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Johnny
zieht in den Krieg
Die Bezeichnung „Antikriegsfilm“ dient oft als Etikett,
um Gewaltorgien zu legitimieren. Spätestens in der Schlacht kapitulieren
auch die besseren Regisseure – und fabrizieren „großes Drama & Entertainment“.
Oder sie geben ihre Faszination zu, wie Stanley Kubrick, der sich auf geschärfte
Kriegsbeobachtung beschränkte, statt den Zeigefinger zu heben.
Einen alternativen Weg schlug Dalton Trumbo im Jahr
1971 mit seiner einzigen Regiearbeit „Johnny zieht in den Krieg“ („Johnny Got
His Gun“) ein: Er ließ das Schlachtfeld weg und verlegte das Drama nach
innen, in die Ich-Perspektive. Bei ihm steht die leidende Kreatur im Mittelpunkt.
Erster Weltkrieg, Frankreich. Der Amerikaner Joe ist dem Slogan „Johnny, get
your gun“ auf den Leim gegangen, liegt nun im Lazarett und hat Arme und Beine,
Augenlicht und Hörvermögen verloren. Der Zynismus des Kriegs setzt
sich im Krankenzimmer fort. Die Ärzteschaft behandelt den Patienten als
„human vegetable“, wissenschaftliches Material, mitleidende Krankenschwestern
haben nichts zu sagen. Als eine von ihnen ihren Vorgesetzten mitteilt, dass
Joe denken und sich durch genickte Morsezeichen mitteilen kann, wird lediglich
die Betäubungsmitteldosis erhöht. Joes Todeswunsch bleibt unerfüllt.
Der Rest ist ein innermonologisches „SOS, Help me!“, suggestiv rhythmisiert
vom Schlag einer Trommel.
Dalton Trumbo schrieb die Romanvorlage 1938, kurz
vor Hitlers Überfall auf Polen. Eine NBC-Hörspielfassung mit James
Cagney bezog ihre Aktualität auf den ausgebrochenen Zweiten Weltkrieg,
während Trumbos 1962 gescheitertes Projekt, das Buch von Luis Buñuel
verfilmen zu lassen, vermutlich vor dem Hintergrund von Wettrüsten und
Kuba-Krise rezipiert worden wäre. Die vorliegende Adaption inszenierte
Trumbo mit kleinem Budget selbst, nun ganz im Zeichen des Vietnam-Kriegs. In
den USA floppte der Film, kam auf Betreiben von Buñuel, Otto Preminger
und Jean Renoir aber in Cannes in den Wettbewerb und errang den Preis der Jury.
Danach wurde es still um den Film, bis ihn die Band „Metallica“ mit ihrem Song
„One“ würdigte und den Film mit Ausschnitten in ihrem Musikvideo in die
kollektive Erinnerung zurückbrachte.
„Johnny zieht in den Krieg“ lässt auch beim
Wiedersehen keineswegs kalt. Vor allem die in kühl-dokumentarischem Schwarz-weiß
gefilmten Lazarettszenen sind dank ihrer Pathos-Resistenz ergreifende Plädoyers
gegen den Krieg. Die in Farbe gehaltenen Traum- und Erinnerungssequenzen Joes
kranken an der Regie-Unerfahrenheit Trumbos und werden doch durch phänomenale
Darsteller am Leben erhalten: Timothy Bottoms debütierte als Joe, dazu
wurde das Elternpaar mit Marsha Hunt und Jason Robards besetzt. Auch Jesus Christus
taucht auf, gespielt von Donald Sutherland. Allerdings funktionieren diese Fieberfantasien,
in denen Christus vor der Allmacht des Kriegs kapituliert, überhaupt nicht.
Trumbo war eben weder Buñuel noch Fellini – dem er in einer weiteren
Traumsequenz (Joe im Kuriositäten-Varieté) nacheiferte. Solche Momente
bleiben im Thesenhaften stecken, weil der Autor eher literarisch dachte und
viele seiner Ideen nur unzureichend filmisch umsetzen konnte.
Die Bildqualität geht zu Lasten des einstündigen,
sehenswerten DVD-Extras: Robert Fischer belegt u.a., warum die Adaption so lange
auf sich warten ließ. Als vermeintlicher Kommunist war Trumbo in die Mühlen
von McCarthys Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten geraten. Bis
1960 beschäftigte Hollywood einen seiner besten Autoren nur unter Pseudonym.
Mit dem Krieg kannte sich Dalton Trumbo also bestens aus, auch wenn es hier
ein kalter war.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist
zuerst erschienen im: film-dienst
Johnny
zieht in den Krieg
Johnny
got his Gun
USA
1971. Regie: Dalton Trumbo. Format: Dolby, HiFi Sound, PAL. Sprachen: Deutsch,
Englisch. Format: 16:9. FSK: ab 12. Anbieter: Kinowelt Home Entertainment. Länge:
110 Min.
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