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Ein
kritischer Anhänger des American Dream
Zum Tod des Regisseurs
Elia Kazan
Elia Kazan, am 7.9.1909 in Istanbul geboren, hat
sich wie kein zweiter mit der "Modernisierung" Amerikas auseinander
gesetzt. Seine Filme beschreiben, wie aus archaischen Einwanderer-Kulturen und
Pioniergesellschaften der anarchische Kapitalismus und daraus der New Deal wurde. Elia
Kazan starb am 28. September 2003.
Elia Kazan gibt es in der Filmgeschichte mindestens
zweimal. Es gibt den grandiosen Künstler, der ein Kapitel in der Geschichte
der Modernisierung des Mediums geschrieben hat, der eine hitzige Nähe,
immer am Rand zur Hysterie, zwischen Leinwand-Person und Zuschauer erzeugte,
wie es sie vorher nicht gab. Und es gibt den Verräter, den Mann, der vor
dem "Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten" zu Zeiten
der antikommunistischen Hexenjagd in Hollywood etwas Unverzeihliches getan hat:
Er hat Namen genannt. Es war nicht nur eine Geste der Unterwerfung, es war ein
Verrat mit Konsequenzen. Das Schlimmste ist: Man kann den einen Elia Kazan nicht
vom anderen trennen. Denn Elia Kazan hat nicht nur selbst sein Verhalten sehr
unterschiedlich kommentiert - auch seine Filme wurden zu Widerspiegelungen,
ihre Sujets haben vom Verrat und seinen Umständen auch in seinen Filmen
danach sprechen wollen. Nicht so sehr um die persönliche Verfehlung ist
das Leben und die Arbeit dieses Künstlers zentriert, sondern um Verrat
und Selbstverrat als Symptom der Modernisierung.
Kazan beschrieb die negative Dialektik des Fortschritts.
Er hat auch immer den Verlust beschrieben, den das bedeutet: die Bändigung
des Tennessee River in Wilder Strom (Wild
River, 1960) ist durchaus ein Bild
solcher Modernisierung und Zivilisierung. Viva
Zapata! (1952) ist die Illustration
einer zentralen These Kazans: "Die Macht zerstört den, der sie ausübt."
Und Die Unbezwingbaren (America,
America, 1963), dieser wundervolle,
traurige und böse Non-Star-Film über den Traum und das Verbrechen
als Bewegungsmomente in der Immigration, ist ein Meisterwerk zärtlicher
Grausamkeit.
Biographischer
Fluch
Elia Kazan hat dieses Amerika in seiner Biographie
gespeichert; seine armenische Familie emigrierte 1913 aus Istanbul in die USA,
und aus Kazanjoglou wurde Kazan. 1932 begann er als Inspizient bei Lee Strasbergs
"Group Theatre", arbeitete bei verschiedenen freien Gruppen und betätigte
sich zwischen 1934 und 1936 als Mitglied der kommunistischen Partei, für
die er auch seinen ersten, kurzen Film drehte: Pie
in the Sky. Dokumentarische Arbeiten
folgten, dazu Auftritte als Schauspieler. Das Theater brachte ihm ersten Ruhm.
Neben seiner Filmarbeit inszenierte er auch später immer wieder auf der
Bühne; Kazan war ein Schauspieler-Regisseur, der ungeheure Energien am
Set freisetzen konnte.
1948 gehörte Elia Kazan zu den Gründern
des Actor's Studio. Alle seine Filme bis dahin waren cineastische Dokumentationen
theatralischer Installationen. Erst mit seinem Thriller Unter
Geheimbefehl (Panic
in the Streets, 1950) begann seine
eigentliche Film-Arbeit. Endstation
Sehnsucht (A
Streetcar Named Desire) nach dem
Drama von Tennessee Williams, das er schon auf der Bühne inszeniert hatte,
wurde 1951 sein erster großer Erfolg.
Nach seiner Aussage vor dem "Ausschuss für
unamerikanische Aktivitäten" 1952 wurde Die
Faust im Nacken (On the
Waterfront, 1954) als "Bulletin"
seiner Einstellung gewertet: eine verschlungene Rechtfertigung des Verrats zugunsten
der Allgemeinheit. Aber dies ging viel tiefer, es bedurfte dieser Lebenskrise
gar nicht. Kazan empfand das Leben in den USA als unglückliches Ineinander
von Paradies und Hölle, in dem kein Mensch sich selbst treu bleiben konnte.
Der Süden bleibt in Jenseits
von Eden (East
of Eden, 1955) Bezugspunkt, und vielleicht
eine Suche nach dem filmischen Äquivalent des "großen amerikanischen
Romans", der offensichtlicht nie ohne die biblische Dimension, das Kain-und-Abel-Drama,
auskommt, in dem James Dean der schönste aller Verlierer wurde. Kazan ist
ein Meister darin, aus biblischen Gleichnissen psychologische Geschichten werden
zu lassen und daraus politische Parabeln.
Ineinander von
Paradies und Hölle
Kazan hat hat immer an den amerikanischen Traum geglaubt,
wenn nicht in der Form der idyllischen Heimat, so in der Konstruktion des "Außenseiters"
- Kazans Lieblingswort für sich selbst - der nur hier solche Chancen hat.
"Ich fühle mich amerikanisch. Amerikanisch ist griechisch, jüdisch,
italienisch, irisch - das ist das Wunderbare an Amerika." Aber auch diese
Worte sind Masken, seine Filme zeigen immer auch die andere Seite, den oft wahrhaft
ungeheuerlichen Preis, den auch der Außenseiter für die amerikanische
Modernisierung bezahlen muss.
Der Verrat ist kein persönlicher Fall, er ist
das Wesen und die Geschichte von Amerika selbst: das war die Aussagen von Die Unbezwingbaren.
Radikaler war Kazans Kritik vorher nie, und nur einmal noch nahm er seine Kraft
für eine ähnlich wuchtige Geste zusammen. 1972 drehte er nach einem
Drehbuch seines Sohnes den harten und kontroversen Film Die
Besucher (The
Visitors, 1971), den er 1971 auf
seinem eigenen Besitz in Connecticut realisierte. Es ist einer der ganz wenigen
Filme dieser Zeit, die sich - noch während des Krieges - mit Vietnam befassen:
Zwei Veteranen besuchen ihren Kriegskameraden und dessen Frau und ihren Vater,
eine böse Karikatur der Rechten, einer, der am liebsten Kommunistenblut
wie Whisky söffe. Sie haben in Vietnam eine Frau vergewaltigt und ermordet,
und der Alte hasst seinen Schwiegersohn dafür, dass er sie angezeigt hat.
Die Gewalt eskaliert wieder, und wieder wird vergewaltigt und getötet.
Dieser Film war gewiss so mutig wie hellseherisch; er beschrieb, wie die amerikanische
Gesellschaft sich durch den Krieg verändern würde. Aber zugleich war
er erneut ein Versuch, den Verräter als Opfer darzustellen, eine Rückkehr
zu Kazans biographischem Fluch.
Alles in Kazans Filmen ist überlebensgroß;
Lakonie ist seine Sache nie gewesen. Auch seine Arbeit selbst bewegte sich beständig
zwischen Anpassung und Revolte; er selbst gehört zu jenen an sich selbst
ebenso wie an den Umständen scheiternden Rebellen, denen er die besten
seiner Filme gewidmet hatte und die so glänzend lebten, weil sie beides
zugleich waren: ein intensiver autobiographischer Reflex und eine Transformation
des amerikanischen Archetyps.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film 11/2003
Über
Elia Kazan gibt es in der filmzentrale ebenso diesen
Text
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