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Inside Deep Throat
Nach
langer Zeit gibt es wieder einen Film, genauer einen Filmtitel, der eine besondere
Publikumsgruppe irritieren und bloßstellen dürfte: Den Bildungsbürger. Das
letzte Mal, als diese vom Aussterben bedrohte Spezies seine Unkenntnis des Kinos
kolossal zur Schau gestellt hat, war der etwa zeitgleiche Start von American
Beauty
und American
Pie.
Herrliche Szenen spielten sich da ab, als der vom Feuilleton mobilisierte Philister
umgeben von einer Horde Halbstarker sich deren feuchten Alpträume statt
die hoch gelobte Satire auf Americana ansehen musste. Nicht unwahrscheinlich
ist es, dass just dieser Publikumstyp auch hinter Inside
Deep Throat
(IDT) eine
Dokumentation über den kürzlich enttarnten Informanten im Watergate
Skandal statt über den finanziell erfolgreichsten Film aller Zeiten wittert.
Bei einem
Budget von 25.000 $ und einem Einspielergebnis von 600.000.000 $ – eine unbestätigte
und daher unwahrscheinliche Summe – war Deep
Throat tatsächlich
ein überaus erfolgreicher Film. Wichtiger als der schnöde Mammon ist
aber das Genre, der Porno, dessen Konsum außerhalb der Schmuddelecke er
gesellschaftsfähig machte. Damit leistete dieser Film zugleich einen Beitrag
zur sexuellen Befreiung. Wie und warum gerade Deep
Throat
und nicht ein anderer, beliebiger Film dieses Verdienst errang, ob es überhaupt
eines war, was es für die Beteiligten bedeute – diese und weitere Fragen
versuchen Fenton Bailey und Randy Barbato in ihrem Dokumentarfilm zu beantworten.
Inwieweit sie damit Erfolg haben, hängt von dem Betrachtungswinkel des
Zuschauers ab.
Am offensichtlichsten
und wohl kaum intendiert ist der Szenenausschnitt aus der Menschlichen Komödie:
Bailey und Barbato führen einige ihrer merkwürdigsten Vertreter vor.
Der ewige Playboy Hugh Hefner ist ebenso dabei wie sonst gesichtslose Statisten
der Pornoindustrie – ein „location manager“, dem alles an Deep
Throat
gleichermaßen Scheiße ist, ein so genannter „Graf“, der gegen nie
erhaltene 300 $ und eine „Nebenrolle“ im Film seinen Weinkeller als Drehort
zur Verfügung gestellt hat, oder die abgetakelte Darstellerin, die Sperma
als Gesichtscreme empfiehlt. Die wesentlichen Figuren sind nicht weniger grotesk,
etwa der Regisseur, der als hauptberuflicher Frauenversteher (Friseur) erkannt
haben will, dass das alte Rein-Raus-Spiel seine Kundinnen frustriert habe, und
daher die Schere gegen die Kamera eingetauscht hat. Diese Charaktere sind vor
allem deswegen so komisch, weil sie real sind, und doch in hohem Maße
Klischees bedienen. Wundert man sich, dass der Hauptdarsteller aus Deep
Throat
nach Alkoholexzessen und Knast seinen Weg zu Gott gefunden hat und nun Makler
ist (frei nach dem präsidialen Motto: Goodbye, Jack Daniels! Hello, Jesus!)?
IDT will
aber nicht unterhalten, es will, wie sich am von Michael Moore inspirierten
Stil unschwer ablesen lässt, auch belehren. Denn natürlich hat Deep
Throat
nicht nur Kassenrekorde aufgestellt, sondern die Gesellschaft gespalten, will
heißen den konservativen Teil gegen sich aufgebracht – mit dem Ergebnis
in 23 Bundesstaaten verboten worden zu sein. Dies führte so weit, dass
man vor Gericht beweisen wollte, Frauen könnten nur einen vaginalen, keinen
klitoralen Orgasmus haben, Deep
Throat
die amerikanische Frau daher belüge und verunsichere. Dies lässt verstehen,
warum der Film mit seiner Pointe von einer Frau, deren Klitoris im Hals sitzt,
eine so große Wirkung gehabt hat: Er wies mit Humor auf eine überkommene
Sexualmoral hin und wurde durch die unmittelbare Hexenjagd der Behörden
in seiner Wirkung gestärkt. Für die Amerikaner Bailey/Barbato ist
es aber deutlich mehr als sexuelle Emanzipation: Deep
Throat
ist lediglich ein Schlachtfeld des gesellschaftlichen Freiheitskampfes, in diesem
Falle gegen staatliche Zensur. Auch wenn er die Verbotsbestrebungen der Feministinnen
als Freiheitseinschränkung ebenfalls brandmarkt, bleibt der eigentliche
Feind doch der (Neo-) Konservativismus, der auch heute noch obsolete Sexualnormen
vertritt. Gegen ihn ist IDT gerichtet,
wird daher europäischen Zuschauern allenfalls eine Lektion in amerikanischer
Kulturgeschichte statt filmisches Aufklärungspamphlet sein – Bewohner der
Venus können mit dem vielen Lärm um etwas Gerammel vor der Kamera
wenig anfangen.
Am interessantesten
ist IDT ohnehin
als Erinnerungsfilm. Es überrascht immer wieder aufs Neue, wie inkohärent
und manipulativ das menschliche Gedächtnis doch ist, und Bailey und Barbarto
machen dies mit einer geschickten Auswahl und Montage von Interviewfetzen deutlich.
Natürlich unterscheiden sich einzelne Erinnerungen, aber es ist bemerkenswert,
wie sehr sich die interviewten Macher von Deep
Throat
dem Tonfall der Doku anpassen und sich selbst als Helden im Kampf um Freiheit
und – allen Ernstes! – Kunst beweihräuchern. Bei allen Konzessionen an
die miserable Qualität von Deep
Throat
will der Regisseur etwa ihn dennoch als Leistung und vor allem old
school
verstanden wissen. Die Regisseure wiederum unterstützen diese Annahme durch
einen Exkurs in die heutige, ach so leblose Pornobranche und machen sich damit
zu Beschwörern der guten alten Tage. Auch in diesem Punkt mag man ihnen
daher nicht folgen, denn bei aller Anerkennung möglicher gesellschaftlicher
Folgen von Deep
Throat
und Konsorten ist doch nicht zu vergessen, dass die Filme von einem Haufen junger
Amateure gemacht worden sind, die sich mit sichtlichem Vergnügen an den
Früchten der 68er Revolution delektierten. In den Worten einer, die dabei
war: „Papa hatte eine Scheune, also machten wir einen Film!“
Dieser
Text ist nur erschienen in der filmzentrale
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Inside
Deep Throat
USA
2005 - Regie: Fenton Bailey, Randy Barbato - Darsteller: Gerard Damiano, Harry
Reems, Alan Dershowitz, Norman Mailer, Gore Vidal, Erica Jong, John Waters,
Camille Paglia, Ron Wertheim, Hugh Hefner, Larry Flynt - FSK: ab 16 - Länge:
90 min. - Start: 11.8.2005
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