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Bruno
Ganz - Behind me
Nicht
Ganz
Was
ist Schauspielerei, wenn nicht Wandlung, steter Fluß, Täuschung und
schließlich Un(be)greiflichkeit? Wie erklärt man einen Menschen,
der viele Menschen ist und nicht er selbst, wie beschreibt man ein Chamäleon?
Wie porträtiert man den bedeutendsten deutschen Bühnendarsteller,
den Träger des Ifflandrings, der in seinen Rollen so präsent ist und
privat so unnahbar? Ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt ist, ein sinnloses
Unterfangen, das aber dennoch unterhaltsam sein könnte.
Regisseur
Wiedmer hat gar nicht erst versucht, das Phänomen Bruno Ganz zu entschlüsseln.
Das ist weise, aber auch langweilig. Denn statt eines Abrisses der bisherigen
Rollen (wie unvollständig auch immer), wirft Wiedmer nur ein Schlaglicht
auf die aktuellen Projekte des faszinierenden Künstlers. Schnell stellt
sich diese Sichtverengung als fataler Fehler heraus in dieser Dokumentation,
weil sie im Versuch, den Wandlungskünstler Ganz in einer Momentaufnahme
festzuhalten, ihn seiner größten Stärke beraubt: der Vielseitigkeit
eben. Übrig bleibt ein kurzer Abriß, nur eine einzelne Facette des
Spätwerks Bruno Ganz: der Schmerzensmann nämlich, der faustisch Leidende,
der tragisch Unzufriedene. Bruno Ganz, der Komiker, kommt nicht zu Wort, ebensowenig
wie Bruno Ganz, der Hedonist, der Liebhaber, der jugendliche Held. In "Behind
me" scheint er körper- und humorlos, kein Wunder bei Wiedmers sturer
Konzentration auf den "Faust" und die Tätigkeit als Lesestimme.
Wiedmers
Vorlieben machen den Film trotz seiner kurzen Laufzeit langatmig. Die Lesungen
der erdigen Lyrik von T.S. Eliot sind noch faszinierend anzusehen, aber warum
bloß mag das verkorkste "Faust"-Großwerk des Gigantomanen
Peter Stein, ein Marathon aus 23 Stunden statischem Stadttheater, es dem Regisseur
so angetan haben? Auch ein italienisches Geräuschtheaterprojekt adelt er
mit unverdienter Screen Time, vermutlich, weil ein fehlbesetzter Bruno Ganz
hier deutsche Kochrezepte über skurrilen Installationen liest. Theater
abfilmen, das ging noch nie gut. Schlechtes Theater abfilmen, das hätte
Wiedmer sich sparen können.
Um
ein Vielfaches spannender sind dagegen die Momente, da Bruno Ganz die Kamera
selbst in die Hand nimmt und wir mit ihm die Anfänge des filmischen Erzählens
erforschen. Venedig. Eine Fähre. Ein Mädchen, das am Pier sitzt und
hinterherschaut. "Schon ist da eine Geschichte", murmelt Bruno, der
Kameramann. Überhaupt, das Wasser hat es ihm angetan. Die schwimmende Stadt
Venedig, aber auch die Spiegelungen an der Oberfläche, der unberechenbare
Lauf der Strömung, die Reise der heimatlosen Person Bruno Ganz. Aber der
Fluß ist für ihn auch Symbol für Alter, Wandel, Tod. Letztes
Jahr ging sein großer Kollege Ulrich Wildgruber ins Meer hinaus - ein
ebenso epischer wie altmodischer Selbstmord. Beinahe möchte man sich auch
um Bruno Ganz Sorgen machen, wenn man sieht, mit welch tiefem Interesse und
unergründlicher Traurigkeit er ins Wasser starrt und filmt.
Und
als wollte sich Ganz seinen Facettenreichtum von Wiedmer zurückholen, zeigt
er in den selbst gefilmten Einlagen auch den anderen Bruno Ganz, der mit seiner
Kamera italienische Kinder erschreckt, hübsche Frauen verfolgt oder alte
Damen nervt. Ein seltsames Gefühl, in einem Film zu sitzen und sich zu
wünschen, daß nicht der Regisseur die Bilder wählen würde,
sondern der Protagonist, das Objekt. Norbert Wiedmer jedenfalls ist daran gescheitert,
Bruno Ganz zu porträtieren. Bruno Ganz hätte es vielleicht geschafft.
Daniel
Bickermann
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Bruno
Ganz - Behind me
Behind
me. CH 2002. F/GB
2003. R,B,K: Norbert Wiedmer. K: Peter Guyer, Bruno Ganz. S: Stefan Kälin.
M: György Kurtágh. P: PS Film, Biograph Film. D: Bruno Ganz, Johann
Adam Oest, Robert Hunger-Bühler, u.a. 85 Min. Kool Filmdistribution ab
25.9.03
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