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Der
letzte Zug
Juden im Zug nach Auschwitz. Einer
kommt durch. Denn sie haben eine Axt mit. Schon ist ein Loch im Boden, doch
ehe es groß genug ist, fällt die Axt durch. Für ein kleines
Mädchen aber reicht es. Sie kommt hindurch. Im Wäldchen stehen polnische
Partisanen bereit. Sie kommen jeden Tag, um flüchtende Juden zu retten.
Das ist beispielhaft. Das ist
moralisch. Das ist ein Traktat. Und damit haben wir die Krux. Einerseits ist
es eine Tat, sich des Themas anzunehmen (Produktion: CCC Filmkunst Artur Brauner).
Andererseits unternimmt der Film alles Mögliche, den Zuschauer zu verschonen
(Regie: Joseph Vilsmaier und Dana Vávrová). Der KZ-Transport ist
in Watte verpackt, nein, er wird vom schwarzen Rauch verhüllt, der aus
dem Schornstein der Lokomotive kommt, und vom weißen Dampf aus den Bremsleitungen.
Die Kamera kann sich den Film hindurch gar nicht satt sehen am malerischen Bild
der Nostalgieeisenbahn. – Hallo, wer meint, dass ich zynisch bin: ich reiche
den Vorwurf an den Film weiter. Zynisch ist es, aus dem Abtransport der berliner
Juden so etwas zu machen wie die endlosen TV-Serien mit der Eisenbahn über
die Anden, ins wilde Kurdistan, nach Bagdad oder mit dem last train nach San Fernando. Tapfer legt
sich die Kamera des „letzten Zugs“ zwischen die Gleise, um die blitzblanke Bahn
über sich hinwegrattern zu lassen. Dann hängt sie sich erleichtert
an einen Kran, um das Museumsstück von oben aufzunehmen. Am liebsten aber
hat sie Panoramen in angenehmer Landschaft. Das gibt die schönsten Dekorationen.
Kommen wir zu den Kostümen.
Wie nimmt man Juden auf? Unsere Kamera, die von sich allzu überzeugte alte
Dame, findet es hübsch: senkrecht von oben. Dann sieht man tief unter sich
Hüte, Hüte, Hüte, und zwar immer die gleichen. Was soll uns das
sagen? Mir sagt es, dass ich der alten Dame, wenn ich es denn gekonnt hätte,
am liebsten eins ---, ich sag mal, auf den Fuß getreten hätte. Kunstgewerbe
macht mich nicht unbedingt aggressiv, in Verbindung mit Auschwitz aber wohl
doch; vielleicht, weil der Film mich darum gebracht hat, mein altes Trauma loszuwerden.
1944 stand ich in Pimpfenuniform nachts ganz allein auf dem Bahnhof von Nazizittau
(„Reisenden helfen“), als aus einem Güterzug durch ein kleines Gitterfenster
„Reisende“ kläglich nach Wasser riefen. Mein Versuch, Wasser zu bringen,
scheiterte. Ein Soldat (?) jagte mich weg. Zwanzig Jahre lang hatte ich die
Szene verdrängt. Dann sagte das Bewusstsein jäh und hart: Du bist
bei der Abfertigung eines KZ-Transportes dabeigewesen. Und jetzt, 2006, kommt
der Gegenschuss. Aus dem Zug heraus. Durchs Gitterfenster der Blick nach draußen.
Bringt denn keiner Wasser?! Ich hätte tief berührt sein müssen.
Ich schwöre, ich war bereit. Aber es kam nichts. Der Film lässt kalt.
Er hat’s vermasselt.
Sind es die pädagogischen
Dialoge („Wir müssen uns organisieren, sonst bringen wir uns gegenseitig
um“)? Sind es die Klischees (Der Lokführer und sein Heizer, Polen, Reichsbahnbeamte,
saufen wie die Verrückten)? Sind es die legitimatorischen Drehbucheinfälle?
Die Juden, im Schutz des Güterwagens, fürchten die ukrainische SS,
„wahre Teufel; betet zu Gott, dass sie nicht unseretwegen hier sind“. Wer rettet
vorm Teufel? Die deutsche SS ist’s. Sie knallt den Ukrainer ab. Und wer knallt
die deutsche SS ab, oder wenigsten den fiesen SS-Untersturmführer von
der Totenkopfdivision? Na endlich, die deutsche Wehrmacht natürlich, und
Wasser bringt sie auch, die gute, und keiner jagt sie weg.
Kurz vor der Selektion in Auschwitz
wendet sich der Film dem Happy End des durchgekommenen Mädchens zu, womit
der Film für Öffentlich-Rechtliche sendetauglich ist. ARD/Degeto haben
sich beteiligt, genau wie an der artverwandten Produktion „Nicht
alle waren Mörder“, die Woche zuvor versendet. – Eine Frage an die ARD: Steht jetzt
das dekorative Format für unsere hässliche Geschichte?
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Der
letzte Zug
Deutschland
/ Tschechien 2006 - Regie: Joseph Vilsmaier, Dana Vávrová - Darsteller:
Sibel Kekilli, Gedeon Burkhard, Roman Roth, Marco Hofschneider, Brigitte Grothum,
Juraj Kukura - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
123 min. - Start: 9.11.2006
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