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Good Morning Babylon
Spätantik-orientalische Vermittlungen
müssen es gewesen sein, die einen italienischen Künstler des Trecenta
inspiriert haben, das Relief eines sitzenden Elefanten der Fassade einer herrlichen
Kathedrale in der Toskana hinzuzufügen. Der Film „Good Morning, Babylon"
läßt diese kunstgeschichtliche Frage offen. Aber um 1910 üben
die beiden Brüder Andrea und Nicola, zwei von sieben Söhnen des Kirchenrestaurators
Bonanno, an diesem Elefanten ihr Talent, den Werken früherer Jahrhunderte
ihren Glanz zurückzugeben. (Niccolò und Andrea hießen zwei
Künstler aus dem berühmten Geschlecht der Pisani, die im 13. und 14.
Jahrhundert die toskanische Bildnerei prägten - und sieben Söhne hatte
der Bildhauer Andrea della Robbia, ein Meister der florentinischen Renaissance.)
Ein anderer Italiener, Giovanni
Pastrone, reüssiert 1914 mit „Cabiria" - dem größten Monumentalfilm
der Epoche, zu dem d'Annunzio die Texte schrieb - in Amerika; auf David Wark
Griffith ist der Eindruck so nachhaltig, daß er ein gerade begonnenes
Filmprojekt abbricht und beschließt, „Intolerance" zu drehen.
Der Zug Hannibals über die
Alpen in „Cabiria" könnte es gewesen sein, der Griffith die fixe Idee
suggeriert, für die Babylon-Episode seines Films brauche er unbedingt (gebaute)
Elefanten. „Good Morning, Babylon" läßt diese filmgeschichtliche
Frage offen. Aber 1914 sind die Brüder Andrea und Nicola (Joaquim de Almeida
und Vincent Spano), von der drohenden Brotlosigkeit ihres Handwerks in die Neue
Welt getrieben, nach mancherlei Unbilden in Hollywood eingetroffen. Es geht
ihnen schlecht, doch sie sind durchdrungen vom Erbe der abendländischen
Kultur; das Bewußtsein, Nachfahren Michelangelos und Leonardos zu sein,
verleiht ihnen die Kraft, Demütigungen zu verwinden, und beflügelt
ihre Phantasie.
Den sitzenden Elefanten, den sie
aus Zellstoff, Altpapier und Kleister auf einer Waldlichtung abseits der großen
Produktionsstudios bauen, läßt der intrigante Produktionsleiter zwar
in Brand setzen. Das Bild des in Flammen gehüllten, langsam einknickenden
und sich auf die Seite legenden Kaliko-Giganten wird unversehens zum Inbild
und Epitaph auf die magische Schönheit einer unwiederbringlichen, von antiken
Erinnerungen genährten Kultur. Für die stürmisch expandierende
Filmindustrie aber ist nichts unwiederbringlich: Andrea und Nicola avancieren,
den Intrigen trotzend, zu Chefdekorateuren des großen Griffith (Charles
Dance), und gleich achtfach erlebt ihr Elefant im pompösen Set am Hof des
Königs Belsazar in Babylon eine triumphale Wiederauferstehung: Good Morning,
Hollywood.
Die Liebe zur rabiaten Genialität
des frühen Kinos, zur mystischen Verbindung von Handwerk und Zauberei in
der noch jungen, kaum ihrer selbst bewußten Traumindustrie muß es
gewesen sein, die das Brüdergespann Paolo und Vittorio Taviani, Autorenfilmer
von Geblüt, ins Hollywood von heute trieb, um diese Geschichte von gestern
zu drehen - eine Geschichte über den Reichtum unserer Kultur und über
die Frühgeschichte des Kinos, die nicht erst mit den bewegten Schatten
auf der Leinwand, sondern mit dem in Bildern denkenden, in Bildern aufbewahrten
Gedächtnis der Menschheit beginnt. Hollywood ist
Babylon. Und wie Andrea und Nicola betätigen sich die Gebrüder Paolo
und Vittorio als Restaurateure am Material der Epochen. Das solide, zur vollendeten
Form strebende Handwerk, das Metier der Meister von Michelangelo über Leonardo
bis Griffith: das ist der Elefant, der in der Medienindustrie von heute verbrannt
wird und zuschanden geht - bald nur noch ein Fabeltier.
Die Taviani datieren den historischen
Umschlag mit dem Ersten Weltkrieg, auf dessen Schlachtfeldern Andrea und Nicola
sich am Ende wiederfinden, um ihr Leben zu verlieren. Sterbend filmen sie sich
gegenseitig, Frontberichterstatter des eigenen Todes und Konservatoren ihrer
selbst für eine Nachwelt, von der sie ahnen, daß sie schnell vergessen
und verdrängen wird. Die letzte Einstellung zeigt wie ein Traumbild die
Fassade jener Kathedrale, mit der alles begann; Handwerker des Trecento geben
ihrer Schönheit den letzten Schliff: Form ist das Ergebnis von Handwerk,
Phantasie und Kollektivität.
Die Taviani, Angehörige der
Generation von 1968, blicken zurück in die Jahrhunderte: sentimental, ohne
Ironie, mit einem Anflug von Trauer. Sie wollen, zu Griffith zurückgehend,
das Kino aufs neue beseelen. Sie sind Präraffaeliten der Filmgeschichte. Und
„Good Morning, Babylon" ist (auch) ein Märchen von zwei sehr naiven
Handwerksburschen, die, aus der europäischen Manufaktur kommend, in die
amerikanische Industrie geraten. Ein Märchen von zwei Jünglingen,
die sich in zwei wunderschöne Komparsinnen, Edna und Mabel, verlieben;
ihre Namen erinnern an Mabel Normand und Edna Purviance, Chaplins Darstellerinnen
aus der Keystone- und Essanay-Periode. Ein Märchen von zwei braven Söhnen,
die ihren alten Vater (Omero Antonutti) nach Amerika holen, damit eine Doppelhochzeit,
ein Bankett im Babylon-Dekor von ,Intolerance" und eine programmatische
Synthese gefeiert werden können: Wenn sich der greise Bonanno und der junge
Griffith begegnen (ein Bild wie im Western: zwei Fighter gehen aufeinander zu),
sollen das Alte und das Neue, das gediegene Handwerk und die technische Phantasie,
die Kunst der Ahnen und die Zauberei der Kinematographie zu edler Übereinstimmung
gelangen.
Ein Märchen also - erzählt
in randscharfen, sehr didaktischen Symmetrien und reinen, wie durchsichtigen
Bildern, denen alles Geheimnis mangelt und die sonderbar unstofflich wirken:
als wären die Dreh-Sets des frühen Hollywood eine klinisch blitzblanke,
von Kaliforniens Sonne bis in die letzten Winkel ausgeleuchtete Welt gewesen.
Gläserne Bilder, die sich am Ende zu einem imaginären Glassarg zusammenfügen:
Darin liegt, so meinen wohl die Brüder Taviani, von schmerzhafter Schönheit
und längst eine Sache der Vergangenheit: die Zukunft der Kunst.
Klaus Kreimeier
Dieser Text ist
zuerst erschienen im Januar 1988 in der: Frankfurter Rundschau
Good
Morning
GOOD MORNING
Good Morning Babylonia
Italien / Frankreich / USA - 1986 - 118 min. - Verleih:
Jugendfilm, Taurus (Video) - Erstaufführung: 28.1.1988/25.5.1988 Video/5.2.1989
ZDF/19.5.1989 Kino DDR - Produktion: Giuliani G. de Negri
Regie: Paolo Taviani, Vittorio Taviani
Buch: Paolo Taviani, Vittorio Taviani, Tonino Guerra
Kamera: Giuseppe Lanci
Musik: Nicola
Piovani
Schnitt: Roberto Perpignani
Darsteller:
Vincent Spano (Nicola)
Joaquim de Almeida (Andrea)
Désirée Becker (Mabel)
Greta Scacchi (Edna)
Omero Antonutti (Bonnano)
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