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Jackie
Brown
Timing ist alles
Tarantinos
JACKIE BROWN entdeckt die Langsamkeit
In
der Ruhe liegt die Kraft. Heißt es jedenfalls. Ganz ruhig und geschmeidig
bewegt sich das Laufband am Airport von Los Angeles. Mit ihm bewegt sich eine
schöne Frau, von der man nur den Oberkörper sieht, und diese ungeschnittene,
minutenlange Anfangssequenz, in der Quentin Tarantino uns Zuschauern Jackie
Brown (Pam Grier), die Heldin seines neuen Films, präsentiert, gibt ausgiebig
Gelegenheit, sie uns anzusehen. Leicht spöttisch scheint sie zu lächeln,
vielleicht etwas unsicher, denn ganz jung ist sie sichtlich nicht mehr, aber
letztlich doch selbstbewußt und in sich ruhend. Sie weiß offenbar,
daß sie die ganze Zeit über angesehen wird, und das scheint ihr auch
gar nicht unangenehm zu sein, im Gegenteil, fast erwartet man, daß sie
der Kamera zuzwinkert. Aber dann blickt sie doch nach vorn und konzentriert
sich auf den Weg, der vor ihr liegt. "Buenos Dias, Welcome on Board"
ist das erste, was Pam Grier zu uns Zuschauern sagt.
Ruhig
und selbstsicher, nur ein wenig zögernd, aber alles in allem im Bewußtsein
der eigenen Stärken präsentiert sich wie seine Heldin auch Regisseur
Quentin Tarantino in diesem langerwarteten, ersten eigenen Film nach PULP
FICTION.
Es ist ein mit 12 Millionen Dollar vergleichsweise billiger Film geworden, für
den sich der Regisseur fast vier Jahre Zeit gelassen hat.
Was
tun, wenn alle "Kult" erwarten? Dies sind Tarantinos Werk und seine
Person scheinbar so unwideruflich, daß er sich ziemlich alles leisten
könnte, ohne seine Fans zu vergraulen, weil sie noch im dummdreistesten
Auftritt irgendeine versteckte Ironie wittern würden, irgendeinen Gimmick,
der ihnen genug Anlaß zu wissendem Schmunzeln geben würde.
Als
wolle er selbst solcher Tarantinomania entgehen, hat Tarantino sich mit JACKIE
BROWN auf diejenigen konzentriert, die ihm bisher nicht wohlgesonnen waren.
Immerhin hat es der 35jährige Regisseur mit zwei Filmen nicht nur geschafft,
als Kult zu gelten und das Wort tarantinoesk ins Wörterbuch der 90er Jahre
einzuschreiben, sondern auch alle diejenigen Gutmenschen gegen sich aufzubringen,
die verlangen, daß ein Film gefälligst nicht "zynisch"
zu sein hat. Will sagen: Blut darf zwar in Strömen fließen, soll
aber nicht über Gebühr ins Bild kommen, Killer haben keinen Humor
und dürfen böse Menschen sein, aber gefälligst mit gutem unzynischen
Kern, und Regisseure haben sich bitteschön an das Genre zu halten, in dessen
Bahnen sie den Film einmal begonnen haben. Tarantino macht all das nicht, und
dafür nennen ihn die Dummen unter seinen Verächtern dann eben "zynisch"
und die Gebildeten unter seinen Liebhabern "postmodern".
Zwar
ist er weder das eine noch das andere, aber sicher werden wieder einige Pappenheimer
mit ebendiesen Stereotypen um sich werfen, um schnell in der Klischee-Schublade
zu verwahren, wo man vor allem genauer hinschauen müßte.
Die
Geschichte ist schnell erzählt, sie ist, wie so oft in Filmen der letzten
Zeit, nur Nebensache und Anlaß für anderes. "Rum Punch"
heißt Elmore Leonards Roman im Original, das dem Drehbuch zugrundeliegt.
Es geht um eine Stewardeß in der Zwickmühle. Weil Jackie Brown dabei
erwischt wurde, wie sie für ihren Exfreund, den Waffenhändler Ordell
Geld schmuggelt, muß sie nun diesen, ein paar seiner Gangsterkumpels,
und die Polizei gegeneinander ausspielen, um zu überleben, und sich selbst
eine zweite Chance zu geben.
JACKIE
BROWN ist ein ruhiger Film. Ein langsamer, der sich Zeit nimmt, und viel, manchmal
sogar zuviel Liebe auf Details verwendet. Atmosphärische Stimmigkeit ist
das Ziel, und dies verlangt, daß Sound, Schauspieler und Tempo in rhythmischen
Gleichklang kommen. Etwa wenn der Kautionsanwalt Max Cherry (Robert Forster)
seine Klientin Jackie Brown zum ersten Mal sieht, als sie aus dem Gefängnis
entlassen wird, erzählt Tarantino dies allein mit Bildern, die so präzise
sind, daß sie alles sagen. Auch in anderen Momenten sitzt jeder Schnitt,
und wir Zuschauer lernen, daß beim Film, wie beim Verbrechen, das richtige
Timing einfach alles ist.
Vor
allem ist dies aber ein Schauspieler-Film. Und Tarantino - das zeigt JACKIE
BROWN so eindeutig wie bisher keiner seiner Filme - ist ein Schauspieler-Regisseur.
Eigentlich müßten sie alle vor ihm auf den Knien rutschen, weil er
sie so offensichtlich lieb hat, weil er ihnen die Chance gibt, sich genüsslich
auszuleben vor der Kamera. Alle bekommen sie große Szenen, und hier bewähren
sich Ruhe und Geduld des Regisseurs, die einem in anderen Momenten auch einfach
langatmig vorkommen kann. Den vielleicht schönsten Part hat Robert de Niro,
der einen lahmarschigen Ex-Knacki spielt, der mit der schnellen Gegenwart aus
Fernbedienung, Handy und automatischen Türöffnern nicht zurechtkommt.
Und dann natürlich die nahezu vergessene Pam Grier, ein fast vergessener
70er Jahre-Zombie, die in der Titelrolle lebendiger wirkt, denn je.
Im
Unterschied zu den Coen-Brüdern sind Tarantinos Schauplätze einfach
real, keine ethnologischen Laboratorien. Diese Menschen begegnen uns in einer
Shopping-Mall, einer Tiefgarage und am Flughafen.
Natürlich
ist JACKIE BROWN trotz alldem ein echter Tarantino-Film. Es gibt auch hier kurze,
unvermittelte Gewaltexzesse, es gibt die Brüche gewohnter Erzählmuster,
es gibt Genre-Mischmasch und eine allem zugrundeliegende Ironie, (die aber vielleicht
gar nicht so subversiv ist, wie sie es gern wäre). All das ist sehr gut
so, sonst wäre die Nostalgie, die durch diesen Film streicht, gar zu versöhnlich,
die Ruhe gar zu langsam, und die Geschichte gar zu konventionell.
Aber
sichtlich geht es um Anderes. Tarantino zeigt, daß er mehr ist, als ein
verspielter Provokateur und zitatengeiles Pseudogenie, das zuviele B-Movies
gesehen hat. Mehr als zuvor erkennt man, daß hier einer letztlich Klassizität
will, oder wie er selbst sagt: "Kino für die nächsten 40 Jahre
machen".
Rüdiger Suchsland
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Jackie Brown
(Jackie Brown)
USA 1997
Länge: 148 Minuten
Originalsprache: Englisch
Altersfreigabe: FSK 16
Regie: Quentin Tarantino
Drehbuch: Quentin Tarantino, Elmore Leonard (Roman)
Produktion: Lawrence Bender
Musik: Joseph Julián González
Kamera: Guillermo Navarro
Schnitt: Sally Menke
Besetzung:
Pam Grier: Jacqueline 'Jackie' Brown
Samuel L. Jackson: Ordell Robbie
Robert Forster: Max Cherry
Bridget Fonda: Melanie Ralston
Michael Keaton: Ray Nicolette
Robert De Niro: Louis Gara
Michael Bowen: Mark Dargus
Chris Tucker: Beaumont Livingston
Lisa Gay Hamilton: Sheronda
Thomas Lister junior: Winston
Sid Haig: Richter
Denise Crosby: Staatliche Verteidigerin
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