiner Code-Nummer: er ist einer der drei Agenten
des britischen Geheimdienstes, der im Dienste der Königin töten darf.
Drum gibt es in Istanbul mancherlei Gemetzel, als er versucht, sowohl
Tatjana als auch die Dechiffriermaschine für den Geheimcode der
Sowjetmacht zu
entreißen. Tatjana hilft ihm gar dabei, da sie die westliche Freiheit
liebt. So heißt es. In Wirklichkeit hat sie den schönen starken Bond
auf Anweisung der weiblichen Sowjetobersten Rosa Klebb (Lenya) nach
Istanbul in eine Falle gelockt. So denkt sie. In "Wirklichkeit erteilt
Obristin Rosa nicht mehr für Russen Weisungen, sondern für eine anonyme
dritte Macht, die West und Ost in den Schatten stellt: für Spectre auch
Phantom genannt. Das konnte Tatjana nicht wissen. Der Zuschauer aber
ist informiert. Gleich zu Anfang wird ihm ein großzügiger Einblick in
die Mordausbildung der Spectre-Organisation verschafft. Mit Schlinge,
Hieb und Schuß und Flammenwerfer. Rosa hat sich den besten Mörder auf
ihre Weise ausgesucht. Auf einer grünen Wiese wird ihr ein gutgebauter
junger Kerl vorgeführt. Nackt ist er, nur ein Handtuch schlingt sich um
die Lenden. Stolz schaut er in die Ferne. Rosa mustert ihn sachlich.
Dann versammelt sie ihre Kräfte im rechten Arm und schlägt ihm mit dem
Schlagring in den Bauch. Letzterer federt leicht. Red Grant, so heißt
der Gegenheld (Shaw), verzieht keine Miene. Er wird würdig sein, James
Bond zu erledigen. Spectre wird Russen und Engländer gegeneinander
hetzen und in Ruhe seinen gefährlichsten Feind ausmerzen.
Eine Inhaltsangabe kann sich damit begnügen, die Ausgangsposition (die
Rollenverteilung) bekanntzugeben. Der Gang der Handlung ist
demgegenüber gleichgültig; er ist beliebig. Fixierte man ihn dennoch an
dieser Stelle, würde man keine Pointe verraten. Der Ausgang der
Handlung steht von vornherein fest. Er gehört zu den Spielregeln. Es
gibt weder Entwicklung noch Konstruktion. Damit ist die Anteilnahme des
Zuschauers gleich auf doppelte Weise ausgeschaltet. Da sich im
Filmverlauf weder die Personen noch die Situationen, noch die Beziehung
zum Betrachter ändern, ist die Beschreibung des Immergleichen auf das
Ziel reduziert, das einmal erweckte, rein äußerliche Interesse des
Zuschauers mir massiveren, einander übertrumpfenden Mitteln
aufrechtzuerhalten. Andererseits vermag die Konstruktionslosigkeit auch
nicht den kombinierenden Freund des Kriminalromans oder des
Kriminalfilms bei der Stange zu halten. Die Liebesgrüße aus Moskau ge-
hören nicht zu diesem Genre. Eine Pointe, eine Auflösung wäre nur bei
einem konkreten "Fall" denkbar. Hier aber bleibt es bei der Bebilderung
einer unentwickelten, abstrakten Situation: eines
Freund-Feind-Verhältnisses. Bei diesem Film gibt es nichts zu behalten,
zu verfolgen, zu vergleichen, gar zu verstehen. Eine aktive Anteilnahme
des Zuschauers wäre gegen den Sinn des Spiels; sie wäre auch relativ
nutzlos: ein Abwägen der Handlungen, eine Übersicht über die Handlung
würde zu einem mageren Ergebnis kommen; die Handlungen sind eindeutig
bewertet (hier Freund, dort Feind); die Handlung wiederholt sich. Jede
Wiederholung erzeugt mit wechselnden Mitteln eine Spannung, die
durchaus um ihrer selbst willen da ist. Die Liebe erschöpft sich daher
in kurzfristiger körperlicher Tätigkeit, die im Akt ihr Ende findet,
jedoch wiederholbar ist. Drum zählt der Körper, das Btrt, der Sex; und
im übrigren trägt James Bond folgerichtig Gleichgültigkeit zur Schau:
bei Wiederholungen läßt sich ebenso wie das Bett auch die erforderliche
Frau austauschen.
Nur körperlicher Art sind aber nicht nur Bonds Beziehungen zum anderen
Geschlecht, sondern auch die zum Feind. Mit der Frau schläft man, mit
dem Feind kämpft man. Erforderlich ist lediglich Sicherheit über die
Kennzeichen. Bei der Frau verläßt sich Bond auf die Natur, beim Feind
auf den Chef. „M" befiehlt in London, und Bond gehorcht. Er schießt und
haut und schlägt, daß es eine Freude ist. Ist ein Befehl ausgeführt,
bittet er um den nächsten. Walte Gott, daß der Chef stets M. heißen
möge und nicht etwa eines Tages dem schönen starken Bond die
Vernichtung eines Volkes und die Errichtung einer Weltherrschaft
befehlen möge. Bond würde gehorchen. Er würde den Feind vernichten, den
er doch so sehr körperlich braucht. Gedanken würde er sich darüber
nicht machen; ein Faschist würde es auch nicht tun; wer denkt denn beim
Sexualakt nach? So bringt Secret-Service 007 Faschismus und Sexualismus
auf einen Nenner.
Zu den begeisterten Lesern der James-Bond-Serie gehörte der selige
US-Präsident Kennedv. Für jedes Werk flatterte dem Autor Fleming ein
allerhöchstes Dankschreiben ins Haus. - Die Liebesgrüße aus Moskau
sahen sich in der ersten Woche nach der Erstaufführung eine
Viertelmillion Engländer an. - Flemings Bücher sind in zehn Sprachen
übersetzt und in fünfzehn Millionen Exemplaren verbreitet. - Fleming scheint mit seiner Titelfigur einer
offenbar weitverbreiteten und mächtigen, wenn auch im Verborgenen
gehaltenen Gefühlsströmung zu entsprechen. Er errichtet eine
problemlose, überschaubare Welt, in der es keine Rücksichten, kein
Bewußtsein, kein Eros, keine Verantwortung gibt; hier folgt man seinen
Trieben und den klaren Anweisungen der Oberen; man ist Mann und Held
und lebt, wies Spaß macht. "Für vernünftige, warmblütige,
heterosexuelle Leser" schrieb lan Fleming nach eigenem Zeugnis seine
fatale Fantasiewelt. Versteht man das erste Adjektiv als "gesund
empfindend'', kann man das Selbsterzeugnis nur unterschreiben, Drum
also klopft der Feind, Obristin Rosa Klebb, den Mannskerl Grant so
ungesund kaltblütig ab. Drum also faßt Rosa die schöne Tatjana so
ungesund warmblütig an den Busen: wenn schon Feind, dann gleich
homosexuell; es ist ein Aufwaschen. Pervers sind die Anderen.
Wie verfilmt man James Bond? In Maßen. Alle Sex- und Folterszenen sind
denn doch nicht zensurreif. Als Ersatz lassen sich farbenprächtiger
Natur - sie spielt in Flemings Romanen eine mindere Rolle - Schauwerte
abgewinnen. Regisseur Terence Young verfuhr da - mit demselben Team -
wie im ersten Film der Serie; 1963 hatte er James Bond - 007 jagt Dr.
No gedreht. Offenbar ist die Lage seitdem ernster geworden; die
Liebesgrüße ans Moskau setzten nicht mehr zu parodistischen
Seitensprüngen an. Der zweite Film wiederholt nicht nur den ersten; er
wiederholt sich unablässig selbst. Da der Zuschauer sich, dem
triebhaften Helden gleich, müßig treiben läßt, muß ihm der Film immer
abwechslungsreichere, immer überraschendere und gesteigerte Genüsse
bieten. Verfolgt wird drum säuberlich getrennt zu Fuß, per Bahn, per
Auto, per Hubschrauber, per Motorboot. Zwischendurch tritt die
international bekannte Nackt- und Bauchtänzerin Leila auf. In einer
erstklassigen Einlage produzieren sich Damenringkämpferinnen (schade,
man vergaß die Große Freiheit: dort treiben sie's im Schlamm). In einer
weiteren Nummer lauscht man dem Lied von Matt Munro From Russia with
Love. Ein bunter Abend?
Young ist nicht weit davon entfernt. Wie sollte er auch, da er nicht
die Möglichkeit hatte, eine Entwicklung zu zeigen, Übersicht zu wahren,
einen Stil zu entwickeln oder seine filmischen Mittel zu überblicken.
So wurde der Film auch der Form nach keine Einheit. Wobei kein Zweifel
daran besteht, daß Young eine Reihe von Gags sehr geschickt, sehr
schnell und sehr wirkungsvoll zu bringen versteht. Young war stets in
der Lage, verschiedenste Themen wirkungsvoll zu verfilmen. Ob es nun
ein Kriegsdrama war (The Red Beret, 1953; ein Fallschirmjäger, der am
Tode eines Kameraden schuldig Ist, gewinnt bei einem Einsatz in
Nordafrika sein Selbstvertrauen zurück) oder eine Tanzverfilmung
(Un,Deux, Trois, Quatre, 1960). Auch die Liebesgrüße aus Moskau sind
berauschend unterhaltsam. Oder sagen wir besser: sie machen rauschhafte
Zustände schmackhaft.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text erschien im Mai 1964 in der Zeitschrift: Filmkritik
James Bond - Liebesgrüße aus Moskau
From Russia With Love
Großbritannien 1963. P Eon Productions. V United Artists -
R Terence Young. B Richard Maibaum u. Joanna Harwood,
n. d. Roman v. lan Fleming. K Ted Moore u. Robert Kindred,
M John Barry, Lionel Bart (Titelsong) u. Monty Norman
(James-Bond-Thema). D Sean Connery (James Bond), Daniela
Bianchi (Tatjana Romanowa), Pedro Armendariz (Kerim Bey),
Lotte Lenya (Rosa Kl ebb), Robert Shaw (Red Grant),
Bernard Lee („M")