zur startseite
zum archiv
zu den essays
In
Kains Welt
Verlorene
Unschuld, gespaltene Helden: Zum 100. Geburtstag des Filmregisseurs Elia Kazan
(1909-2003)
Elia
Kazans Opus Magnum „Die Unbezwingbaren" (1963) beginnt in der Berglandschaft
Anatoliens. Ende des 19. Jahrhunderts lebt hier die Familie Topouzoglou, von
den türkischen Machthabern drangsalierte Griechen. Der junge Stavros ekelt
sich vor der Unterwürfigkeit seines Vaters, der den rebellischen Sohn mit
einem Kniefall beim Gouverneur vor dem Gefängnis bewahrt hat. Bei der Rückkehr
ins Dorf reißt sich Stavros vom Vater los. Schnurstracks rennt er durch
eine Gasse und hechtet dann mit einer Kraft, die keine Grenzen kennt, die steile
Felskante hinter dem Dorf hoch. Es ist, als wollte der Junge vor Wut über
den Horizont springen. Er will nach Amerika, in ein neues, besseres Leben, auch
wenn für seinen Traum stehlen, betrügen und morden muss.
Wie
fast alle Filme nach dem „Sündenfall" - Kazans Zusammenarbeit mit
den Kommunistenjägern in Hollywood - ist „America America" (Originaltitel)
ein Reflex auf den Verrat und seine Folgen. Erst 1999, vier Jahre vor dem Tod
des Regisseurs, rang sich Hollywood zu einem Ehren-Oscar für Kazan durch.
Viele im Auditorium verschränkten die Arme, und der Regisseur nahm die
restlichen Ovationen mit einem sibyllinischen Lächeln entgegen. „The Anatolian
Smile", so sollte „America America" ursprünglich heißen,
ist der Ausdruck für ein Grinsen, hinter dem sich ganz andere Absichten
und Gefühle verbergen.
Elia
Kazan wurde am 7. September 1909 in Konstantinopel (Istanbul) geboren. „Die
Unbezwingbaren" ist auch insofern ein autobiographischer Film, als hier
eine Art Gründungsmythos der Familie Kazanjoglous erzählt wird, die
sich nach der Übersiedelung von Konstantinopel nach New York - da war Elia
vier Jahre alt - nunmehr „Kazan" schrieb. Der Vater wollte einen Teppichhändler
aus ihm machen, doch der Sohn träumte von einer Karriere als Theaterregisseur.
1932 schloss er sich dem New Yorker „Group Theatre" an, arbeitete zunächst
als Schauspieler und reüssierte in kleinen Rollen in Hollywood. Als Darsteller
hielt Kazan keine großen Stücke auf sich, aber für die spätere
Arbeit mit Schauspielern und für die Übertragung des „Method Acting"
von der Theaterbühne aufs Filmset erwies sich die Rollen-Selbsterfahrung
als unschätzbare Grundlage.
„Endstation
Sehnsucht"
(1951) ist in Kazans Filmographie das Scharnierstück zwischen Theater und
Kino (in dem Kazan mit „Ein Baum wächst in Brooklyn" 1943 debütiert
hatte). Der Regisseur hatte Tennessee Williams' Drama bereits am Broadway inszeniert,
und auch der Film wurde ein Riesenerfolg. Das Geschlechterduell zwischen Stanley
Kowalski und Blanche DuBois bezieht seine Glaubwürdigkeit auch aus der
bühnenhaften Enge der Raumsituation. Kazan zeigt schon hier sein Faible
für begrenzte Räume, steile Treppen, Korridore, Sackgassen, in die
hinein er seine Darsteller treibt und zur hitzigen Interaktion förmlich
zwingt. Zahllose Beispiele räumlicher Engführung finden sich in „Die
Faust im Nacken"
(„On the Waterfront", 1954). Die zart-bitterste Konfrontation gelingt Marlon
Brando und Rod Steiger auf dem Rücksitz eines Taxis, wenn Terry Malloy
(Brando) mit entwaffnender Geste des Fingers den auf ihn gerichteten Revolver
seines Bruders Charley zur Seite schiebt - und damit ungewollt ein Todesurteil
fällt. Wer ist hier eigentlich Kain, wer Abel?
Der
Regisseur und sein Autor Budd Schulberg - der diesen August im Alter von 95
Jahren starb - schrieben das „Faust im Nacken"-Drehbuch unter dem Eindruck
ihrer Aussagen vor dem Senatsausschuss für Unamerikanische Umtriebe. Zwischen
1934 und 1936 war Kazan Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen, schied
aber aus, weil er sich an der Einmischung der Organisation ins „Group Theatre"
störte und überhaupt - so jedenfalls rechtfertigte er sich später
- die Unterwanderung des Film- und Theatergeschäfts durch den Stalinismus
konstatierte. Am 10. April 1952 nennt er Namen, davon sind die meisten den Behörden
allerdings schon bekannt. Als „Kronzeuge" kann Kazan seinen Namen aus den
Schwarzen Listen heraushalten, er darf weiterdrehen, während Freunde und
Kollegen de facto mit Berufsverbot belegt sind.
Kazan
wird von Schuldgefühlen geplagt. Und tritt die Flucht nach vorn an, dreht
„Ein Mann auf dem Drahtseil" (1952), fernab von Hollywood, in München,
einen plump antikommunistischen Rechtfertigungsfilm aus dem Zirkusmilieu. Männer
auf dem Drahtseil, Figuren auf der Grenze zwischen Loyalität und Verrat,
zwischen Anpassung und Revolte, dominieren fortan Kazans Filmarbeit, die schnell
zur alten Form zurückfindet. Ketzerischer Gedanke: Womöglich beflügelte
die Zerreißprobe sein Talent sogar, vielleicht gelang Kazan umso mehr,
was seine besten Darsteller schafften - die inneren Spannungen so nach außen
zu transportieren, dass allgemeingültige, packende Aussagen entstanden.
„Die Faust im Nacken" ist beides: Entlastungsvehikel und Meisterwerk, mit
einem schillernden Marlon Brando im Zentrum, dessen wendiges Improvisationsgenie
über die Rechtfertigungselemente im Plot geradezu hakenschlagend triumphiert.
Es ist die erste gelungene Engführung der Verräter- mit der Märtyrerfigur
in einem Kazan-Film. Terry sagt vor Gericht gegen einen korrupten Gewerkschaftsboss
aus, und er lässt sich am Ende von dessen Schergen zusammenschlagen, ein
Fanal für die New Yorker Hafenarbeiter, dass fortan jedermann ohne Repressionen
der ausbeuterischen Gewerkschaftsbosse arbeiten darf.
Einiges
spricht dafür, dass Kazan tatsächlich ein Überzeugungstäter
war, weniger ein Wendehals und schon gar kein zum Reaktionär gewendeter
Ex-Linker. „Ein Gesicht in der Menge" (1957) war eine weitere Kooperation
der „Umfaller" Budd Schulberg und Elia Kazan. Der Film ist eine bittere
Satire auf die Macht des Fernsehens und schildert den Aufstieg des Gelegenheitsdiebs
und Wandersängers Lonesome Rhodes, der von einer Journalistin zum Star
aufgebaut wird. Die Rundfunkreporterin muss dann aber tatenlos vor dem Fernsehschirm
erleben, wie ihr „Geschöpf" sich von rechtsgerichteten Politikern
als Werbefigur benutzen lässt.
Ebenso
erzählt auch „Jenseits
von Eden"
(1955) von der verlorenen Unschuld. John Steinbecks Kain-und-Abel-Geschichte
spielt im kalifornischen Salinas des Jahres 1917. James Dean als Cal Trask verkörpert
eine moderne, sehr Kazan-spezifische Variante des biblischen Ursünders.
Wie bei Terry Malloy oder Stavros in „America America" sind Cals Umtriebigkeiten
Reaktionen auf seine kaum erträgliche Lage, die aus der unerwiderten Liebe
zu seinem Vater - der den Bruder Aron vorzieht - und dem monströsen Bild
seiner Mutter - die in einer anderen Stadt ein Bordell betreibt - resultiert.
Wie Kazan ist Cal Außenseiter und „echter Amerikaner" zugleich, indem
er mit unternehmerischem Geschick Geld vermehrt, das ihm die Mutter gegeben
hat - die Summe will er dem Vater schenken, der das Geldscheinbündel dann
brüsk zurückweist. Die Familientragödie geht in die nächste
Runde. Cal, bereit zum (symbolischen) Brudermord, ist in James Deans unvergleichlicher
Darstellung ein gekränktes Kind, das kaum weiß, was es tut.
In
welcher sozialen Sphäre Kazans Figuren auch angesiedelt sind, immer spielt
ihre wirtschaftliche Situation, ihr (Über-)Lebenskampf im Kapitalismus
eine wichtige Rolle. Doch bei „Fieber im Blut" (1961) tritt der politische
Rahmen, hier die Zeit vor und nach dem Schwarzen Freitag, doch eher in den Hintergrund.
„Splendor in the Grass", benannt nach einem Gedicht William Wordsworths,
ist die unglückliche Liebesgeschichte zwischen Deanie und Bud - wundervoll
gespielt von Natalie Wood und Kazans Entdeckung Warren Beatty - und der lyrische
Höhepunkt im Werk des Regisseurs, der zuvor schon mit „Wilder Strom"
(1960) die überraschend kontemplative Story der Zähmung von Naturgewalten
und der Unbeugsamkeit einer alten Flussbewohnerin erzählt hatte. Die Liebe
von Deanie und Bud scheitert an der Kurzsichtigkeit und zwiespältigen Moral
ihrer Eltern. Trotzdem formuliert „Fieber im Blut" die Utopie von der Verschmelzung
sinnlicher und moralischer Liebe, die durch Kazans Werk hindurch als Kraft,
die konträre Lager verbindet, spürbar ist: Edie vermittelt Terry in
„Die Faust im Nacken" die Empathie zur „gegnerischen" Seite, in „Jenseits
von Eden" ist es die Nachbarstochter Abra, die den sterbenden Vater und
Cal am Ende zusammenführt. Figuriert schon Abra als Gegenbild zu den Prostituierten,
die für Cals Mutter anschaffen, verstärkt Kazan in „Fieber im Blut"
noch einmal das Thema einer sozial erwünschten Spaltung von Liebe und Erotik.
Bud, dem vorehelicher Sex mit Deanie untersagt ist, bekommt den väterlichen
Rat, zu Huren zu gehen, Deanie wird an der bürgerlichen Doppelmoral verrückt.
Kazans
Heroen tragen innerlich und äußerlich einen Kampf um den „richtigen"
Weg aus, der stets von moralischen Fragwürdigkeiten gesäumt ist. Kazans
eigene Biographie, seine männliche Perspektive, seine Enttäuschungen
und Egoismen sind so stark in die Szenarien eingeflochten, dass es kaum wundert,
wenn bei ihm Frauen (mit wenigen Ausnahmen) meist Randfiguren sind, manchmal
blass gezeichnet, häufig engelhaft rein. Sie müssen eher beschützt
werden als dass sie aktiv in die Handlung eingreifen dürfen. Während
ihr Mann, der Polizeiarzt Clinton Reed „Unter Geheimbefehl" (1950) eine
Gruppe pestkranker Gangster in New Orleans jagt, bleibt Nancy daheim am Herd,
Edie hat es aus dem Kloster in die erbarmungslose Kälte der „Waterfront"
verschlagen und Carol aus „Wilder Strom" ist einfach nur froh, wenn der
Wasserbauingenieur Chuck sie endlich aus dem öden Tal des Tennessee River
fortbringt.
Trotz
der Passivität seiner Frauengestalten bezog Kazan auch die Schauspielerinnen
in die Unbedingtheit seiner Regie ein, die gewaltiges darstellerisches Feuer
entfachen konnte (Die von der entfesselten Improvisation Brandos und Deans verursachten
Anschlussfehler sind allerdings Legion, weil Kazan seine Stars noch dazu ermunterte,
jeden Take anders zu spielen. Hitchcock dagegen hasste „Method Acting",
weil es sein Montageprinzip gefährdete). Ein paradoxes Beispiel, in dem
Spiel und Frauenrolle auseinanderklaffen, findet sich in „Die Unbezwingbaren".
Die Hauptrolle vertraute Kazan einem Laiendarsteller an, der zwar aktionistische,
aber kaum emotionale Höhepunkte gestalten konnte. Stavros (Stathis Giallelis)
verliebt sich während seiner Odyssee in eine Teppichgroßhändler-Tochter,
sein Traum von Amerika droht in wohlhabenden Bürgerkreisen in Konstantinopel
zu versanden. Um ins gelobte Land zu kommen, muss Stavros seine Liebe opfern.
Ein schmerzlich-schöner Abschied findet statt, eine Szene, die allein von
Linda Marsh in der Dulderinnen-Rolle getragen wird. Kazan kommentierte: „Der
Regisseur war schlau genug, die Last der Darstellung auf das Mädchen zu
legen und Stathis die dramaturgische Aufgabe zu geben, nichts zu enthüllen
(...) Sein Gesicht wurde zur Maske."
„Die
Unbezwingbaren" ist ein schonungsloses Epos über den Preis der Emigration
und zugleich das Musterbeispiel für Kazans eigentümliche „Theologie".
Sein Held wird für sein Ideal zum Verbrecher, weil er davon überzeugt
ist, dass er in Amerika „reingewaschen" wird. „Und das Umgreifende, die
große allgegenwärtige Aufgabe", schreibt Gilles Deleuze, „heiligt
alles oder entschuldigt zumindest, was der Held hier und dort hat tun müssen.
Wenn auch nach außen hin entehrt, so hat er doch seine innere Ehre, die
Reinheit seines Herzens und die Zukunft seiner Familie gerettet. Zwar findet
er keinen Frieden, denn wir befinden uns hier in Kains Welt, und das Kainszeichen
lässt keinen Frieden zu; es lässt in einer hysterischen Neurose Unschuld
und Schuldhaftigkeit, Schande und Ehre zusammenfallen: was in dieser oder jener
lokalen Situation ein niederträchtiges Verhalten ist und bleibt, ist zugleich
der von der übergreifenden globalen Situation geforderte Heroismus, der
zu zahlende Preis."
Nach
den „Unbezwingbaren" wurden die Abstände zwischen den Filmen größer,
weil Kazan sich zunehmend auf die Schriftstellerei verlegte. „Das Arrangement"
(1969) ist die Verfilmung seines eigenen Romans und zugleich eine Art Fortsetzung
des Vorgängerfilms, weil er sich der zweiten türkisch-griechischen
Auswanderergeneration in den USA widmet. Kazan wagt diesmal formale Experimente
(Flashbacks, optische Effekte), die in seinem Werk einmalig sind. Dennoch ist
die Tragikomödie über die Identitätskrise eines Werbefachmanns
ein mit Stars (Kirk Douglas, Deborah Kerr, Faye Dunaway) besetzter Hollywoodfilm,
dessen luxuriöser Aufwand das Thema der frustrierten Maskulinität
am Ende erstickt. „Die Besucher" (1971), mit kleinem Budget auf Kazans
Grundstück in Connecticut gedreht, bedeutet seine Rückkehr zur drängenden
zeitgeschichtlichen Problematik: Hier ist es die Vietnamkrieg, der die männlichen
Protagonisten korrumpiert hat.
Kazans
nostalgischer Abschiedsfilm, „Der letzte Tycoon" (1976) nach dem Romantorso
von F. Scott Fitzgerald, lässt sich im 30er-Jahre-Hollywood treiben und
mündet in einer vielsagenden Episode, in der ein verträumter, nur
sehr gelegentlich aufbrausender Kino-Tycoon Monroe Stahr (Robert de Niro) von
einem unsympathischen Autoren-Gewerkschafter und Kommunisten (Jack Nicholson)
niedergeschlagen wird. „Wehret den Anfängen!", sagt, oder besser:
flüstert die Szene. Weil Stahr - lange vor der McCarthy-Hexenjagd, mitten
im New Deal - keine Kommunisten mag und es an Verhandlungsgeschick mit den linken
Drehbuchautoren vermissen lässt, wird der Produzent kurz darauf entmachtet.
Noch einmal stilisiert Elia Kazan seinen (aufrechten) Protagonisten zum Opfer.
Am Schluss läuft Stahr einsam über das Studiogelände. Die Gasse
in der Filmstadt läuft zentralperspektivisch auf die Hügelkette mit
dem Hollywood-Schriftzug zu, ein Bild, das nicht wenig an den Jungen erinnert,
der in „Die Unbezwingbaren" über einen Felsen in den Himmel zu rennen
schien. Doch Stahr, der Melancholiker, biegt ab, marschiert in eine offenstehende
Studiotür und wird von der Dunkelheit verschluckt. Was für ein Abgang!
Jens
Hinrichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Film-Dienst
Über
Elia Kazan gibt es in der filmzentrale ebenso diesen
Text
zur startseite
zum archiv
zu den essays