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Liebe
1962
L'ECLISSE (LIEBE 1962) ist der
dritte Film nach L'AVVENTURA und LA NOTTE, der eine Liebesgeschichte von ihrem Ende her erzählt, so
daß jede neue Begegnung die Unmöglichkeit der alten in seiner Spiralbewegung
wiederholt. Die drei Filme beschreiben, wie sich die Personen - das sind zuerst
und viel radikaler die Frauen - über Trennendes klar werden. Diese Klarheit
über die Täuschungen in Liebesbeziehungen entwickelt sich im zögernden,
schwankenden Erproben der Gefühle. Wie sich die Personen verhalten in Situationen,
in denen Erinnertes, - die Erfahrung von Beschädigungen -, in (neuen) Begegnungen
herausgefordert wird, ist das eigentliche Sujet über die schmale Fabel
hinaus. Die dramaturgische Konstruktion, mit dem Ende von Beziehungen einzusetzen,
eine Dialogführung, die dramatische Funktionalität unterläuft,
und eine Bildästhetik, die physische Bewegungen in quasi-graphischen Begrenzungen
einfängt, schaffen einen melancholischen Gestus in allen Filmen von Beginn
an. Melancholie wird in diesen Realitätsmodellen zur Voraussetzung einer
wachsenden Klarheit über die gebrochenen Gefühle. In den Situationen,
in denen sich diese Erfahrung konzentriert, finden die Personen keine Worte;
die Klarheit bleibt unbenennbar, aber die Körpersprachen teilen den Strom
der Affekte und Emotionen im Moment der Einsicht mit. Antonionis Methode, die
Schauspieler agieren zu lassen, ohne das Ende der Szene festzulegen, macht Improvisationen
und Überschüsse der Rollenidentifikation bewußt zum Spielmaterial
für den Filmschnitt.
Von Film zu Film intensiver orientieren
sich die ästhetischen Mittel an der zwiespältigen Sensitivität
der Frauenfiguren, bis sie in L'ECLISSE zu abstrakten Sinnbildern werden, ablösbar
von der depressiven Vorstellungswelt der Hauptfigur Vittoria. L'ECLISSE ist
der artifizielle der drei Filme, in dem Monica Vitti als Vittoria extremere
Spaltungen vermitteln muß. In allen Filmen verbindet die Inszenierung
der Frauenfiguren spannungsreicher als die der Männer Techniken des Anspielens
in der Mimik mit wenig ausgreifender Gebärdensprache zu einem Stil künstlicher
Natürlichkeit. Sie illustrieren nie ihre Affekte zu eindeutigen Äußerungen
und entziehen den Situationen so die Selbstverständlichkeit. Es gibt nicht
die Voraussetzung von Gradlinigkeit, die Regeln funktionierender Kommunikation,
in der sich Beziehungen einrichten und bestätigen könnten. Die Isolierung
der Frauen von ihrem Gegenüber wird in Großaufnahmen betont und durch
Quadrierungen, die sie wie gefangen von der Umgebung und den angeschnittenen
Männerkörpern zeigen. Irritation und Befremdung, die Zwischentöne
von autistischer Verschlossenheit und nicht zu unterdrückender Unruhe,
Enttäuschung und Verzweiflung, die Momente von ausweichender Maskierung
und schockartiger Distanzierung sind die wichtigsten Formen expressiver Darstellung,
vor allem bei Monica Vitti. Sie spielt diese minimalen Prozesse zwischen Selbstkontrolle
und deren Verlust, zwischen Emotionen und Einsichten als Augenblicks-Erlebnisse
und schafft so den suggestiven Eindruck von Frauenfiguren mit vitalen Sinnen,
introvertiert-gefangenen Gefühlsregungen und kühl-beherrschten Verhaltensformen.
Diesem Darstellungsstil entspricht
ein synkopischer Montagerhythmus, der das Verhalten an den Leerstellen der sprachlichen
Gefühlsäußerungen, die Rückstände des Dramas insistierend
nah beobachtet, dramatisch Konzentriertes dagegen rafft.
Die Dramaturgie der Zeitabläufe
und Schauplätze wird von Film zu Film enger. L'ECLISSE spielt in Rom, wiederkehrende
und in zwei Welten zerfallende Schauplätze sind Vittorias modernes Wohnviertel
mit Baustellen, sandigen toten Grundstücksarealen, leeren Straßen
und Parks und dagegen die Großstadt in der Nähe der Börse. Die
äußere Zeit im Ablauf weniger Tage nach Vittorias Trennung von ihrem
Verlobten verliert ihr Gewicht in der subjektiven Zeit von Ausflügen und
Spaziergängen, die zunehmend ambivalente Erlebnisse zwischen Erkundung
und Trance werden.
L'ECLissE beginnt mit einer langen
Szene zwischen Vittoria und Riccardo (Francisco Rabal) in dessen Wohnung am
frühen Morgen. Es ist das stumme Ende einer Trennungsdiskussion, die die
ganze Nacht gedauert hat. Vittoria will gehen, die Verbindung endgültig
aufgeben, auch ihre Arbeit für Riccardo (als Übersetzerin) abbrechen.
Sie kann keinen Grund nennen, ist sich aber sicher. Ihr »Ich weiß
nicht« wiederholt sich wie ein Leitmotiv auch in ihrer neuen Begegnung
mit Piero (Alain Delon).
In der Anfangssequenz tastet die
Kamera den Raum zwischen dem getrennten Paar ab: abstrakte Bilder, Möbel
und Lampen in funktionalem Stil, ein Schreibtisch, der surrende Ventilator -
die Perspektive zerstreuter Blicke in einem reduzierten Drama. Vittoria ist
die nervösere, geht umher, erscheint flüchtig in den Konturen der
kühlen Wohnungsausstattung, zieht mit dem Finger die Umrisse von Gegenständen
nach, öffnet den Vorhang. Man sieht den UFO-ähnlichen Stahlpilz eines
Turms, ein wiederkehrendes optisches Signal des manchmal wie eine Mondlandschaft
gezeigten EUR-Viertels.
Riccardo will Vittoria nicht gehen
lassen, nähert sich ihr, die Kamera gleitet an den Personen ab, wenn Vittoria
ausweicht. Sie geht nach Hause über eine verlassene Straße, vorbei
an sandigen Halden, Baugruben und halbfertigen Gebäuden, streicht über
dürre Sträucher, sich im Gehen lösend. (Solche befreienden Gänge
auf schmalen Pumps, die unvermeidliche kleine Tasche schwenkend, machen lange
Passagen des Films aus.)
Riccardo fährt ihr nach,
begleitet sie gegen ihren Willen. Vittoria wohnt in einem modernen Block mit
niedrigem, verstecktem Glaseingang. Von ihrem Fenster aus überblickt sie
die Straße hinter einer hohen Hecke. Riccardos stumme Verfolgung wie später
Pieros neugierige Annäherung sind über diese Grenzziehung hinweg wie
Gespenster-Auftritte makaber komisch inszeniert.
Die zweite Sequenz beschreibt
in einem radikalen Atmosphäre-Bruch Vittorias Besuch der Börse in
Rom, wo sie melancholisch introvertiert am Rand der Geschäftigkeit bleibt,
einer fremden Motorik nach unerklärlichen Gesetzen. Sie sucht dort ihre
Mutter (Lilla Brignone), eine robuste Frau mit der ganzen Skala ihrer Affekte
fixiert auf die Zahlen, die faszinierend für Geld stehen. Die Mutter, die
nur über ihre Geschäfte spricht und Vittorias Ansätze, von der
Trennung zu berichten, nicht wirklich wahrnimmt, ist als plastisch überzeichnete
Kleinbürgerfigur ein negatives Gegenbild zu den untätigen bourgeoisen
Frauen in den beiden voraufgegangenen Filmen und den arbeitenden Frauen in Antonionis
50er-Jahre-Filmen, die Emotionalität und Autonomie integer verkörperten.
Bei Vittorias Mutter ist die Arbeit reduziert auf die aufgeregte Beobachtung
des Schauspiels, in dem sich das >von selbst arbeitende< Kapital repräsentiert,
bei Vittoria hat ihre Arbeit keine richtungsändernde Funktion für
ihre innere Befindlichkeit.
Die Börsensequenz ist zu
einem orgiastischen Furioso montiert, wenn sich die Kamera zwischen voluminösen
Säulen dem Spektakel unter der Kuppel nähert, ältere Frauen hinter
der Barriere in Angstlust um ihre Einsätze zeigt, Alain Delon als wendigen
Broker einführt, der zwischen Telefonkabine und dem Agentengeschrei unter
der Anzeigetafel hin- und herrennt; wenn der Ventilator die Zirkelbewegung assoziativ
steigert; wenn mit einem Schlag für eine volle Minute in Realzeit Stille
herrscht im Gedenken an ein Opfer des Herzinfarkts in der Broker-Gesellschaft
und unmittelbar darauf das ohrenbetäubende Marktgeschrei wieder einsetzt.
Abends zuhause packt Vittoria
ein Pflanzenfossil aus und sucht einen Platz für die Neuerwerbung. Während
sie mit dem Hammer hantiert, kommt eine Nachbarin und Vittoria bemerkt, ihre
Trennung resümierend, daß es ihr an manchen Tagen gleichgültig
sei, ob sie sich mit einem Kleid, einem Buch oder einem Mann beschäftige.
Eine andere einsame Nachbarin lädt sie ein. Deren Wohnung lädt zu
einem imaginären Ausflug auf einen fremden Kontinent ein. Die Kamera gleitet
über Landschafts- und Porträtfotos aus Kenia und bezieht die Frauen
beim Betrachten in die Bilder ein, zeigt sie beim tastenden Erforschen der Stoffe
und Gegenstände, während Marta von ihrer afrikanischen Farm erzählt
und von Aufständen, deretwegen sie allein in einem für sie fremden
Rom lebt. Nie verläßt sie die Wohnung. Mit einem rabiaten Schnitt
ist Vittoria plötzlich verkleidet und geschminkt in eine blonde Afrikanerin
verwandelt und tanzt einen ekstatischen Speertanz, bis Marta die Trommelmusik
abstellt, weil sie verabscheut, daß weiße Frauen sich wie Afrikanerinnen
geben. Die angerissene Kontroverse über Rassismus nach der Rückverwandlung
wird plötzlich abgelenkt, weil Marta ihren Hund vermißt und die Frauen
sich zu einer nächtlichen Suchaktion über die Treppenanlagen und Beton-Areale
zwischen den Wohnblocks aufmachen. Vittoria findet den Pudel bei einer Meute
von Straßenkötern, lockt ihn verspielt zu Kunststückchen, bleibt
wie verzaubert stehen auf einem weiten leeren Betonplatz und lauscht dem melodischen
Klappern der Zugschnüre an einer Parade von Fahnenstangen wie einer magischen
Musik.
Tags darauf eine stumme Wiederholung
der Trennung: Riccardo vor ihrem Fenster, dann gegen die Glastür schlagend.
Er will herein, Vittoria beobachtet ihn, hält sich verborgen, erscheint
wie gefangen in ihrer Wohnung, bittet aber mitfühlend eine Freundin am
Telefon um Hilfe für ihn, weil Riccardo es schwer habe in seiner Verzweiflung.
Die folgende Sequenz beschreibt
einen weiteren Ausflug Vittorias, eine einsame, müßige Entlastung,
bei der ihr das eigene Land fremd begegnet: sie sitzt in einem Sportflugzeug
über den Flügeln, scheint Teil eines künstlichen Vogels, der
sie durch Wolkengebilde trägt. Vittoria begleitet die Nachbarn auf einen
Abstecher nach Verona, schaut sich dort staunend auf dem Flugfeld um, wartet
allein auf der Terrasse des Aero-Clubs auf den Rückflug, während am
Nebentisch farbige Amerikaner in ihrer Sprache reden und die Siesta-Stille dem
Bild in einer magischen Verschiebung die Augenblicks-Wirkung einer exotischen
Szene gibt.
Vittoria besucht wieder ihre Mutter
in der Börse und wird dort Zeugin eines sich in wenigen Minuten akkumulierenden
Desasters, bei dem die vage Information über Kursverfälle an norditalienischen
Börsen rasend schnell zu Verkäufen führt. Die Spekulanten verlieren
die Nerven, Airfresh wird versprüht, Salz über die Schulter gestreut,
das Taschentuch gezückt. Ein dicklicher Herr empfiehlt seine neue Errungenschaft,
einen elektrischen Taschenventilator. Arme und Finger stoßen in die Luft,
der Krach ist ohrenbetäubend. Piero und sein Chef (Louis Seignier) geben
sich professionell, nüchtern an Baissen gewöhnt. Aus der allgemeinen
Erschöpfung folgt Vittoria einem trägen Dicken, der 300 Millionen
verloren hat, hinaus über die Straße in eine Apotheke und weiter
in eine Bar, wo er ein Glas Wasser bestellt und Tabletten nimmt. Die Szene spielt
mit dem Suspense einer Selbstmord-Erwartung, die aber düpiert wird, wenn
Vittoria herausfindet, daß seine zurückgelassenen Notizen die Skizze
einer Blume zeigen.
Piero lädt Vittoria ein,
aber läuft immer fort zum Telefon. Er begleitet sie zur Wohnung der Mutter,
wo sie ihm ihr enges Jugendzimmer zeigt. Ihn reizt die Situation, sie zu küssen,
was sie befangen abwehrt. Die hysterisch aufgelöste Mutter ist immun gegen
Trost, ihre Existenzangst berührt Vittoria weniger als ihr Nervenzustand.
Ähnlich gleichmütig fremd bestand sie vorher bei Piero nicht auf einer
präzisen Auskunft dazu, wohin das verlorene Geld eigentlich gegangen sei.
Piero ist im Desaster in seinem
Element, wenn er in der Agentur entnervte Verlierer abweist, am Telefon neue
Geldgeber heranzieht und sich für abends mit einem Mädchen verabredet.
Die Montage konstruiert ein sich verlangsamendes Tempo bis zum späten Abend,
bis die Agenten müde herumsitzen und die Katastrophe verarbeitet haben. Piero
läßt das Mädchen stehen, als es über sein Zuspätkommen
mault, und fährt im offenen Sportwagen zu Vittoria. Sie flirten zwischen
Fenster und Straße, ein Säufer wankt vorbei, Piero hört entsetzt,
wie er mit seinem Wagen davonfährt, Vittoria lacht.
Morgens am Tiber eine Menschenansammlung
in Volksfeststimmung. Der Wagen wird aus dem Wasser gehoben, der Dieb liegt
tot darin. Piero spricht nur über Reparaturkosten, als Vittoria zum Unfallort
kommt, worauf Piero am Telefon bestanden hatte. Die beiden machen einen langen
Spaziergang durch einen Park, die Kamera folgt ihnen und beschreibt mit den
heller werdenden Grautönen von Laub, Rasen, Wassertropfen den fließenden
Stimmungswechsel, schwebt über den Bäumen. Sie spielen mit einem Rasensprenger,
Vittoria läuft voran, faßt in Zweige, holt sich einen Ballon, folgt
einer swingenden Piano-Musik, aber bei einem leeren Musik-Pavillon treffen beide
nur auf ein einsames altes Paar und eine Juke-Box, - der Tanz erweist sich als
Täuschung. Vittoria wird ernst und läuft davon, vor ihrem Haus pfeift
sie Marta heraus, läßt den Ballon fliegen, und Marta zerschießt
ihn gekonnt.
Die Sequenz dehnt und intensiviert
sich zu einem ziellosen Gang durch das menschenleere Viertel in einer Folge
von minimierten Verführungszeichen und unschlüssigem Ausweichen. Die
eine Ebene unterschwelliger Eroberungsappelle macht Pieros gelöste Verfolgerhaltung
plausibel, Angst und Erschrecken in Vittorias Gesicht werden übersteigert
und metaphorisch kommentiert in Bildern von laut und trocken raschelnden Baumkronen,
unheimlich knatternden Bastmatten um das Gerüst eines den Blicken entzogenen
Rohbaus. Vittoria wirft ein Holzstück in eine Regentonne, schaut sich nach
Piero um, der wie in der Leerstelle einer Halluzination plötzlich von der
Straße verschwunden ist. Die Zeichen der Realität werden willkürlich
subjektives Spielmaterial, wenn er am Geviert der Zebrastreifen-Linien auf einer
leeren Straßenkreuzung auf das Stop-Schild gegenüber weist und einen
Kuß ankündigt, sobald sie den Punkt erreicht hätten. Sie läßt
die Umarmung zu, ohne sie zu beantworten.
Die Unterschiede von äußerer
Aktivität und innerer Irritation zwischen beiden sind in einer Parallelmontage
gegeneinandergesetzt, wenn Piero nachts auf seinem Bett liegt, entspannt mehrmals
telefoniert, Zeitungen durchblättert, Vittorias Anruf ahnungslos annimmt,
während sie zögernd zum Hörer greift, sich überwindet und
dann wortlos wieder auflegt.
Ein zweites Rendezvous setzt damit
ein, daß Vittoria wartet ohne Erwartungshaltung, sie geht allein spazieren
in derselben Szenerie halluzinatorischer Zeichen: die Bastmatten an der Baustelle,
ein einsamer Traber im Sulky, ein einzelnes Mädchen. Vittoria geht mit
Piero, der plötzlich wie eine Erscheinung auftaucht, in die dunkel abgeschattete,
leere Wohnung seiner Eltern. Wieder bewegt sie sich zögernd unsicher, dann
neugierig erkundend durch die bürgerlich üppige Zimmerflucht wie auf
einem Ausflug in einen fremden Kontinent. Sie küßt Piero durch eine
Fensterscheibe, bei seiner Umarmung reißt ihr Kleid an der Schulter und
auf der Suche nach irgendwas, etwas Unbestimmtem, durchstreift sie die Räume,
betrachtet allegorische Gemälde mit nackten Gestalten, lächelt über
eine nackte Frau als Kugelschreiberdekor, sieht im Fensterausschnitt geisterhaft
eine Nachbarin, Nonnen und Soldaten vor einer Kirche. Piero folgt ihr ins Schlafzimmer,
die Liebesszene zeigt ihr irritiertes Gesicht, durch seine Schulter halb verdeckt.
Beim nächsten Rendezvous
im Park mißverstehen sich die beiden so unentwirrbar, daß die Szene
wie ein erster Schluß auf der sprachlichen Ebene wirkt. Pragmatisch Bestätigung
suchend fragt er, ob sie ihn also nicht heiraten werde; sie vermißt die
Ehe nicht. Ihre allgemeinen, diffusen Antworten reizen ihn, er will kein »Ich
weiß nicht« hören auf die Frage, warum sie mit ihm gehe, und
versteht nichts bei ihrer Antwort: »Ich wünschte, ich würde
dich nicht lieben ... oder viel mehr.«
Vittoria besucht Piero in seinem
Büro, aber die von ihm geschilderte Obsession in Geldgeschäften, die
der Ort für ihn ausstrahlt, berührt sie nicht, - es gibt eine kindlich
verliebte Balgerei auf dem Sofa, bei der sie feststellt, daß man immer
einen Arm zuviel hat, der die Umarmung schwierig macht. Ironisch kopieren sie
die Gesten früherer Umarmungen, werden aufgestört und abgelenkt von
der Türglocke, Vittoria nimmt das als Signal zur Verabschiedung. In einer
langen Folge von Blickwechseln und Umarmungen, in einer Diffusion zwischen Erregung
und Hypnose versprechen sie, sich jeden Tag und immer »am Tag danach«
und am gleichen Abend noch zu sehen. Aber im dunklen Treppenhaus, in der der
anonyme Störer verschwunden ist, hat Vittorias Gesicht Züge von Verzweiflung.
Pieros Verzauberung, die Alain
Delons alertes Jungengesicht als pure Verliebtheit spiegelt, hat eine plastische
szenische Entsprechung: er geht durch die Büroräume, um die Telefonhörer
überall wieder auf die Gabeln zu legen und reagiert nicht, wenn die massigen
schwarzen Apparate sogleich zu klingeln anfangen, andauernd und schrill im dutzendfachen
Kanon aus allen Räumen. Auf der Straße bewegt sich Vittoria wie in
Trance und wird von Passanten gestoßen. Ein Schwenk in Baumkronen und
der Wechsel in eine surreale Toncollage leiten die Schlußmontage ein,
die eine Phantasmagorie von Erinnerungssplittern in Vittorias verstörtem
Bewußtsein sein könnte: man sieht die leeren Straßen ihres
Viertels, einzelne Blockbauten, die Rasensprengmaschine wie ein wasserspeiendes
Metall-Insekt, die Regentonne mit dem Holzstück, das Bastmattenhaus, den
Traber, die graphischen Linien leerer Straßenkreuzungen, einzelne Menschen,
von unheimlichen Eigengeräuschen im aufkommenden Wind und einem grellen
Jazz-Motiv orchestriert. Die Regentonne leckt, Rinnsale laufen in Straßengullies,
ein Bus hält mit überlauten Preßluftgeräuschen an einer
Haltestelle, wenige Leute gehen wie mechanisch über die Straße hinweg
auseinander. Dies könnte eine imaginierte Dramatisierung sein, mit der
sich die Orte von Vittorias Warten zur einbrechenden Dämmerung und einem
aufziehenden Gewitter hin in Bewegung setzen, - Bilder einer inneren Leere vor
dem Aufruhr. Aber an der Bushaltestelle hält jemand die Titelschlagzeile
des liberalen Magazins L'Espresso demonstrativ ins Bild: Der Frieden ist faul.
Im Schlußbild flackert Licht
unter einer hypermodernen Peitschenlampe auf und erscheint in diffudierender
Unschärfe als täuschendes Bild einer Sonnenfinsternis (L'Eclisse)
oder eines atomaren Strahlenpilzes. Die surreale Phantasie von orientierungsloser
Erwartung wird allgemeiner und beliebiger zum Symbol der erwarteten Apokalypse.
L'ECLISSE endet mit Sinnbildern
der Leere, wo in den vorhergegangenen Filmen die Bilder von getrennt/vereinten
Paaren die Leere ihrer Beziehungen noch unmittelbar szenisch erzählten.
Die Oberflächen-Phänomene zerfallen in Extreme: in eine private, einzelgängerisch
genossene Rest-Welt der sinnlichen Verbindung zu den Dingen und neugieriger
Lust auf Fremdes bei Vittoria und in Zeichen tiefer Depression und Sexualangst.
Sie scheint eher wie besetzt von ihren Gefühlen, als daß sie mit
diesem Sensorium eine Herausforderung an die Gegenwelt Pieros provozieren würde,
vergleichbar der Konfrontation mit sich selbst, die das Verhalten der Frauen
den Männern in L'AVVENTURA und LA NOTTE abnötigte.
Die Männer, von denen sich
die Frauen trennen, werden von Film zu Film schwächer. Sie haben die äußeren
Kennzeichen bürgerlicher Intellektueller und Ästheten. Sandro in L'AVVENTURA
kann seine Anpassung an den modernen Architektenberuf noch rationalisierend
beschreiben, Giovanni in LA NOTTE lamentiert über seine schriftstellerische
Impotenz und verhält sich konformistisch, Riccardo ist nur noch indirekt
durch sein Wohnungs-Interieur charakterisiert.
In den erotischen Beziehungen
lebt Sandro chauvinistische Attitüden und Zufallsneigungen aus, kann Giovanni
die Anziehungskraft der Frauen nicht beantworten (außer in der Geste des
Vergewaltigers am Ende), beharrt Riccardo in L'ECLISSE kraftlos auf dem Status
quo. Er verschwindet aus dem Film, aber nicht mysteriös irritierend wie
Anna in L'AVVENTURA, - die erste Szene bereits erledigt ihn als zu vernachlässigende
Größe in Vittorias Leben.
Antonioni führt in diesem
Film einen neuen Männertypus ein, der perfekt amalgamiert ist mit dem Gesellschaftsausschnitt
dieses Films. Die männlichen Hauptfiguren in den Filmen zuvor bewegten
sich am Rand der bourgeoisen Cliquen, Piero dagegen wird in seinem professionellen
Element gezeigt: den Geldgeschäften. Telefon und Auto, Kosten- und Nutzen-Überlegungen
kennzeichnen ihn.
Die Cliquen, die Antonioni immer
resistent gegen Gefühle zeigt, aber ihre Eitelkeit, Boshaftigkeit und Langeweile
scharf pointiert, sind in nur durch gleiche Zwecke aufgeregt zusammentreffende
Kleinbürger. Piero bewegt sich an der Börse, im Büro und privat
agil und krisenfest, Haussen und Baissen sind die zwei Seiten seines Jobs.
Die beiden früheren Filme
legen aus dem Verhalten der Männer Konventionen frei (Eroberung, Ehe, Seitensprung),
beschreiben sie als Reibungsfläche zu den weiblichen Ansprüchen auf
Totalität, Erfüllung, Wahrhaftigkeit, Anteilnahme und setzen die Erfahrung
der Frauen als Schlußpunkt, daß diese »alten« Gefühle
in ihrer Situation nie Wirklichkeit werden. Pieros Beziehung zu Vittoria beginnt
zufällig, entwickelt sich wie eine Reminiszenz an kindliche Unschuld, folgt
dem Eroberer-Muster und verschwimmt am Ende in einem Traum-Nebel, dessen Expressivität
eher an die surreale Verschiebung des realistischen Schauplatzes geknüpft
ist als an die Körpersprache von Alain Delon.
Piero ist im Unterschied zu den
früheren Männerfiguren ein Mann ohne Leidensdruck. Antonionis Methode
der Schauspielerführung fängt von Delon Nuancen sportlicher Vitalität
ein, die seine Rolle wirkungsvoll absetzen gegen die frühere Männertypologie.
Delon ist extrovertiert wie später David Hemmings in BLOW-UP.
Claudia Lenssen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: Michelangelo Antonioni; Band 31 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek
von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien
1987.
Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung der Autorin Claudia Lenssen und des Carl Hanser Verlags.
Liebe 1962
L'ECLISSE / L'ECLIPSE.
Italien/Frankreich 1962
Regie: Michelangelo Antonioni – Sujet und Buch: Michelangelo Antonioni,
Tonino Guerra. - Buch-Mitarbeit: Elio Bartolini, Ottiero Ottieri.
- Kamera: Gianni Di Venanzo. - Schnitt: Eraldo Da Roma. - Ton: Claudio Maielli,
Renato Cadueri. -
Musik: Giovanni Fusco; Musikalische Leitung: Franco Ferrara; Lied: »Eclisse
Twist«; Interpretin: Mina. - Bauten: Piero Poletto - Kostüme:
Bice Bricchetto. - Regie-Assistenz:
Franco Indovina, Gianni Arduini. - Darsteller: Alain Delon (Piero), Monica Vitti (Vittoria), Francisco
Rabal (Riccardo), Lilla Brignone (Vittorias Mutter), Rossana Rory (Anita), Mirella Ricciardi (Marta), Louis Segner (Ercoli),
Cyrus Elias (Betrunkener). - Produktion: Interopa Film, Cineriz, Rom/Paris Film
Production, Paris. - Produzent: Robert & Raimond Hakim. - Produktionsleitung:
Danilo Marciani. - Gedreht von Juli bis Oktober 1961 in Rom und Verona.
- Format: 35 mm, sw. –
Original-Länge und Deutsche Länge: 125 min. - Uraufführung: 13.4.1962,
Mailand. - Festival: 22.5.1962, Cannes.
– Deutsche Erstaufführung:
19.10.1962. - TV: 23.8.1969 (ARD); 9.12.1981 (S 3); 11.3. 1982 (HR III). - Verleih: Bruno Schmidt (16 mm).
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