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Jud
Süß
„Jud
Süß“ – Antisemitische Propaganda im NS - "Geschichtsfilm"
Befehl
des „Reichsführers SS“ Heinrich Himmler, Herbst 1940: „Ich ersuche Vorsorge
zu treffen, daß die gesamte SS und Polizei im Laufe des Winters den Film
„Jud Süß“ zu sehen bekommt.“
"Jud
Süß", eine Produktion der Terra Film im Verleih der UFA, war
für das NS-Regime von großer Bedeutung. Im Sommer 1939 liefen nicht
nur die militärischen Vorbereitungen für den Überfall auf Polen,
auch diesen begleitende propagandistische Maßnahmen wurden bereits vorausschauend
organisiert. Der Film, neben dem Radio das wichtigste Massenmedium seiner Zeit,
spielte in diesen Vorbereitungen eine zentrale Rolle. Die gesamte Filmindustrie
lag im Verantwortungsbereich des „Ministeriums zur Volksaufklärung und
Propaganda“ unter Josef Goebbels.
Es
ist nicht übertrieben, zu sagen, dass Goebbels sich als oberster Filmproduzent
in der Tradition eines Hollywood-Moguls wie Carl Lemmle oder Louis B. Mayer
verstand. Sein Amt und seine Person waren die maßgeblichen Stellen, was
die Realisierung und Propagandawirkung eines Films anbelangte. Wie in der Filmindustrie
üblich, - organisatorisch orientierte man sich in der UFA durchaus an den
großen US-amerikanischen (ironischerweise jüdischen) Filmstudios
- plante man die Filme für die kommende Saison ungefähr ein Jahr im
Voraus. Die im Sommer 1939 zeitgleich mit den militärischen Vorbereitungen
geplanten Filmprojekte würden also erst im Sommer/Herbst des Jahres 1940
in die Kinos kommen. Geplant waren, neben allerhand Komödien und historischen
Filmen, die sich vordergründig unpolitisch gaben, drei explizit antisemitische
Filme. Die propagandistische Zielsetzung dieser Filme war klar: Lieferung eines
Feindbildes und damit Rechtfertigung bzw. Motivierung des Angriffskrieges gegen
Polen und später Frankreich. Drei Drehbuch-Projekte mit dementsprechendem
Charakter wurden zur Produktion durch die UFA und andere, kleinere Herstellerfirmen,
vom Propagandaministerium freigegeben. Es waren dies die beiden Spielfilme "Die
Rothschilds" (Erich Waschneck, Uraufführung 17.7.1940) und "Jud
Süß" (Veit Harlan, Uraufführung 5.9.1940), sowie der „Dokumentarfilm“
"Der ewige Jude" (Fritz Hippler, Uraufführung 21.11.1940).
Zu
notorischer "Berühmheit" brachten es der Harlan-Film, sowie das
Machwerk Hipplers. Dieser Streifen wurde als ein „Dokumentarfilm“ in der Tradition
des UFA-Lehr- und Kulturfilms als letzter der drei Propagandawerke mit einer
immensen Zahl an Kopien in die deutschen Kinos gebracht. Auf Befehl Hitlers
musste der Film in allen von den Nationalsozialisten besetzten Ländern
ebenfalls vorgeführt werden. Jedem, der ihn schon einmal gesehen hat, und
sei es nur in Auschnitten, bleibt die Überblendung von den wuselnden Ratten
auf den Bewohner des Warschauer Ghettos ins Gedächtnis gebrannt. In seiner
offensichtlichen, giftspritzenden Perfidie ist der Film unerträglich. In
seiner Propagandawirkung blieb er deshalb, auch 1940, begrenzt. Nicht nur in
Deutschland, auch in den besetzten Ländern Europas, spielte der Film vor
leeren Häusern. Finanziell war er für die UFA eine Enttäuschung.
„Die Rothschilds“ dagegen schildert, als Geschichtsepos um die Vorgänge
mit Napoleon und der Schlacht von Waterloo getarnt, den Aufstieg der jüdischen
Bankiersfamilie in die europäische Hochfinanz. Die Mittel des Films sind
die Mittel des Genres: prächtige Kostüme und Kulissen, allgemein historisch
bekannte Handlungselemente werden mit fiktiv-privaten Erlebnissen der Charaktere
vermischt. Die Dramaturgie entspricht der des Melodrams, die typische, glamouröse
Ästhetik des UFA-Ausstattungsfilmes sorgt für eine glanzvolle Oberfläche,
die die propagandistischen Untertöne der Handlung übertüncht.
Die
politisch-rassistische Botschaft kommt in der für den Zuschauer bekannten,
und somit vorrangig unverdächtigen, Form des Genrefilms daher. Sowohl in
"Die Rothschilds" als auch "Jud Süß" ist dieses
Genre der historische- bzw. Kostümfilm. Dieses Mittel der indirekten Propaganda
und Manipulation des Publikums mittels geschichtsfälschender Filme oder
der unterschwelligen Kommentierung tatsächlicher, zeitgenössischer
Ereignisse durch Filme mit einer „historischen“ Handlung, nutzt das Regime immer
wieder. In "Bismarck" (Wolfgang Liebeneiner, 1940) zum Beispiel kommt
es zum Zwiegespräch zwischen der Titelfigur und Wilhelm I. Bismarck erklärt
dem kritisch fragenden Kaiser die Hintergründe der „preußisch-russischen
Militärkonvention“. Dieser Erklärungsversuch ist jedoch auch ein Kommentar
zu den tatsächlichen politischen Verhältnissen des Jahres 1940. Denn
wie Bismarck dem Kaiser erklärt, hält die Militärkonvention mit
Russland Preussen den Rücken frei zum Krieg gegen Frankreich. Dies entspricht
exakt den zeitgenössischen Verhältnissen, in denen der Pakt Nazideutschlands
mit der Sowjetunion es Hitler ermöglicht, Krieg gegen Frankreich zu führen.
Weitere bekannte Beispiele, und es seien hier nur einige wenige in aller Kürze
angeführt, für diese Form der Propagierung nationalsozialistischer
Themen im vorgeblichen „Geschichtsfilm“ sind "Ohm Krüger" (Herbert
Steinhoff, 1941), "Heimkehr" (Gustav Ucicky, 1941), "Der Große
König" (Veit Harlan, 1942), "Carl Peters" (Herbert Selpin,
1941) und "Kolberg" (Veit Harlan, 1945).
"Der
Große König", ein Film über Friedrich II. von Preußen,
thematisiert den Siebenjährigen Krieg. Kurz vor der endgültigen Niederlage
Preußens gegen Österreich und seine Verbündete, wechselt Russland
die Seiten, und Preußen ist gerettet. Der Film schildert eine dramatische
Auseinandersetzung zwischen Friedrich und seinen Generälen, die kapitulieren
wollen. Doch Friedrich weigert sich aufzugeben, er wartet und erhofft auf das
Wunder, das auch geschieht. Der neue russische Zar beendet den Krieg. Friedrichs
unsinniger Durchhaltewillen wird also von der Geschichte, und um ein oftmals
von den Nationalsozialisten bemühtes Wort zu gebrauchen, vom „Schicksal“
im nachhinein sanktioniert. In "Carl Peters" muss sich der ,ebenfalls
historische, Titelheld, einst Befehlshaber in einer deutschen Kolonie in Afrika,
in Deutschland vor dem Parlament des Kaiserreichs verteidigen. Die Parlamentarier
sind weltfremde Plaudertaschen, der NS-Film schildert hier erneut eines seiner
beliebtesten Motive, das des demokratisch legitimierten Parlaments als „Quasselbude“.
Der alte Militär dagegen verteidigt seine Massnahmen, darunter die Errichtung
von Lagern, als notwendig. (Goebbels empfand diesen Film als zu dialoglastig:
„Zuviel Leitartikel und zu wenig Handlung. Die Tendenz ist zu dick aufgetragen...“
In Kolberg geht es um die Eroberung der pommerschen Stadt durch die Truppen
Napoleons im Krieg von 1806. Der Bürgermeister des Ortes weigert sich,
vor der Übermacht zu kapitulieren. Dieser Film war ein letzter filmischer
und organisatorischer Kraftakt des Regimes im Winter 1944, die Dreharbeiten
hatten bereits im Oktober 1943 begonnen. Gedreht wurde der Film in Farbe, als
ein Durchhalteepos ersten Ranges. Uraufgeführt wurde er in der von den
Alliierten eingekesselten Stadt La Rochelle. Als das echte Kolberg im Januar
1945 von der Roten Armee erobert wird, entscheidet sich der Propagandaminister
dazu, dies nicht in den Nachrichten verlauten zu lassen
Für
Goebbels war die subtilere Form der Massenmanipulation mittels eines Genrefilms
wesentlich effektiver als die eher verschreckende Schockwirkung eines Streifens
wie "Der ewige Jude". Zudem boten die aufwändig produzierten
Kostümfilme noch einen weiteren unbestreitbaren Vorteil: sie erwirtschafteten
nicht nur im Reichsgebiet erkleckliche Beträge, sondern brachten zusätzlich
durch ihren erfolgreichen Einsatz im europäischen Ausland dringend benötigte
Devisen in die Staatskasse. Allen Geschichtsfilmen zu eigen, und das gilt auch
für die zeitweise populären Filmbiographien wie "Diesel"
(Gerhard Lamprecht, 1942) sind ihre manipulative Verfälschung von Geschichte
und ihr kommentierend-wertender, propagandistischer, also nationalsozialistischer,
Bezug auf die Gegenwart. Hinzu kommt ihre Huldigung des grundsätzlichen
Konzepts der Manipulation von Geschichte durch einen „genialischen“, sendungsbewussten
Einzelnen, welches nichts anderes als das von den Nazis gehuldigte Führerprinzip
darstellt. Sei es Rudolf Diesel, Robert Koch oder der Alte Fritz: sie sind im
NS-Geschichtsfilm nur filmische Abbilder, historische Vorläufer geradezu,
um nicht zu sagen „Väter“ ihres Erbes, Adolf Hitlers.
Genrespezifisch
steht "Jud Süß" in dieser Tradition des NS-Kostümfilms.
Der Film nutzt auf eine negative Art und Weise ebenfalls das „Führerprinzip“.
Allerdings lenkt hier nun der jüdische Protagonist Süß Oppenheimer
die Geschicke seiner Gemeinschaft, des deutschen Judentums im Zeitalter des
Barock. Man könnte von einem „negativen Führerprinzip“ sprechen. Die
Gründe sind offensichtlich. Die Funktionsweise des Films, aus nationalsozialistischer
Sicht steht natürlich eine negativ besetzte Figur im Mittelpunkt der manipulativen
Handlung, ist jedoch dieselbe wie beispielsweise in "Der Große König".
"Jud Süß" ist die Verfilmung einer
Novelle von Wilhelm Hauff, die dieser 1827 verfasst hatte. Regisseur Harlan
bearbeitete das Drehbuch und verpflichtete erstklassige Darsteller. Ferdinand
Marian spielte die Titelfigur, Heinrich George den Herzog von Württemberg,
und Werner Krauß, Darsteller u.a des „Dr. Caligari“, durfte gleich vier
verschiedenen Rollen, alle rassistisch-klischeehafte Abbilder jüdischen
Lebens, interpretieren. Der Film sollte eine hochklassige, internationale Standards
erfüllende Produktion sein. Goebbels
verfolgte die Dreharbeiten sorgfältig. Diesen voraus gingen eingehende
Beratungen mit Veit Harlan über Drehbuch und Budget. In einem Tagebucheintrag
beschwert sich Goebbels über die hohen Budgetforderungen des Regisseurs.
(Harlan forderte 2 Millionen RM, das war das Äußerste, das der Minister
zulassen wollte). Am 30.12. 1939 notierte Goebbels: „Jud Süß Film
geht voran“. Premiere hatte der Streifen dann am 5.9.1940 in Venedig im Rahmen
der „deutsch-italienischen Filmkunstwoche“, wo er im Beisein von Harlan, seiner
Frau Kristina Söderbaum und Ferdinand Marian uraufgegührt wurde. Die
NS-Presse sprach von einem “überwältigenden Erfolg“. In der Pressemitteilung
des Ministeriums vor der Premiere des Harlan-Films stand die ausdrückliche
Anweisung, die Bezeichnung „antisemitisch“ in der „Besprechung“ des Films (die
Filmkritik als solches hatte Goebbels bereits 1936 abgeschafft) nicht zu gebrauchen.
In Berlin startete der Film am 24.9.1940 und wurde ein immenser Publikumserfolg.
Ausgezeichnet mit dem Titel „Staatspolitisch und künstlerisch besonders
wertvoll“ spielte er in den ersten fünf Monaten seiner Laufzeit 5,3 Millionen
Reichsmark ein. Schätzungen zufolge sahen 20 Millionen Deutsche diesen
Film. “Jud Süß“ entspricht, in seiner sorgfältigen, höchst
professionellen Fertigung, ganz der Tradition des UFA-Glamours. Geschildert
wird die Karriere des Süß Oppenheimer am Hof des Herzogs von Württemberg.
Kraft seines finanziellen Geschicks ermöglicht Oppenheimer dem korrupten
Regenten ein ausschweifendes, die finanziellen Kräfte des Landes überstrapazierendes
Leben. Das Volk erhebt sich mit dem Schlachtruf: „Juden raus!“. Oppenheimer
wird vor Gericht gezerrt und für die Vergewaltigung einer (deutschen) Magd
mit dem Tode bestraft und anschließend gehenkt. Oppenheimer ist der Verführer,
die graue Eminez, der Einflüsterer, das getarnte Böse in der Person
des Finanzberaters. Zu Anfang des Films sieht man ihn noch in Kaftan und Schläfenlocken.
Dann passt er sich in seinem Äußeren der Gegenwart an, um unerkannt
am Stuttgarter Hof den korrupten und moralisch schwachen Herzog zu manipulieren.
Die Verwandlung vom Ghetto-Juden in den nicht mehr als jüdisch zu erkennenden
Mann von Welt (Internationalität und „Verschlagenheit“ des Judentums war
ein Charakterzug des nationalsozialistischen Feindbildes) bebildert Harlans
Film mittels einer Überblendung. Dieses stilistische Werkzeug benutzt auch
Hippler in „Der ewige Jude“. Nicht nur deshalb ist u. a. Carsten Witte in seiner
detaillierten Analyse von „Jud Süß“ (auf die hier verwiesen sei)
davon überzeugt, daß Harlan Hipplers Film vor der Fertigstellung
seines eigenen Werks gesehen hat. Harlans jüdischer Protagonist vereint
in sich kraft seiner Taten gleich mehrere nationalsozialistische Feindbilder.
Das des „Internationalen Judentums“ habe ich bereits angeführt. Hinzu kommt
das des „Kapitalisten“, ein sexuelles Feindbild (Vergewaltigung der Magd, „Kuppler“
des Herzogs)
lässt sich an der Figur des Oppenheimer
ebenfalls konstatieren. In späteren Nazi-Filmen (nach dem Überfall
auf die Sowjetunion) kommt zu diesen Feindbildern, die sich im Judentum als
dem einzigen, monströsen Feindbild verschmelzen sollen, noch das des „Bolschwisten“
hinzu. Der eingangs angeführte Befehl Himmlers ergibt vor diesem Hintergrund
auf erschreckende Weise Sinn: „Vor der physischen Vernichtung stand die mediale
Ausgrenzung“. (Carsten Witte).
„Endlösung“
und perfide, subtile Propagierung eines jüdischen Feindbildes stehen in
unmittelbaren Zusammenhang. Filme wie „Jud Süß“ bereiteten das Feld
für das Unfassbare: Die Filme und ihre Macher manipulierten und motivierten
die Deutschen zu einem erheblichen Teil, und trugen somit zur Durchführung
der Vernichtung des europäischen Judentums bei.
Nachtrag:
Als einziger Filmschaffender im NS-Staat wurde Veit Harlan nach dem Krieg in
der Bundesrepublik vor Gericht gestellt. Die Anklage lautete auf Mitschuld an
Kriegsverbrechen. Harlan wurde am 15.7.1950 juristisch freigesprochen. Seiner
weiteren Karriere schadete dies nichts. Im Gegenteil. Im Zeitraum von 1950 bis
1958 brachte Harlan als Regisseur, wenn auch teilweise unter massiven Protesten
von Bevölkerung und Politik, zehn Filme in die bundesdeutschen Kinos. Veit
Harlan war einer der Filmschaffenden in der NS-Zeit, die engen privaten Kontakt
zu Goebbels und der NS-Führung unterhielten. Harlan war ebenfalls der bestbezahlte
Regisseur der UFA bis 1945.
Dirk
C. Loew
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Jud
Süß
Deutschland
1940. Produktion: Terra Film. Regie: Veit Harlan. Drehbuch: Ludwig Metzger,
E.W. Möller, Veit Harlan. Kamera:
Bruno Mondi. Musik:
Wolfgang Zeller. Mit: Ferdinand Marian, Kristina Söderbaum, Heinrich George,
Werner Krauß u.a.
Literatur:
-
Klassiker des deutschen Tonfilms. 1930 - 1960. Von: Christan Brandmann/Joe Hembus,
München 1980.
-
Chronik des deutschen Films. Von: Hans Helmut Prinzler, Stuttgart 1995.
-
Geschichte des deutschen Films. Von: Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut
Prinzler (Hg.) Stuttgart 1993. (Enthält Carsten Wittes Analyse)
-
Der Filmminister. Goebbels und der Film in Dritten Reich. Von: Felix Moeller.
Berlin 1998.
-
Das Ufa-Buch. Von: Hans-Michael Boch, Michael Töteberg (Hg.) Frankfurt
am Main 1992.
Filmanalyse und weitere Links: www.shoa.de
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