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Gerry
In seiner
Reduktion und Anti-Haltung (mehr noch als später dann bei Elephant) radikales, radikalstes Kino. Der
Film ist reiner Plot: Zwei junge Männer - beide heißen Gerry - fahren in die
Wüste, um "the thing" zu sehen. Sie steigen aus, ziehen los,
überlegen es sich bald anders (ohne dass wirklich etwas überlegt worden wäre:
man entscheidet sich halt um, flachst dabei unverbindlich vor sich hin), wollen
also zurückkehren, zum Wagen, doch sie verlaufen sich, ihr Weg führt immer
tiefer in die mehr und mehr abstrakte, ortlos gewordene Wüste. Dies alles
geschieht. Mehr nicht.
Kein Mehr auf
einer dramaturgischen Ebene. Entbehrungen und Siechtum werden nicht zum Zwecke
filmischen Gewinns in Szene gesetzt. Herausfordernden Situationen begegnet der
Film mit mehrwertloser Lakonie: Der eine (die englischen Untertitel der DVD
bezeichnen ihn als "Gerry2") steigt auf einen großen Felsen, um nach
dem anderen Ausschau zu halten (man hatte sich zur Orientierung getrennt). Sein
Tritt bröckelt dahin, er scheint auf dem Podest gefangen. Der andere kehrt
zurück, und schafft Staub - "Make me a dirt mattress!" - heran. Eine
quälend lange Szene ohne Schnitt, unbewegt in einer Distanz schaffenden Totalen
gefilmt, keine Dramatik, beinahe schon öde. Irgendwann springt Gerry2 - noch
immer die gleiche Einstellung - einfach runter, und das kommt dann schon fast
einem "Chock" gleich (nicht zuletzt aufgrund der zurückgelegten
Höhe). Aber ist wirklich was geschehen? Nein.
Musik gibt es
dazu selten. Wenn überhaupt, dann sind es Soundscapes aus Ambient und
Clicks'n'Cuts. Dann und wann Minimales von Arvo Pärt. Mal unterstreichend, mal
konterkarierend. Zum flirrenden Höhepunkt dieser, ja, Zen-Meditation, die nur
sich selbst zum Thema hat, keinen Gegenstand mehr aufzuweisen scheint, gerät
eine ebenfalls quälend lange Einstellung, die beide Elenden von hinten zeigt,
wie sie ausgehungert und mit einigem Abstand durch die Wüste stolpern. Die
Bewegung findet augenscheinlich statt, doch der Abstand zwischen beiden und
auch der Abstand zwischen ihnen und der Kamera ändert sich nicht: Im
Zusammenspiel mit der nunmehr fast völlig konturlos gewordenen Wüste ergibt
sich ein Bild des ewigen Sich-Fort-Bewegens ohne sich dabei jedoch
fortzubewegen. Zu Beginn ist die Szene dunkel, es scheint früher Morgen, fast
nichts ist zu sehen, doch unmerklich wird das Bild heller (fast so, als würde
man sich nachts ans Dunkel gewöhnen), die beiden heben sich ab, der Boden wird
erst grau, dann beinahe blendend weiß. Verzerrte Klänge aus Synthesizern, die
in dieser Welt reinster Naturgewalt (die aber, eben, doch nicht gewalttätig im
Sinne einer Überwältigung ist, eher ist es ein gleichmütiges Verschlucken, auch
hier fehlt jeder Pathos: Der Blick in die verderbende Natur bleibt fremd, weil
sich nichts darin findet, was dem kultivierten Menschen Referenz oder
Anknüpfungspunkt sein könnte) so deplatziert wie unterstreichend wirken,
verfremden das Gezeigte, geben ihm eine metaphysische Qualität, doch auch hier
findet eine Dramatisierung nicht statt. Alles fließt,
mitleidlos/leidenschaftslos beobachtet.
Ein bisschen ist
das wie "Warten auf Godot". Hier, wie dort. Auch die ganz eigene
Sprache der beiden Gerrys erinnert ein wenig daran.
Inserts zeigen
andernorts zur Mystifizierung dienende Bilder von in atemberaubendem Tempo über
Landschaften dahinrasende Wolken. Super 8-Aufnahmen im Point of View, die im
Zeitraffer über Straßen fahren. Doch die Bilder mystifizieren eben nicht. Sie
zeigen lediglich eine Welt, die jenseits der Erfahrungswelt des Menschen
liegen, unterstreichen die Differenz zwischen der stoisch bleibenden Wüste und
den lächerlichen Figuren (die noch am Vorabend ihrer persönlichen Katastrophe,
die der Film nicht katastrophisch im Sinne filmischer Konventionen werden
lässt, sich beiläufig über Quatsch unterhalten, über Computerspiele etwa, wie
man in einem Spiel - Age of Empires, oder Civilization oder
ähnliches - Theben erobert hätte, was mangels eines letzten Pferdes jedoch
scheitern musste) darin.
Am Ende überlebt
dann einer. Der große Film, den man so gerne doch in einem Kino gesehen hätte,
ist aus.
Thomas Groh
Diese Kritik ist zuerst erschienen im:
Zu diesem Film
gibt’s im archiv mehrere Texte
Gerry
(USA 2002)
Regie: Gus Van Sant
Darsteller: Casey Affleck, Matt Damon
Drehbuch: Casey Affleck, Matt Damon, Gus Van Sant
Kamera: Harris Savides
Produzent: Dany Wolf
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