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Kill
Bill I
Die
Braut haut ins Auge
Bis
dass das Schwert sie scheidet: Quentin Tarantinos "Kill Bill" ist
eine Liebeserklärung ans Kino. An Eastern und Italo-Western, an Schwertkampffilme,
Blaxploitation und die Nouvelle Vague. Dabei entsteht ein vielschichtiges Kinderspiel
der Gewalt
Das
Beste kommt am Anfang. Nancy Sinatra singt "Bang Bang" und gibt dabei
den Ton und das Ziel des Filmes vor: das Kinderspiel der Gewalt, auf dessen
Grund eine großes Grauen lauert. Die Liebe und der Tod. Zärtlichkeit
und Entfremdung. "Kill Bill" ist eine Comicstrip-, Italo-Western-,
Martial-Arts-, Blaxploitation-, Samurai/heroic-bloodshed-, Gangsterfilm-, Rock-n-Roll/Pop/HipHop-,
Anime-, Nouvelle-Vague-, Sixties-TV-Serien-Rachegeschichte, die scheinbar nichts
anderes will, als sich in einem eigenen schrägen Wunderland der Popkultur
zu amüsieren. Aber weil man Nancy Sinatra nicht mehr ganz aus dem Ohr bekommt,
wird man ein unpassendes Gefühl nicht los: Trauer.
Der
- von ein paar Nebenwerken abgesehen - vierte Film des Regisseurs wird nun in
zwei Teilen herausgebracht, was seiner verschachtelten Erzählweise durchaus
entgegenkommt. "Kill Bill I" ist eine verrückte Mischung. Man
könnte argwöhnen, hier hätte das "Cera una volta",
der erste "Schinken" des Tarantinismus entstehen sollen. Doch Tarantino
war nie so frei und, hm, dekonstruktiv seinem Material gegenüber, dass
er nach Belieben zerlegt, zusammensetzt, aufsplittert und verknotet hätte.
Quentin Tarantino erklärt das sehr einfach. Seine Filme spielen, sagt er,
zur Hälfte im Tarantino-Universum und zur Hälfte im Reich der Kinofantasien.
Das
Tarantino-Universum ist als eine sehr persönliche Anschauung der Welt zu
beschreiben und zugleich als ein konkreter sozialer und kultureller Ort: der
Westen, Amerika, die US of A, Westküste, Kalifornien, Orange County, Los
Angeles, South Bay, Manhattan Beach. Sehr amerikanisch, gewiss, aber doch von
Middle America, New York und dem endlosen Suburbia gleich weit entfernt. South
Bay ist die Gegend, in der Quentin Tarantino aufgewachsen ist, eine Gegend,
in der man gut daran tut, sich beim Träumen nicht stören zu lassen,
und in der man gut daran tut, beim Träumen die Augen nicht zu fest zu schließen.
"Jackie Brown", Tarantinos letzter Film (1997), spielt hier.
Für
Tarantino war die South Bay ein lebendes Filmmuseum. Die grind houses spielten
noch Kung-Fu-Movies und Blaxploitation, als im Rest der Welt der Stoff schon
längst von neuen Kinomoden abgelöst worden war und von einer neuen
Art, ins Kino zu gehen. Und South Bay ist eine Gegend, in der Langeweile und
Aggression, kindisches Spiel und tiefe Verletzung so heftig aufeinander treffen
wie, naja, eben in einem Tarantino-Film. Es ist eine Gegend, in der Amerika
nicht mehr weiter kann.
In
Europa kann man von Amerika träumen, in New York kann man vom mehr oder
weniger Wilden Westen träumen, und im Bible Belt kann man von Kalifornien
träumen. Aber in Kalifornien kann man von nichts mehr träumen als
von sich selbst, und jede Sehnsucht müsste schon über einen Ozean
nach Fernost reichen. Wenn einen in New York gelegentlich die Sonne des alten
Europas wärmt, dann kann einen in Kalifornien nur eine Brise aus Asien
erfrischen. Kurzum: In der South Bay ist Amerika bei sich selbst angekommen
und weiß nicht, ob es an sich ersticken oder über sich hinausgelangen
muss. Deshalb weiß man hier noch weniger als anderswo, wo das Kino aufhört
und das Leben anfängt oder umgekehrt. Und ist dem Dao näher als dem
Paradies, wenn man Glück hat.
Das
Kino-Traumreich und der soziale Ort sind im Tarantino-Universum so miteinander
verknüpft, dass sie sich wie ein endlos geflochtenes Band zueinander verhalten.
Trotzdem behauptet der Regisseur, diesmal ganz und gar auf die Seite der Kino-Fantasien
gewechselt zu sein. "Kill Bill" handele von nichts anderem als von
den Lieblingsfilmen und Lieblingsgenres des Quentin Tarantino und habe ansonsten
mit keiner irgendwie gearteten Wirklichkeit irgendwas zu tun. Wir können
ihm ja erst mal glauben, auf jeden Fall hält uns das den moralischen Diskurs
vom Leib. "Kill Bill" ist ein reichlich gewalttätiger Film. Köpfe
rollen, Arme werden abgehackt, das Blut spritzt in hohen Fontänen, und
jeder Schauplatz ist nur dazu da, entweder sich in ein Leichenfeld zu verwandeln
oder eine Schrift aus Blut aufzunehmen. Es ist nur Kino, und sonst nichts, cartoonish
übertrieben, parodistisch und kalligrafisch. Wers glaubt.
Eine
Rachegeschichte, was denn sonst, wenn man sich auf drei Filmgenres bezieht,
in denen es selten um etwas anderes als um Rache geht? Unter anderem kann man
"Kill Bill" auch als überzogene und angereicherte Version von
Truffauts "Die Braut trug Schwarz" sehen, und Uma Thurman hat denn
auch den Rollennamen "The Bride". Sie ist aber nicht nur eine schwangere
Frau, die gern ihren Hochzeitstag als "glücklichsten" des Lebens
inszeniert hätte, sondern auch Mitglied einer Killerorganisation mit dem
schönen Namen DiVA (The Deadly Viper Assassination Squad). Eine Gruppe
von Berufsmördern, deren Mitglieder nach giftigen Schlangen benannt sind
- die Braut war die "schwarze Mamba" - und die von Bill (David Carradine)
angeführt werden, von dem wir im ersten Teil nicht mehr als eine Hand sehen
und eine ruhig bedrohliche Stimme hören. Und am Hochzeitstag veranstalten
die DiVA-Mitglieder ein furchtbares Massaker: Die gesamte Hochzeitsgesellschaft
wird ausgelöscht. Nur die Braut überlebt, schwer verletzt, und erst
Jahre später erwacht sie aus dem Koma.
Das
Erste, was sie erkennt, ist, dass sie ihr Kind verloren hat. Das Zweite, dass
sie in ihrem wehrlosen Zustand von den Krankenhauspflegern missbraucht wurde.
Das bedeutet für die ersten Figuren des Films das Todesurteil, und der
Braut verhilft das Strafgericht über ihre Peiniger nebenbei zu einem Gefährt:
einem aufgedonnerten Van mit der Aufschrift "Pussy Waggon". Zuvor
haben wir, bei einem durch Bill im letzten Moment abgebrochenen Mordanschlag,
Elle Driver (Daryl Hannah) kennen gelernt, ein umwerfender Auftritt in einem
Mantel mit aufgemalten Applikationen und in der Schwestern-Verkleidung mit einer
Augenklappe mit rotem Kreuz: die California Mountain Snake.
Das
nächste Kapitel - "Kill Bill" ist nämlich so fein säuberlich
in Kapitel eingeteilt, wie seine Figuren, Rollen und Namen heftig überdeterminiert
sind - schildert die Begegnung der schwarzen Mamba mit Vernita Green (Vivica
A. Fox) alias "Copperhead", die unterdessen eine typische Existenz
im schwarzen Suburbia-Mittelstand führt, komplett mit Karrieremann und
kleiner Tochter. Die ist es auch, die den Messerkampf zwischen den beiden unterbricht,
als sie aus der Schule kommt. Die Braut will die Verräterin nicht vor den
Augen ihres Kindes töten. Aber was kann man tun, wenn sogar in Cornflakes-Packungen
Waffen verborgen sind? Fassungslos sieht das kleine Mädchen auf die blutige
Szene. Wahrscheinlich beginnt hier schon eine lange neue Rachegeschichte.
Das
nächste ausgedehnte Kapitel ist der Rache der schwarzen Mamba an O-Ren-Ishii
(Lucy Liu) gewidmet, die in Tokio ein Yakuza-Unternehmen leitet und von einer
bizarren Entourage umgeben ist. In der Form eines Anime erfahren wir die back
story von "Cottonmouth", auch sie ist die Überlebende eines Massakers,
auch sie hat ihr Leben der Rache geweiht. Aber am Ende ist sie die Schrecklichste
von allen. Die Braut muss sich das richtige Schwert besorgen, sie muss viele,
sehr viele Gegner damit töten, und schließlich stehen sich die beiden
in einem verschneiten Garten zum letzten Duell gegenüber.
Wüste
Genremischungen sind wir ja nun wirklich im Kino der letzten Jahre gewöhnt.
Aber Tarantino macht doch etwas anderes. Weder setzt er die Elemente der einzelnen
Genres aus den unterschiedlichen Kulturen und Bild- und Erzähltraditionen
in der Form eines Surrealisten aneinander, noch versucht er, wie es im Mainstream
gepflegt wird, ein "Amalgam" herzustellen. Stattdessen verhalten sich
die einzelnen Elemente wie Schichten, die übereinander gelegt sind, Design,
Genre, Musik; Asien, Europa, USA; Spagetti-Western, Martial-Arts-Film, Samurai-Action
usw. Die Elemente also bleiben sichtbar, Zitate und Hommages, werden ganz direkt
ausgestellt.
Das
betrifft die Verwendung von scores und den Einsatz von Schauspielern wie Sony
Chiba, dem Star des japanischen Actionfilms, der in Europa nie so populär
geworden ist wie die Stars des Hongkong-Films und dessen "Streetfighter"
noch in den gekürzten Versionen hierzulande allenfalls für ein entsetztes
Aufstöhnen der Kritik wegen seiner überwältigenden Gewalt führte.
Und es betrifft die Arbeitsweise der Produktion (wie bei den "Matrix"-Filmen
ist auch hier der "Meister" Yuen Wo-Ping als Martial Arts Advisor
tätig, was wesentlich mehr bedeutet als nur ein Training der Schauspieler
für ihre Kampfszenen) und es gibt auch direkte Übernahme von Figuren
und Bildern, wie des mörderischen Bodyguard-Mädchens in Schuluniform,
Go Go Yubari (Chiaki Kuriyama), die direkt Kinji Fukasakus einigermaßen
bösem Film "Battle Royale" aus dem Jahr 2000 entstammt, in dem
es darum geht, dass sich japanische Schüler unter Anleitung ihrer Lehrer
ein mörderisches Überlebensspiel liefern.
Man
könnte also "Kill Bill" genießen als ein wahrhaft "vielschichtiges"
Spiel mit einer unbändigen Liebe zu den guilty pleasures des Kinos, des
Rock und der Comics. Es ist eine Art, hochsensibel auf die Ästhetik des
Trash zu reagieren, in dem ja einerseits die größte Kunst des Kinos
verborgen ist und die andererseits als größtes interkulturelles Passepartout
funktioniert. Ein Film wie "Kill Bill" erzählt eine Geschichte
der semiotischen Globalisierung "von unten", und er widersetzt sich
zugleich, indem er den einzelnen Elementen Autonomie und Würde lässt.
Und jede Einstellung, jede ästhetische Entscheidung, ist eine Liebeserklärung.
John
Woo und Sergio Leone, Dick Tracy und The Green Hornet, Bernard Hermann und Ennio
Morricone, Elmore Leonard und "Crying Freeman". Es
gibt nichts in diesem Film, was nicht Pop ist; "Kill Bill" verhält
sich zu seinem Material wie ein gewöhnlicher Film zur Wirklichkeit. Es
ist eine Frage der Komposition, der Anreicherung, der Ambivalenz und - der Überschreitung.
Und während man bei Tarantino zugleich die Eleganz und den Witz der Komposition
bewundern kann, wird man immer wieder auch von den Überschreitungen schockiert.
Es ist eine durch und durch künstliche Welt, aber immer wieder, an den
überraschendsten Orten, begegnen einem Momente, die man nur mit so pathetischen
Begriffen wie "Wahrhaftigkeit" oder "das Erhabene" umschreiben
kann.
Während
man Menschen zuschaut, die sich wie wild gewordene Modelle schräger Comics
und geschmäcklerischer Modefotografie gegenseitig metzeln; während
man einer Art compilation von Musik und Bildern zusieht, so, wie einer ein Tape
für jemanden zusammenstellt, den er besonders mag; während man sich
auf einer Reise durch eigene Medienerfahrung und Kultbilder wähnt, immer
bereit, sich noch einmal verblüffen zu lassen; während man die vorzügliche
Musikalität (für die Originalmusik ist RZA vom Wu Tang Clan zuständig,
der schon bei Jim Jarmuschs "Ghost
Dog"
sein Können zeigte) des ganzen schönen Unfugs und die manchmal dadaistische,
manchmal höchst selbstreflexive Poesie genießt, während man
im Insiderwissen schwelgt, bei der nächsten Geschmacklosigkeit zusammenzuckt
(erwischt! Aber wer hat wen bei was erwischt?); während man sich von der
Action überwältigen lässt (ah! Die Drahtseil-Technik!), die gerade
deswegen so überzeugt, weil sie weit entfernt von der digital reduzierten
Perfektion ist, die man von den Blockbustern gewohnt ist; während man die
Wonnen verlorener Kindheit und zugleich die Provokation der Avantgarde zu spüren
vermeint - während all dem begegnet einem unvermutet genau das, was man
hier am allerwenigsten erwartet hätte: das Menschliche. Das Zärtliche.
Die Verzweiflung.
"Kill
Bill" ist ja nicht nur eine Liebeserklärung an bestimmte Formen des
Kinos. Es ist auch eine Liebeserklärung an einige Frauen, ihre Spuren,
ihre Auren. Und in ihnen treffen das Kinoreich der Zeichen und Bewegungen und
die Welt von South Bay besonders heftig wieder aufeinander. In ihnen dreht sich
beständig ein Abbildungs- und Traumprozess um. In ihnen zeigt sich, was
in einer Comicfigur eingeschlossen sein kann. Nicht soziale Praxis, weder Bewusstsein
noch Seele, wie uns die Simulationswelten der Soap-Operas weismachen wollen.
Etwas viel Tieferes.
Was
Quentin Tarantino auf seine unterhaltsame und poetische Art sagt, das ist, dass
das Kino keine Simulation von Wirklichkeit mehr zu sein vorgeben soll. Die Bilder,
die Worte, die Bewegungen, sie haben ihre eigenen Geschichten, ihre eigene Seele,
ihre eigenen Tragödien. Es ist ein System, das in sich selbst genügend
Leben erzeugt. Es ist ein Bild, unter dem man loslachen möchte und das
einem das Herz bluten lässt. Es ist rote Farbe, eine Menge rote Farbe,
was das Leben als Tragödie malt. Und es ist ein Fehler, die Tücke
des Subjekts ausgerechnet im Kino vergessen zu wollen.
Georg
Seeßlen
Diese Kritik ist zuerst erschienen in der: tageszeitung (taz)
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
"Kill
Bill I"
Regie:
Quentin Tarantino. Mit Uma Thurman, Lucy Liu u. a. USA 2003, 108 Min.
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