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Frozen Angels
Reproduktionstechnologie
als Big Business
Blond, blauäugig, hellhäutig, ein ebenmäßiges Gesicht
- so stellen sich viele Menschen Engel vor. Und auch die Zukunft der
"herrschenden Klasse" hat wohl solch ein Gesicht. In der weltweit
größten Agentur für Reproduktionsdienstleistungen in Los Angeles jedenfalls
nimmt der Typ "All American Surfer Girl" bei der Vermittlung von
Eispenden eindeutig die Spitzenstellung ein. Geliefert wird in alle Welt. Doch
der einschlägige Markt gedeiht unter der südkalifornischen Sonne dank liberaler
Gesetze und Perfektionssucht so wie wohl nirgendwo sonst. "Es ist hier
leichter, eine Samenbank aufzumachen als eine Pizzeria", sagt Bill Handel,
Inhaber der Agentur, die neben schockgefrosteten Spermien und Eiern auch gleich
die Leihmütter anbietet, um die Ware auszutragen - alles selbstverständlich
klinisch sauber, geprüft, gesund und nach Intelligenz, Hautfarbe und anderen
erblichen Qualitäten fein sortiert und katalogisiert. Schließlich will man
wissen, in was man investiert.
Frauke Sandig und Eric Black, die uns in ihrem
zweiten gemeinsamen Film (nach Nach dem Fall, 1999) in die Welt der
Reproduktionstechnologie entführen, lassen keinen Zweifel daran, wie sie zu
ihrem Stoff stehen. Dafür sorgt nicht nur die klar positionierte
Kommentarstimme, die uns nebenbei mit nützlichen Zahlen versorgt. Frozen
Angels ist auch ästhetisch konsequent als Science-Fiction-Trip in eine
unterkühlte Gegenwart inszeniert, in der das Knattern der Helikopter den Ton
angibt und das Leben in Labors und auf Supermarktparkplätzen stattfindet. Neben
dem zwielichtig-jovialen Bill Handel lernen wir dabei auch die Anwältin und
Autorin Lori Andrews ("The Clone Age") kennen, die engagiert gegen
den reproduktiven Machbarkeitswahn streitet.
Im eigentlichen Zentrum des Films stehen die
Personen, die auf verschiedenen Ebenen ins Geschäft involviert sind. Da sind
die zuckersüßen Telefondamen in der Agentur. Da ist das kinderlose
Akademikerpaar, das auf die "Auftragsausführung" wartet und sich
während der Geburt mit einem großen Blumenstrauß im Klinikflur herumdrückt. Da
ist die Frau, für die die Blumen bestimmt sind, weil sie für 15.000 Dollar
Babys für andere austrägt. Als Motiv nennt die Soldatengattin, die selbst einen
kleinen Sohn hat, Hilfsbereitschaft. Und auch die blonde Super-Ei-Spenderin
gibt sich ganz als Philanthropin, verdient dabei aber nicht schlecht. Denn die
Honorare sind nach dem Marktwert gestaffelt. Und alle wollen eben das gleiche
Erfolgsmodell. Wenn die Entzifferung der genetischen Codes noch etwas weiter
fortgeschritten ist, wird man auch vom genetisch optimierten Nachwuchs wohl
jährlich neue Versionen auf den Markt bringen wie bei der Computersoftware
jetzt schon. Nur: Wer hat überhaupt das Geld, solche Aufrüstung zu bezahlen?
Und was geschieht mit dem Rest?
Die Filmemacher führen ihre Protagonisten nicht vor,
haben die einzelnen Positionen aber so typgerecht und berechenbar besetzt, dass
wirkliche Begegnungen nicht zu Stande kommen. Stattdessen wirkt Frozen
Angels wie eine Geisterbahnfahrt in eine unheimliche Zukunft, die auch uns
konkret bedroht. In Kalifornien hat sie längst begonnen: Eine kalte neue Welt,
die zeigt, dass das idealistische Bild einer am biotechnologischen Fortschritt
genesenden Gesellschaft von der Praxis längst überholt ist. Doch ihre
Profiteure scheinen nicht bereit, sich von irgendwelchen Bedenkenträgern
aufhalten zu lassen. So ist es im Film ironischerweise ein ehemaliges
"Elite-Zucht-Geschöpf" selbst, welches das lebendige Gegenbild zu den
genetischen Optimierungsideen liefert: Der Junge wurde einst als eines der
ersten Retortenbabys gezeugt - aus einer nur mit Nobelpreisträger-Sperma
bestückten Samenbank. Und es hat geklappt: Der mittlerweile Erwachsene ist
besonders intelligent geraten. Vielleicht hat er deswegen den Karrierepfad bald
verlassen und lebt zwischen Katzen und Hippiedeckchen in der einzigen wirklich
gemütlichen Wohnhöhle des Films.
Silvia Hallensleben
Der Dokumentarfilm von Frauke Sandig und Eric Black
stellt kritisch die moderne Reproduktionstechnologie vor, die sich, mit
Schwerpunkt Kalifornien, längst zu einem gigantischen globalen Geschäft entwickelt
hat.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film
Frozen
Angels
Deutschland/USA
2005. R, B, P: Frauke Sandig, Eric Black. K: Eric Black. Sch: Silke Botsch. M:
Zoe Keating, Thomas Mävers, Tony Cross, Seefeel, Jörg Seibold, Johannes
Koeniger. T: Matz
Müller, Eric Mischijew. Pg: Umbrella/ZDF "Das kleine
Fernsehspiel"/TVS/France 2/YLE. V: Piffl Medien. L: 90 Min. Mit: Bill
Handel, Lori Andrews, Cappy Rothman, Kari Ciechoski, Lyne MackinFife, Kim
Brewer, Amy und Steve Jurewicz u.a
DVD
ab
07.07.2006 im Handel
Label:
Piffl
technische
Angaben:
Tonformat:
Dolby Digital 2.0
Bildformat:
16:9
Sprachen:
Englisch
Untertitel:
Deutsch, Französisch, Spanisch
Version:
PAL, Farbe
Extras:
Zusätzliches Interviewmaterial (60 min) (OF)
Ausführliches
Booklet, Trailer
Ländercode: 2
Vertrieb:
Indigo
Best.Nr.:
78878
EAN
4015698788785
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