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Good
Will Hunting
Man
stelle sich vor: dreieinhalb bis vier abendfüllende Spielfilme werden auf
Butterbrotpapier kopiert, übereinandergeschichtet und erneut auf die Leindwand
projiziert in der Hoffnung, daß die Skizzen sich schon alleine zu einem
neuen Bilde fügen werden. Diese Hoffnung hofft vergeblich, "Good Will
Hunting" bleibt spröd wie Pergament und das ehrgeizige Drehbuch verkantet
immer wieder den Fluß der Story.
Was
soll hier erzählt werden? Einerseits die Geschichte des jungerwachsenen
Wunderkindes, das dieses Mal Will Hunting heißt und als verbocktes, lebendes
Lexikon die trostlosen Flure der Elite-Uni Cambridge feudelt. Und en passant
Ableitungen aus dem Ärmel schüttelt, an denen das Professorenkollektiv
gescheitert ist. Die zweite Geschichte soll uns die unüberbrückbaren
Unterschiede zwischen Menschen, die am Schwanzende der sozialen Hierarchie und
solchen, die an deren Kopf angesiedelt sind, vor Augen führen. Konflikte
entstehen in „Good Will Hunting“ nicht dann, wenn jemand die soziale Leiter
auf- oder absteigt, sondern nur dann, wenn jemand seine Destination noch nicht
wahrhaben will, seinen vorherbestimmten Platz innerhalb der sozialen Ordnung
noch nicht einzunehmen bereit ist. Hier frönt der Film einem erzkonservativen
Bildungsdarwinismus.
Die
dritte Geschichte handelt von Freundschaft in ihren Standardausprägungen
zu erstens den Kumpels, zur großen Liebe zweitens und drittens zum väterlichen,
wenn nicht vaterersetzenden Seelenklempner. Gespickt ist dieses Themenkonglomerat
zusätzlich mit weiteren Semi- und Viertelgeschichten, unausgearbeiteten
und unentschlossenen Andeutungen von Alkoholismus, Kindesmißbrauch, Uniklüngelei,
Studentenfrohsinn und Bauarbeiterromantik. Mit einem Wort - der Film hat sich
hoffnungslos verzettelt und das im Namen einer Botschaft, die trivialer nicht
seien könnte: Am Ende kommt es nur auf Liebe an und sie ist es, derer wir
alle bedürfen.
Bis
diese Botschaft in finaler Schönschrift dann vom Abspann aufgerollt wird
und langsam die Saallichter aufdimmen, hat das Publikum einiges Valium zu schlucken.
"Good Will Hunting" ist in seiner Zusammengeschusterheit auch noch
strunzlangweilig. Schlüssig im Sinne einer stringenten und aufs Wesentliche
reduzierten Erzählung waren Gus van Sants Filme noch nie. Aber sie hatten
Charme. Den Charme des Spielerischen, der in "Good Will Hunting" nur
selten noch aufblitzt, etwa wenn unser Wunderkind sämtliche Spielarten
der Psychotherapie im Schnelldurchlauf ad absurdum führt. Oder wenn es
wirklich hart an sich arbeiten muß, um ein Date zwischen zwei Genies zu
verlängern in eine Beziehung zwischen zweien, die sich einfach nur lieben
möchten. Ganz lustig anzusehen ist auch die Unbekümmertheit, mit der
die amerikanische Intelligenzia mit abendländischen Bildungsinventar zu
jonglieren versteht. Aber ängstlich legt „Good Will Hunting“ sich selbst
ein Ironieverbot auf und wir erfahren, daß insbesondere politisch und
ökologisch korrektes Wissen ein wertvolles Gut ist, daß neben all
den lächerlichen Seelentherapien auch eine seriöse existiert und daß
es nur die Liebe ist, die aus einem Lexikon eine Biographie zu machen versteht.
Ach so.
Urs
Richter
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Good
Will Hunting
Gus
van Sant, USA 1997
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