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Der
Glanz von Berlin
Drei
Frauen und ihre Lebenspläne
Lange war die weibliche Seite der Dienstleistungsgesellschaft
im Kino von der Prostitution in Beschlag genommen worden. Jetzt kommt auch der
Rest der Branche langsam im Kino an. Nach den Spielfilmen von Ken Loach (Bread and Roses) und Mehdi Charef (Marie-Line) ist mit Der Glanz von Berlin nun ein weiteres Gewerbe auch dokumentarfilmtauglich geworden:
das der Raumpflegerin.
Doch halt!: Der Glanz von Berlin ist nur an der Oberfläche ein Film über Putzfrauen,
und auch mit Berlin als Stadt hat der Film nicht sonderlich viel zu tun, auch
wenn wir zu Beginn mit einigen Einstellungen auf die falsche Fährte geführt
werden, hier und nun beginne ein Streifzug durch den Berliner Reinemacher-Untergrund.
Sicher: alle drei Heldinnen verdienen ihr Geld mit Putzen, versuchen es jedenfalls.
Alle leben auch in Berlin. Und zumindest Gisela ist eine Berlinerin wie aus
dem Bilderbuch, mit erstmal tüchtig Schnauze, hinter der sich irgendwo
das große Herz versteckt. Gisela arbeitet in einer Putzkolonne, die die
Neue Mitte auf Vordermann bringt. Daheim sitzt ein Ehemann, Frührentner,
der Giselas professionelle Schnoddrigkeit mit neurotischem Reinlichkeitswahn
kontert. Alles hat hier seinen wohldefinierten Platz. Jede Falte der Schrankwand
wird mit dem Pinsel einzeln geduldig abgetupft. Ein Horror-Team? So scheint
es. Doch unsere Sympathie wächst mit dem Fortschreiten des Films zu Liebe.
Und bei den beiden selbst bringen ein paar Rüffel und ein Tänzchen
das Paarleben wieder ins rechte Lot.
Ingeborg ist seit längerem allein. Mit den Männern hatte
sie ein unglückliches Händchen, der erste war ein Hochstapler, der
nächste Trinker. Zu ihrem Pech fand sie das erst nach den Flitterwochen
heraus. Ingeborg war früher Verkäuferin, Sängerin wäre sie
wohl gerne und gut geworden, ohne es selbst zu wissen, damals, in einer anderen
Zeit. Jetzt machen die Füße beim Stehen nicht mehr mit, und nun sucht
Ingeborg Putzjobs per Kleinanzeige. In der "Freizeit" nimmt sie Gesangsstunden
und singt mit Alten im Heim. Mit dem nächsten Mann wird sie von der Freundin
verkuppelt. Gutgehen wird das nicht, das sieht man. Bleiben Bitterkeit, ein
bißchen Hoffnung und zu viele Ambitionen.
Auch Delia wollte sich eigentlich professionell der Kunst widmen.
Vor vielen Jahren ist die Argentinierin nach Berlin gekommen, um zu malen. Fast
ebenso lange putzt sie jetzt schon, privat, ihre Klienten sind wohlmeinende
Bürger mit einem Hang zur Fraternisierung. Auch andere meinen es gut mit
ihr, ein Kursleiter etwa versucht, ihr deutsche Selbstverwirklichungsgedanken
näher zu bringen. Doch Delia weiß auch so, wo sie steht, und sie
ist klug genug, sich mit handfestem Witz gegen solche Versuche freundlicher
Übernahme zu wehren. Ihre dunklen Momente hat sie auch. Die Eltern hatten
Besseres für ihr Kind vor. Jetzt sind sie tot, Gott sei Dank, sagt Delia,
so bleibt ihnen die Kränkung erspart.
Wie lässt sich mit Niederlagen leben in einer Welt, die den
Erfolg hofiert? Der Glanz von Berlin ist - neben dem gelungenen Versuch, gewöhnliches deutsches
Alltagsleben filmisch festzuhalten - ein Film über genau das: das Scheitern
von Lebensplänen. Und über den Widerstand gegen Schicksal und Alter,
der von den Heldinnen mehr oder weniger trotzig, heroisch und listig geführt
wird. Dabei balanciert der Film verführerisch zwischen Humor und Melancholie
und legt uns seine Heldinnen mit zurückhaltender Zärtlichkeit ans
Herz. Nur Ingeborg macht uns die Annäherung schwer, so ambitioniert inszeniert
sie sich vor der Kamera, dass der Blick auf sie und ihr Tun manchmal - sicher
ungewollt - fast denunziatorische Züge annimmt. Am stärksten in einer
Szene, in der Ingeborg einem verliebten Verehrer, mit dem sie sich vorher einige
Male getroffen hat, mit einer elaborierten Erklärung den Korb gibt. Das
Kamerateam gibt sich dabei als Mitwisser und Verbündeter, der überrumpelte
Kerl hat keine Chance. Für den Spannungsbogen des Films ist das ein herrlicher
Höhe- und Abschlusspunkt, für die Beteiligten eine erniedrigende und
peinliche Szene.
Hier wäre weniger besser gewesen. Doch trotz solcher Kritik
im Kleinen: Die beiden jungen Regisseurinnen Judith Keil und Antje Kruska machen
in ihrem zweiten langen Dokumentarfilm (nach Ausfahrt Ost - Ins Leben von Nico, Lenne und Tomcat, 2000) deutlich, dass sie wissen, was sie sagen wollen und wie
sie das tun können. Interessant dabei: Beide haben nur in der Praxis gelernt,
nie eine Filmausbildung "genossen".
In seiner gelungenen Durchdringung von unterhaltenden und lebensernsten,
humoristischen und tragischen Elementen dürfte Der Glanz von Berlin durchaus und zu Recht zu einem neuen Dokumentarfilm-Renner werden.
Vorarbeit beim Publikum hat vielleicht Die Blume der Hausfrau geleistet: Das Porträt einer Truppe schwäbischer Staubsauger-Vertreter
war einer der großen deutschen Dokumentarfilm-Hits der letzten Jahre.
Allerdings zeigt Der Glanz von Berlin erfreulicherweise deutlich mehr Substanz.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film am: 30.05.2002
Der
Glanz von Berlin
BRD
2001. R und B: Antje Kruska, Judith Keil. P:
Jens Meurer. K:
Marcus Winterbauer. Sch: Inge Schneider. M: Armin Janda, Peter Witzel. T: Ulla
Kösterke. Pg:
Egoli Tossell/ZDF. V:
Salzgeber. L: 84 Min. DEA: Berlinale 2002. Mit: Ingeborg Martinsson, Delia Pereir-López,
Gisela Weiss u.a. - Start: 16.5.2002 (D).
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