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Juha
In
ihrem Olymp inmitten rückprojezierter Schäfchenwolken, wo sie mit
ihren angeklebten Rauschebärten sitzen, müssen sie einen gnädigen
Tag gehabt haben, die Götter des Kinos. Vielleicht war ihnen ASTERIX &
OBELIX der Hiobsprüfung vorerst genug, vielleicht waren sie nur gerade
gut gelaunt. Auf jeden Fall haben sie uns Cineasten ein Himmelsgeschenk gemacht
- und haben sich dazu Aki Kaurismäki zum irdischen Vollstrecker ihres Willens
gewählt. Der hatte sich eigentlich schon in die zelluloidlose Wüstenei
zurückgezogen und wollte sich gänzlich aufs Vodkatrinken verlegen.
Aber nun ist der Eremit zurückgekehrt, um JUHA auf die Leinwände zu
zaubern.
Die
wahre Kunst von JUHA besteht darin, uns einmal wieder heilsam daran zu erinnern,
was man alles NICHT braucht, um großes Kino zu machen: Kaurismäki
(und darin ähnelt er ein klein wenig seinen dänischen Kollegen von
der DOGMA 95-Fraktion) setzt mit diesem Film konsequent einen Weg der freiwilligen
Beschränkung fort.
Das
erste, worauf er verzichtet, ist eine neue Story, ein komplexer Plot. JUHA beruht
auf einem bereits mehrfach verfilmten finnischen Roman - und selbst wenn wir
das nicht wüßten, die Grundzüge der Geschichte kämen uns
auch so bekannt genug vor: Ein glückliches Paar lebt einsam und genügsam
auf dem Land, da naht eines Tages der böse Verführer aus der Stadt,
umgarnt die Frau, flieht mit ihr - und sie muß bald erkennen, daß
die Stadt ein Sündenpfuhl ist, in dem sie zur Dirne gemacht werden soll.
Aber ihr Mann eilt zur Rettung - und findet dabei selbst sein tragisches Ende.
Es
ist ein antiquierter Plot, den Kaurismäki selbst nicht ganz ernst nimmt.
(Das Auto, das den Bösewicht ins glückliche Leben von Juha und seiner
Frau trägt, ist von der Marke "Sierck" - und spätestens
da wissen wir unzweifelhaft: Wir sind im Reich des Melodrams.) Zugleich aber
ist er in seiner Schlichtheit, in seiner sturen, unausweichlichen Geradlinigkeit
(die Kaurismäki unterstreicht, wo er nur kann) von einer seltsamen Reinheit
und Größe... - ist für's Kino fast so etwas, was für's
Theater die klassische griechische Tragödie ist.
Diesem
Umstand gewinnt Kaurismäki - bei aller Bewußtheit für die Naivität
der Handlung - eine anrührende Tiefe ab: Wir wissen von Anfang an, daß
die Bahnen, auf denen die Figuren ihrem Schicksal entgegengehen, wie in Stein
gemeißelt sind. Es geht nur noch darum, ob sie es schaffen, den vorgezeichneten
Weg erhobenen Hauptes zu schreiten. Hier ist wieder das bei Kaurismäki
so vertraute stoische Element - das diesmal aber nicht einer aussichtslosen
sozialen Realität gegenübersteht, sondern der Erzählkonvention.
Und das damit fast etwas Transzendentes bekommt.
Der
nächste Verzicht in JUHA ist der auf Farbe - der direkt zusammenhängt
mit einem weiteren, nämlich dem auf Ton: JUHA ist ein schwarzweißer
Stummfilm (unterlegt mit Musik und gelegentlichen Geräuscheffekten).
Damit
wollte Kaurismäki einerseits den großen Vorbildern aus der frühen
Zeit des Kinos Referenz erweisen (wie er überhaupt in JUHA oft die Gelegenheit
nutzt, mehr oder minder direkt vor bewunderten Kollegen den Hut zu ziehen).
Andererseits ist es aber auch eine konsequente Weiterführung seines eigenen
Stils: Die Fortsetzung der Suche nach einer Reinheit des Kinos.
Es
ist eine Ästhetik, die für Aki Kaurismäki wie geschaffen scheint:
Geredet wurde in seinen Filmen ja ohnehin noch nie viel (was allein schon Grund
genug sein sollte, ihn eines fernen Tages zu einem der Heiligen des Kinos zu
ernennen) - und seine Art, die Bilder sprechen zu lassen, ist seit jeher knapp
und lakonisch und frei von allen Mätzchen. JUHA wirkt, als hätte er
nun endgültig allen überflüssigen Ballast abgeworfen.
Da
ist nicht nur (selbstverständlich) kein Wort zuviel - auch keine Geste,
kein Blick, kein Bild.
Farbe
- die er in WOLKEN ZIEHEN VORÜBER noch so trotzig bunt an alle Wände
geklatscht hatte - würde da nur ablenken vom Eigentlichen. (Gus van Sant
hat ja erst unlängst mit seinem PSYCHO-Remake augenfällig bewiesen,
wie enorm Farbe dem Schwarz-Weiß unterlegen sein kann, wenn sie nicht
bewußt und kontrolliert genug eingesetzt wird.)
Der
Stummfilmkontext erlaubt Kaurismäki dabei, symbolische Kurzschriften einzuführen,
wie er sie bisher so nicht verwendet hat: Als der hinterhältige Verführer
Juhas Frau unter freiem Himmel zu sich aufs Liebeslager zieht, da sehen wir
dann nur eine einsame Blüte den Fluß hinabtreiben - und wissen, das
in diesem Moment etwas verloren geht. (Ein Bild, das an die Zeiten erinnert,
als das, was da konkret passiert, nicht gezeigt werden durfte. Und so sehr ich
Zensur verabscheue: Oft hatte und hat sie aber doch den angenehmen Effekt, auch
faule Filmemacher zu raffinierteren Lösungen zu zwingen.)
Es
ist eine irrealere Bildsprache, als sie Kaurismäki bisher meist gepflegt
hat - aber zugleich eine noch knappere, dichtere. Wobei sich JUHA dennoch deutlich
von seinen Stummfilm-Vorbildern unterscheidet: Seine Zurückhaltung gibt
Kaurismäki nicht auf. Er holt nicht aus zur großen, effektvollen
Montagesequenz, er wird auch in melodramatischsten Momenten filmisch nicht exaltiert
melodramatisch. Er schürt nicht exzessiv Emotionen wie Griffith, er wird
nicht monumental wie Lang, er verklärt und überhöht nicht wie
Dreyer.
Es
ist aber gerade diese grundsätzliche Schlichtheit, die im Endeffekt emotionale
Wucht entfesselt. Momente, die in jedem anderen Kontext nur noch peinlich oder
kitschig auf uns wirken könnten, erhalten da plötzlich Wahrheit und
Größe zurück. Wie Juhas Hund dem Bus mit seinem Herrchen hinterherläuft,
wie Juha sein Ende findet - nach allen heutigen Regeln müßte man's
unsäglich finden. Und dennoch ist es schlicht ergreifend.
Was
JUHA darüberhinaus davor bewahrt, zum prätentiösen Debakel zu
werden, ist Kaurismäkis typische Schnoddrigkeit. Von den anderen paar wenigen
heutigen Regisseure, die ihre Wurzeln noch tief genug in der Kinogeschichte
verankert haben, um so einen Stummfilm überhaupt zu bewerkstelligen, hätten
wohl die meisten versucht, ernsthaft einen neuen Murnau oder Lang zu stemmen
- ein Großprojekt voll Pathos, das unweigerlich peinlich an seinem eigenen
Bierernst erstickt wäre (denken Sie: Wenders). Kaurismäki entgeht
dieser Gefahr von vornherein - und ohne, daß er ständig augenzwinkernd
distanzierten Unernst signalisieren und den Film zur Stummfilmparodie machen
müßte. Er geht nur mit seinem üblichen Maß an meisterhaft
dosierter Wurschtigkeit zur Sache, weiß wie immer, wo er mal Fünfe
grade sein lassen kann, verzichtet auf Perfektionismus.
Die
Ausstattung ist billig zusammengezimmert, die Kostüme teils eher behelfsmäßig,
das Licht selten aufwendig gesetzt, und über allem hängt die Aura
von einem, der eigentlich noch viel lieber Vodka trinkt als Filme macht - der
aber dann, wenn's drauf ankommt, mit atemberaubender Sicherheit immer genau
die richtige künstlerische Entscheidung zu treffen versteht.
Es
gibt Momente in JUHA, da geht's einem wie in den (Stumm-)Filmen von Murnau,
Pabst, Griffith, Lang - man fragt sich plötzlich, warum es überhaupt
nötig war, Ton- und Farbfilm einzuführen. Da fühlt man: Es ist
doch alles da, was Kino wirklich braucht. (Bevor es jetzt Proteste hagelt: Ganz
klar - später hat die Filmgeschichte genug Beweise hervorgebracht, daß
diese technischen Errungenschaften auch künstlerisch zum Segen gereichen
können.) Da merkt man erst wieder, wie bequem und fad gar zu viele Filmemachergeworden
sind, denen man erlaubt, mit der gigantischen Modelleisenbahn Kino (um Orson
Welles Vergleich zu verwenden) zu spielen - und die sie immer nur im selben
Oval kreisen lassen, ohne voller Dankbarkeit die endlosen Möglichkeiten
auszuschöpfen, die ihnen da zur freien Verfügung gestellt werden.
Oder die sich völlig erschöpfen im selbstverliebten Basteln an der
Technik.
Was
Kaurismäki freiwillig macht, dazu sollte man etliche Regisseure einmal
zwingen. Man sollte ihnen einen Großteil ihres Spielzeugs erstmal wegnehmen,
damit sie es wieder zu schätzen lernen - und damit sie einmal zu jener
Konzentration genötigt sind, die sich einstellt, wenn man das Spiel von
Grundauf neu lernt.
Wie
viele von ihnen unter diesen Bedingungen in der Lage wären, ein ansehnliches
Ergebnis zu produzieren, ist heute wohl eher fraglich. Wenigstens aber gibt
es überhaupt noch Leute wie Kaurismäki - und Filme wie JUHA. Und dafür
sollten wir den Kino-Göttern innigst danken.
Amen.
Thomas
Willmann
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Juha
FIN 1999 - 78 Minuten -
Regie:
Aki Kaurismäki
Kamera: Timo Salminen
Drehbuch: Juhani Aho, Aki Kaurismäki
Besetzung:
Sakari Kuosmanen, Kati Outinen, Ona Kamu u.a.
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