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Elephant
Zunächst,
wie man diesem hochkonzentrierten Film nach allen Regeln der Kunst Gewalt antut,
eindrucksvoll zu lesen in der BZ: "Die Story: Ein ganz normaler Tag in
einer amerikanischen Highschool. John (John Robinson) wird von seinem Alkoholiker-Vater
(Timothy Bottoms) zur Schule begleitet, im Flur halten Nathan (Nathan Tyson)
und Carrie (Carrie Finklea) Händchen, drei Freundinnen gehen zur Kantine,
eine Schulklasse diskutiert über Toleranz. Zu Hause packen derweil die
Schüler Alex (Alex Frost) und Eric (Eric Deulen) Sturmgewehre in ihre Sporttaschen
und machen sich auf den Weg zu ihrer verhassten Schule. Ein bis ins Detail geplanter
Amoklauf nimmt seinen Anfang."
Hier
scheitert die Form des Textes schon an der Form des Films, ja ganz grundlegende
Inkompatibilitäten tun sich auf. Elephant
hat keine "Story", auf Linearität kann man allenfalls innerhalb
einer Einstellung vertrauen, eine über den Schnitt hinaus verfolgte ist
oft schon ein Entgegenkommen. Er verweigert sich geradezu dem Kausalen, ersetzt
diese Lücke durch ein Netz, in dem sich alles abspielt, in dem alles miteinander
verbunden ist - mehrfach sehen wir Kreuzungspunkte aus unterschiedlichen Perspektiven,
ohne dass dies nur ein Gimmick wäre -, aus dem heraus - und wir befinden
uns ja in ihm - das Ganze nicht zu erklären ist.
Ein
Film über das Wieder-Sehen-können. Über das Lernen des Sehens,
des Beobachtens. Aber auch: über das Sich-Bewusstwerden dieses Lernens
und Sehens. Minutenlang schwebt die Kamera durch diese Welt (es gibt ein Drinnen,
ein Draußen, das Draußen ist grell, ausgeblichen hell, unwirklich,
das Drinnen oft schon hyperbolisch farbsatt), durch Schulgänge, über
Gesichter, Kleidungsstücke, Körper. Der Blick schärft sich für
Texturen auf dem Textil, Falten in der Kleidung, man sieht beinahe schon die
Mitesser dieser (unzähligen) Menschen. Solche streifen wir, fokussieren
wir, manche bekommen wir nie im Schärfebereich zu Gesicht. Alles ein Teil
des Ganzen, jedes Detail wie ein Fraktal, in das sich die Vertiefung lohnen
würde, Versenkungen allenthalben, nie aber konzeptloses Hinein-Stürzen,
in diese Welt voller Abläufe und Strukturen, die zu Beginn noch ein Chaos
sind, sich aber mit der Einübung durch Wiederholung zunehmend erschließen.
Und
wir lernen: Wie das alles nur ein "Außen" ist. Nicht aber: Was
da für ein "Innen" ist. "Man sieht einem Menschen nicht
an, ob er schwul ist", heißt es zu Beginn mal in einer Klassenrunde,
"auch rosa Haare heißen noch nicht, dass der schwul ist". Man
kann nicht hineinsehen, in diese Menschen (die Täter erkennen wir lange
nicht als solche). Obwohl wir es doch wollen, obwohl wir uns danach sehnen,
obwohl wir uns von der Kamera wünschen, mehr an Informationen zu bekommen,
mehr zu erfahren: Mehr als Annäherung findet nicht statt, die Kamera weiß
das. Wir wiederum wissen - was einen ungeheuren Suspense ergibt, was sich mit
der trügerisch entspannten Banalität der gezeigten Ereignisse und
Alltagswidrigkeiten, mit der bewussten Antidramaturgie aufs heftigste beißt
(im positiven Sinne) - dass ein Schulmassaker stattfinden wird. Hier und heute.
Oder besser: In diesem Film.
Denn
Elephant
bleibt Film, und nicht Erklärungs-, Rationalisierungs- oder Politversuch:
Am Ende des Abspanns der obligatorische Absatz mit dem fictional
und den zufälligen Ähnlichkeiten zu Personen, living
or dead.
Auch auf ästhetischer Ebene will Elephant
nichts anderes als Film sein, der über sich selbst nachdenkt. Eine Filmmeditation,
wie mit dem Einbruch des Schrecklichen in die Banalität des Alltags filmisch
umzugehen wäre. Und damit ist - noch nicht mal paradox eigentlich - schon
sehr viel über die Realität gesagt (eine Person wird auffällig,
aber nicht penetrant als Echo des Fotografs aus Blowup
gekennzeichnet).
Überhaupt
das Paradoxe. Ein Film, der oft schon hypnotisch langsam ist, aber Herzrasen
verursacht. Ein Film, der bisweilen sein Heil im Kosmischen sucht, dabei aber
auf dem Boden bleibt, nachgerade einen erstaunlich schlüssigen Kommentar
zum State of the Art der Realität darstellt. „Für Elise“ und ein Egoshooter
im gleichen Nerd-Kulturuniversum. Sehen und nicht sehen als deckungsgleicher
Akt.
Ein
in jeder Hinsicht eleganter, großer, aufregender Film. Noch viel wäre
zu schreiben, sehr viel.
P.S.:
The
Shining
(weil ich es wichtig finde, den Film hier noch zu erwähnen, weil der mir
immer wieder im Kopf rumspukte, während der Sichtung, ohne dass ich da
über bloß vage Äußerungen hinauskäme, aber ich meine,
dass Gus van Sant seinen Film durchaus in einem korrespondieren Verhältnis
zu Kubricks Film sieht.)
Thomas
Groh
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der Filmzentrale mehrere Texte
Elephant
USA
2003 - Regie: Gus van Sant - Darsteller: Alex Frost, Eric Deulen, John Robinson,
Elias McConnell, Jordan Taylor, Carrie Finklea, Nicole George, Brittany Mountain,
Alicia Miles, Kristen Hicks, Bennie Dixon, Nathan Tyson - FSK: ab 12 - Länge:
81 min. - Start: 8.4.2004
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