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The
Journey
Ein Imperialist
des Positiven
Peter Watkins' 14stündiger Berlinale-Dokumentarfilm
über uns und die Welt: „The Journey"
Als der britische Dokumentarist
Peter Watkins zu Beginn der achtziger Jahre ein Remake seiner von der BBC als
allzu realitätsnah indizierten, international aufsehenerregenden Nuklearkriegsvision
„The War Game" (1985) plante, kam er schnell zu der Überzeugung, daß
eine neuerliche Dramatisierung der atomaren Gefahr, eine abermalige Beschwörung
finaler Bilder nur Lähmung verbreiten und die Passivität der Menschen
angesichts einer scheinbar unabwendbaren Weltkatastrophe vertiefen würden.
Watkins änderte grundlegend
seine Konzeption, getrieben von dem Motiv, mit den Mitteln eines aufklärerischen
Kinos die „Bewußtseinsschlacht" um den Frieden gleichsam tiefgestaffelt
und auf breiterer Front aufzunehmen, gegen die sich ausbreitende Hoffnungslosigkeit
einen „globalen Dialog" über die verbliebenen Chancen zu entfesseln
und gegen den Mythos der Bombe die Kräfte der Selbstbesinnung und des Widerstands
wachzurufen. Nicht zuletzt trat Watkins mit dem erklärten Ziel an, gegen
die Zerstückelungs- und Zerstreuungsmethoden der herrschenden (Des-)Informationsmedien
eine andere, demokratische Auffassung von Sprache und Materialorganisation zu
verwirklichen.
Ein anspruchsvolles, alle bisherigen
quantitativen und qualitativen Markierungen überschreitendes Unternehmen
also, dessen Ergebnis jetzt, als voluminöses Kernstück des 17. Internationalen
Forums des jungen Films im Rahmen der Berliner Filmfestspiele, zu besichtigen
war: vierzehneinhalb Stunden Film und Diskurs über Krieg und Frieden, betitelt
„The Journey" - eine Reise um die Welt und in die öffentlichen und
privaten Zonen der von Politik, Technokratie und eindimensionaler Philosophie
produzierten Angst.
Eine Reise auch ins nächste
Jahrhundert, wie Watkins sagt, deren noch imaginäres Ziel eine weltweite
Verständigung wäre, letztlich eine Neuordnung der Welt nach den Bedürfnissen
derer, die nicht irgendwie über-leben, sondern ihre Existenz nach menschenwürdigen
Maßstäben einrichten wollen. Denn Hochrüstung einerseits und
materielles und psychisches Elend andererseits - dies hat Watkins erkannt -
sind zwei Seiten einer Strategie.
„The Journey" wurde von mehreren
Produktionsteams innerhalb von drei Jahren in siebzehn Ländern - darunter
Japan, die USA, Tahiti, Australien, Schottland, Mozambique, die UdSSR und die
Bundesrepublik Deutschland - realisiert und kam nur zustande, weil neben dem
„National Film Board of Canada" australische, britische und westdeutsche
Filmfonds und zahlreiche Unterstützungsgruppen in aller Welt vielfältige
Aktivitäten organisierten, um die Finanzierung eines Vorhabens zu sichern,
das sein Organisator Watkins einen „Menschenprozeß" nennt: Gerade
in seiner alle bekannten Normen sprengenden Länge soll der Film verändernd
auf das Bewußtsein einwirken und eine Therapie auch für unser von
den Medien korrumpiertes Zeitgefühl sein - ein Angriff der Gegenwart und
ihrer ungelösten Probleme auf unseren hirnlos fragmentierten Umgang mit
Zeit.
Watkins entfaltet seine extensive
Zeitökonomie vor allem in den zahlreichen Gesprächen, die er weltweit
mit Familien, mehr oder weniger besorgten, informierten und engagierten Vätern,
Hausfrauen, Kindern, aber auch mit Friedens- und Bürgerrechtsgruppen geführt
hat. Er legt ihnen Fotos von Hiroshima und Nagasaki, von Atomanlagen und Waffensystemen
vor; er breitet Tabellen und Statistiken aus, diskutiert mit seinen Gesprächspartnern
über Rüstungsausgaben, militärisch-industrielle Verflechtungen
und den Hunger in der Dritten Welt. Er befragt sie nach ihren Kenntnissen: Haben
Sie schon einmal diese Bilder gesehen, was wissen Sie über diese Zahlen
oder über jene Fakten?
Unter Verzicht auf Projektionen
des atomaren Feuersturms wie auf Bilder vergangener Kriege verwendet Watkins
ausschließlich heute gedrehtes Material. Gegen das Verdrängen und
Vergessen läßt er Zeugen von Hiroshima und Überlebende der Belagerung
Leningrads, der Bombardierung Hamburgs sprechen - und gegen die Ausblendung
der Not in den „Entwicklungsländern" Menschen auf den Dörfern
Mozambiques und Mexikos. Eine intermittierend eingeschnittene Fernsehreportage
von Reagans Staatsbesuch in Kanada ist angelegt als Exkurs über offizielle
Politik und Machtarroganz, über die Theatralisierung des Politischen im
Dienst einer global und aufwendig betriebenen Verschleierungsstrategie. Watkins geht
es erklärtermaßen um Zusammenhänge: zwischen Wettrüsten
und Neokolonialismus, Ausbeutung und kultureller Depravierung, zwischen physischer
und psychischer Verelendung, zwischen dem Kampf um den Frieden und der Emanzipation
der Frau.
Doch die große Montage-Konstruktion,
die dieses Beziehungsgeflecht einer anderen, die Medientechnokratie unterlaufenden
Sinnlichkeit erschließen soll, ist aus mehreren Gründen eklatant
gescheitert. Watkins, der das Fernsehen herausfordern will, erfindet nur abermals
Fernsehbilder, die er - zumal in den schier endlosen Gesprächen im Familienkreis
- überdimensional zerdehnt, als könnte schon die pure Länge der
Einstellungen {mit Piepstönen verdeutlicht Watkins penetrant die kurzatmige
Montageökonomie des Fernsehens im Gegensatz zu seiner eigenen} das Informationsdefizit
wettmachen, das wir den Medien verdanken.
Großaufnahmen von „Betroffenen",
die über ihre Betroffenheit reden, summieren sich so über fast fünfzehn
Stunden zu einer kompakten Ratlosigkeit, in die immer wieder Watkins' insistierende,
fragende, sanft belehrende Stimme tropft - unterstützt von Schwarzfilmteilen
und Schriftinserts, die statistische Daten, politische Informationen oder auch
nur ein Fragezeichen transportieren: das Fragezeichen, mit dem der Regisseur
die tödlichen Widersprüche der Epoche signalisieren, die „Betroffenen"
zum Stutzen und die Hartgesottenen zur Umkehr bringen will.
Gegenläufige Montagereihen
wie Reagans Kanada-Besuch, Aufnahmen von Protestaktionen in den USA gegen einen
Eisenbahnzug, der quer durch die Staaten atomare Sprengköpfe transportiert,
oder dramatisierende Bilder von Zivilschutz- und Evakuierungsmaßnahmen
unterbrechen den monotonen Ablauf, ohne daß sich Watkins und seine Mitarbeiter
zu kühnen Brechungen, zu listigen Subversionen oder gar zu einer Dramaturgie
der visuellen Verunsicherung entschließen konnten: Es geht in diesem Film
auf simple Weise pädagogisch und entnervend professoral zu. Watkins experimentiert
nicht - offenbar, weil er ein unbegrenztes Vertrauen zu seinen Fragen und seinen
Bildern hat. Er riskiert keinen ernsthaften Angriff auf den genormten Blick
und den programmierten Verstand. Lieber setzt er auf Kindergesichter und auf
eine wohlfeile Gesinnung, die die Menschen von San Francisco bis Swerdlowsk
in einer vagen Grundstimmung verbindet: daß Krieg böse sei und der
Weltfrieden wünschenswert.
Seine Ursache hat dieses Scheitern
freilich in einem gewichtigeren, weil fundamentalen Defekt. Watkins, der verbal
gegen den Zentralismus der politischen und ökonomischen Makro-Systeme zu
Felde zieht, ist selbst ein Zentralist. Ein Despot der Befragungstechniken und
ein Imperialist der positiven Gefühle. Seine Familien und Gesprächspartner
aus siebzehn Ländern und ebenso vielen Kulturen unterwirft er einem stereotypen
Frage-Antwort-Ritual, das, je weiter der Film fortschreitet, immer mehr zur
Zwangssituation für die Befragten wird: Watkins läßt ihnen keine
Chance, ihre jeweilige Individualität und ihre kulturelle Eigenart zu artikulieren.
Gerade sie wären ja ein Ferment des Widerstands auch gegen den Zentralismus
der Supermächte und ihrer Satelliten. Mit seiner von der euroamerikanischen
Vernunft ausgebrüteten binären Fragestrategie kolonisiert der Regisseur
die Tahitianer, die Mexikaner, die Afrikaner in Mozambique und in New York noch
einmal und beraubt sie ihrer Willkür, knebelt ihr Temperament, ihren Humor
und ihre Sinnlichkeit. Nur in einigen Bildern, besonders denen aus Afrika, regt
sich das je Eigene; auch Kinder begehren mit witzigen Grimassen gegen den Fragesteller
Watkins auf oder schlafen einfach vor der Kamera ein.
Der kulturelle oder geographische
„Hintergrund" - das Einfamilienhaus mit Garten in Deutschland, die Palmen
und Pfahlbauten Polynesiens - bleibt es auch. Er schrumpft geisterhaft zur Kulisse
mit aufdringlichem oder nichtssagendem Symbolwert, vor der sich bedrückende
Szenen abspielen: Unter dem sanften Terror der Befragung können die Menschen
nur ihre Unwissenheit offenbaren; die meisten von ihnen sind offensichtlich
gehemmt, halb wehren sie sich gegen den schulmeisterlichen Druck, den Watkins
auf sie ausübt, halb quält sie ihr schlechtes Gewissen angesichts
überwältigend-undurchschaubarer Weltprobleme.
Mit den je individuellen Besonderheiten
und kulturellen Potentialen verwischt Watkins auch die Gräben zwischen
den Zivilisationen und den innerhalb der einzelnen Zivilisationen vorhandenen
Konfliktstoff - zugunsten einer sehr naiven und idealistischen Botschaft, die
er den Menschen vor der Kamera mit platten Suggestivfragen buchstäblich
aus der Nase zieht. Alle Menschen werden Brüder, da sie sich doch in der
Verabscheuung der Bombe einig sind.
So wurde aus einem Filmprojekt,
das nicht zuletzt der Friedensbewegung in ihrer oft kurzsichtigen Fixierung
auf die herrschenden Medien alternative Formen von Wahrnehmung und Reflexion
vor Augen führen sollte, ein Film-Monstrum, das übergenau die Grenzen
und Schwächen dieser Bewegung abbildet. „The Journey" ist eine lange
und ermüdende Reise, ihr Kursbuch angefüllt mit intellektuellen Unschärfen
und idealistischen Aufwallungen: sie kennzeichnen die derzeitige Situation des
Widerstands.
Klaus Kreimeier
Dieser Text ist
zuerst erschienen in der: Frankfurter Rundschau vom 28.2.1987
The
Journey
(Rësan)
Australien / Kanada / Dänemark / Finnland / Italien / Japan / Neu Seeland / Sowjetunion / Schweden / Norwegen 1983-1987
Länge: 876 min.
Regie: Peter Watkins
Buch: Peter Watkins
Produktion: Peter Watkins
Kamera: Jacques Avoine, Robin L.P. Bain, Martin Duckworth,
Raymond Dumas, Eric Alan Edwards, Miguel Garzón, Jaems Grant, Christian
Guillon, Duk-chul Kim, Pierre Landry, Claude Lebrun, Anders Nilsson, Leif Nybom,
Gary Payne, Jan Pester, Skip Roessel, Odd-Geir Sæther, Aribert Weis
Schnitt: Manfred Becker, Petra Valier, Peter Watkins,
Peter Wintonick
Produktionsleiter: Lena Ag, Catharina Bragée,
Tamara Lynch,
Besetzung: Francine Bastien, Brian Mulroney, Mila Mulroney
Premierendatum: 5 Februar 1988 (Schweden) mehr...
Sprache: Englisch / Französisch
Farbe: Schwarzweiß / Farbe
Produktionsfirmen:
Abrahamsbergskyrkan
Artister for Fred
Bil- og maskineservice A/S
Blåbandsungdomen
Byggnadsarbetareförbundet
Centerns fredsråd
Centerns högskoleförening
Centerns kvinnoförbund
Centerns ungdomsförbund
Cinergy Films
Evangeliska Fosterlandsstiftelsen
Fabriksarbetareförbundet
Fjerdingen Busstrafik A/S
Folkkampanjen mot kärnkraft och kärnvapen
Folkpartiets kvinnoförbund
Framtiden i Våra Händer
Fredsfonden
Förbundet Vi Unga
Försäkringsanställdas förbund
Gruvarbetareförbundet
Hamburger Filmbüro
Hell Bilservice A/S
Husmodersförbundet Hem och Samhälle
Immanuelskyrkan
International Order of Good Templars (IOGT)
Japanese Corporation Committee for The Journey
Jusek
Katolska Liberala Kyrkan
Kommunalarbetareförbundet (SKAF)
Konstnärsnämnden
Kooperativa Förbundet (KF)
Kristdemokratiska Samhällspartiet (KDS)
Kristna Fredsrörelsen
Kristna Studentförbundet
Kvinnor för Fred
Kyrkans Ungdom
Lensmanskontoret i Levanger
Lensmanskontoret i Stjørdal
Luigi Paini & Assessorato Sociali & Culturali
Metallarbetareförbundet
Miljöpartiet
Musikerförbundet
Målarförbundet
Nei til Atomvåpen, Stjørdal
Nei til Atomvåpen, Trondheim
Norges Fredslag
Nykterhetsrörelsens Scoutförbund
Pappersarbetareförbundet
Per Hoås
Peter Watkins
Politimesteren i Nord- Trøndelag
Rädda barnen
Samarbete för Fred
Skrallan Bilbergning
Sky Works Charitable Foundation
Socialdemokratiska Kvinnoförbundet
Soviet Peace Committee
Sovinfilm
Statens Vegvesen i Stjørdal
Stjørdal Samvirkelag
Stockholms Arbetarekommun
Stockholms International Peace Research Institute (SIPRI)
Studentförbundet i Helsingfors
Svenska Filminstitutet (SFI)
Svenska Folkhögskolors Förbund
Svenska Freds- och skiljedomsföreningen
Svenska Industritjänstemannaförbundet (SIF)
Svenska Kommunaltjänstemannaförbundet (SKTF)
Svenska Kyrkan
Svenska Missionsförbundet
Swedish International Development Authority (SIDA)
Tandläkareförbundet
The Creative Branch of the Australian Film Commission
The Metropolitan Arts Commission
The
The
The Scottish Film Production Fund
Tulltjänstemannaförbundet
Tyresö u-lands och fredsförening
UD
Vi som inte röker (VISIR)
Visningsnämnden för Film och Video
Verleihfirmen:
Canyon Cinema
Folkets Bio
Weitere Firmen:
Rädda barnen financing
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