zur
startseite
zum
archiv
Kleines
Tropikana
Wenn
ein nicht ganz unbekannter deutscher Schauspieler in einem aktuellen kubanischen
Film eine der Hauptrollen übernimmt, ist das für beide Seiten sicher
eine ungewöhnliche und aufregende Erfahrung. Die Kubaner wird man vielleicht
bei Gelegenheit danach fragen können. Den Schauspieler Peter Lohmeyer,
der es sich nicht nehmen ließ, braungebrannt und im Kuba-T-Shirt selbst
zur Berliner Pressevorstellung dieses Films zu erscheinen, hat es wohl angesichts
dieser Geschichte voll erwischt. Und es ist anzunehmen, dass es sich dabei nicht
um das grassierende gewöhnliche Kubafieber handelt, sondern um echte Verliebtheit.
Etwas
muss mit ihm geschehen sein. Bevor man ihn überhaupt etwas fragen konnte,
sprudelte die Begeisterung aus diesem Mann heraus. Vom Lernen und neuen Lebensfreundschaften,
vom lässigen Arbeitsstil und vom harten Leben der Kubaner war die Rede,
von Zensur und neuen Freiheiten. Und vom Improvisieren, weniger im schauspielerischen
als im technischen Bereich. In Kuba sind eben ganz altmodisch nicht Zeit und
Menschenarbeit teuer, sondern die Mittel knapp. Ein Spielfilm pro Jahr wird
dort im Durchschnitt realisiert. Devisen sind rar. Unter solchen Bedingungen
ist "Kreativität" noch nicht zum Euphemismus für möglichst
geschickte Marktanpassung degradiert, sondern eine schlichte menschliche Fähigkeit:
sich etwas einfallen lassen. Effekte zum Beispiel, die sich nicht mit ein bisschen
Geld maschinengenerieren lassen, sondern das Ergebnis von Experimentierfreude
und Herumknifffeln sind. Dies Zusammengebastelte, Raumpatrouillenmäßige
sieht man ja auch anderen kubanischen Filmen auf durchaus charmante Weise an.
Wenn
ein deutscher Schauspieler in einem kubanischen Film eine der Hauptrollen übernimmt,
dann muss er natürlich einen Deutschen spielen. Dieser Hermann, aus dem
tiefsten Kuckucksuhr-Schwarzwald, stürzt eines Nachts wie ein geflügelter
Ikarus von einem Dachgarten in Havanna und ist tot. Nicht irgendein Dachgarten,
sondern der eines Hauses, in dem undurchsichtiges - und das heißt auf
kubanisch vor allem: ausländisches - Volk verkehrt. Von Orgien ist die
Rede. Für den ermittelnden Kommissar ist der Fall also schnell erledigt.
Doch sein Assistent Leutnant Lorenzo Columbio hat da ganz andere Ideen. Also
recherchiert er auf eigene Faust. Konstruiert Thesen. Stellt Untersuchungen
an. Befragt Zeugen. Kommt zu neuen Vermutungen.
Im
Spiegel dieser Recherchen rollt Kleines Tropikana (so der Name eines Nachtlokals,
das Hermanns Vater im Schwarzwald betrieb) die Geschichte des Hermann Pangloss
auf, der auf den Spuren seines erst vor den Nazis nach Kuba emigrierten und
dann von den Kubanern als Verräter des Landes verwiesenen Vaters die Insel
besuchte. Ein Irrgarten an Fährten. Und immer fantastischer werden die
Vermutungen, immer haarsträubender die Verwicklungen, die Lorenzo seinem
Hermann anhängt und die der Film getreu, wenn auch in der Staffelung der
Realitätsebenen nicht immer ganz logisch, wiedergibt. Eine Heilige, Schmuggler
und Grabplünderer sind da beteiligt, zwielichtige Damen und Honoratioren
auch. Selbstverständlich gibt es auch illegitime Kinder. War Hermanns Vater
nun ein Verräter oder nicht, Kommunist oder doch Nazi? Und was hat Hermann
Göring mit dem allem zu tun?
Nachvollziehbarkeitsfanatiker
haben hier keine Chance. Verschwörungstheoretiker und Freunde der Fantastik
dagegen kommen auf ihre Kosten. Wie heißt es am Anfang? Alle Fiktion ist
Lüge! Oder doch: Alle Wahrheit ist Lüge? Sei's drum: Sich dem Lauf
der Bilder hingeben, ist hier das Einzige, das funktioniert. Regisseur Daniel
Díaz Torres, der sich aufgrund freundschaftlicher Bande zu den politischen
Zirkeln Kubas einige Freiheiten erlauben kann, erzählt auch in diesem Film.
wie schon in Alicia
im Land der Wunder,
ein surreales Märchen, das zugleich sarkastische Attacke auf den kubanischen
way of life ist. Das Ausmaß und die Feinheiten dieser Anspielungen dürften
sich uns Uneingeweihten nur zu einem Bruchteil erschließen.
Spaß
macht Kleines
Tropikana
trotzdem. Und Peter Lohmeyer scheint echt Feuer gefangen zu haben. Die Sonnenbräune
jedenfalls stammte schon von den Vorbereitungen zu seinem nächsten deutsch-kubanischen
Projekt, bei dessen Vorproduktion er vermittelnd und fördernd mitmischt.
Regisseur ist wieder Daniel Díaz Torres. Doch diesmal darf Lohmeyer einen
Schweden spielen.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film
Kleines
Tropicana
tropicanita
Kuba/Spanien/BRD
1997. R:
Daniel Díaz Torres. B: Eduardo de Llano, Daniel Díaz Torres. P:
Rafael Rey. K:
Raúl Pérez Ureta. Sch:
Marita Lores. M: Edisio Alejandro. T: Ricardo Istueta. A:
Erick Grass. Ko:
Liz Alvarez Marti. Pg:ICAIC/BMG/Ufa
Universum Film. V: Kairos. L: 112 Min. FSK 12, ffr. St: 23.9.1999. D: Peter
Lohmeyer (Hermann Pangloss), Vladimir Cruz (Lorenzo Columbio), Corina Mestre
(Dora), Thais Valdés (Silvia), Carlos Cruz (Nicanor), Enrique Molina
(Amancio), Luisa Pérez Nieto (Chrissy Morell).
zur
startseite
zum
archiv