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Bright
Leaves
Für seine satirische Tagebuchdoku „Bright
Leaves“ begab sich Filmemacher Scott McElwee nach North Carolina, ins Land seiner
tabakpflanzenden Vorväter.
„Wenn das Wörtchen ‚wenn’ nicht wär, wär
mein Vater Millionär.“ Im Fall von Ross McElwee trifft dieses Großmuttersprichwort
tatsächlich zu. Denn wie der Kameramann und Regisseur recherchierte, verhinderte
ehedem nur die Intrige eines Konkurrenten, dass sein Urgroßvater, damals
wohlhabender Tabakpflanzer in North Carolina, zum Milliardär aufstieg.
Ein Cousin des Filmemachers behauptet sogar, das tragische Scheitern des Vorfahren
habe als Vorlage für den Michael Curtiz-Tabakpflanzer-Epos „Bright Leaf“
(1950) gedient. Gary Cooper in der Rolle von McElwee Senior? Der Regisseur nimmt
die Kamera und macht sich auf den Weg in seinen Geburtsort.
Aus dieser „Forschungsreise“ ist mehr entstanden,
als ein filmischer Stammbaum-Report: Unterwegs zieht McElwee den Fokus weiter,
fragt nach der rise-and-fall-Geschichte des Tabakanbaus an sich, sucht nach
den ökonomischen Veränderungen, nach der Einstellung der Südstaaten-Bevölkerung
zum Tabak, dessen Image vom prosperierenden Exportprodukt, dem Stolz der Farmer,
zum politisch unkorrekten Schandkraut gesunken ist. Was er findet, ist eine
Art Dinosaurierstaat, in dem die letzten ihrer Art versuchen, die Stellung zu
halten, eine Tabacco-Queen küren, mit zugehörigem Festakt und Umzug.
Doch, wie man hört, wird der Festtag schon im kommenden Jahr umbenannt
werden und fortan unverfänglich „Farmers Harvest Day“ heißen. Die
Tabak-Königin lächelt verschämt: „Es liegt wohl an den Veränderungen
der Dings, na, wie heißt das noch, der Economy.“
„Bright Leaves“ ist das, was man im angloamerikanischen
Raum eine diary-documentary nennt, ein Genre, das derzeit durch kommerziell
erfolgreiche Vertreter wie Morgan Spurlocks McDonalds-Selbstexperiment „Supersize
Me“ im Kino prominent vertreten ist. McElwees Ansatz erinnert allerdings weniger
an die provokant-investigative Zugangsweise eines Spurlock oder Michael Moore,
er geht subtiler vor, sucht die zufälligen Inspirationen am Rand, setzt
sich einfach mal zu einer Gruppe rauchender Lehrlingsmädchen die sich in
der Mittagspause sonnen und wartet ab, was ihm die zu erzählen haben. Insofern
ist er eher ein stiller Jäger und Sammler, ähnlich Agnès Varda
in ihren neueren Dokumentarfilmen oder ähnlich auch den Arbeiten des Kanada-Schweizers
Peter Mettler, der in „Gambling, Gods and LSD“ ebenfalls die persönlichen
Erfahrungen einer Reise mit einer Reflektion über das Prinzip des Rausches
und der Abhängigkeit verbunden hat.
Und natürlich, insofern ähnelt wiederum
„Bright Leaves“ der ebenfalls grundsympathischen, im Viennaleprogramm gezeigten
Dokumentation „Jahrmark Europa“, ist „Bright Leaves“ auch eine Reflektion über
das Filmemachen selbst. Das Drehen ist für Regisseur und Kameramann McElwee
eine Sucht, wie für andere der Zug an der Tschick: „Wenn ich durch den
Sucher blicke, scheint die Zeit still zu stehen“, sagt er aus dem Off und zeigt
uns dabei die zeitvergessene Südstaatenlandschaft und das Wogen der hellgrünen,
ledrigen Blätter.
Maya McKechneay
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Falter / Viennale Special ‘05
Bright
Leaves
USA/GB 2003
Regie: Ross
McElwee
Drehbuch:
Ross McElwee
mit:
Allan Gurganus, Paula Larke, Ross McElwee, Patricia Neal, Vlada Petric, Charleen
Swansea u.a.
Länge:
107 min
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