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With
a Little Help from My Friends
Zum 110. Geburtstag von Alfred Hitchcock
korrigiert das Berliner Filmmuseum den Mythos, ohne ihn zu schmälern.
Ein Dutzend Messerhiebe saust in 45 Sekunden
Film auf den Frauenkörper nieder, aufgelöst in 70 Kameraeinstellungen.
Mit dem Bild von Marions Hand, die an den glatten Kacheln herabgleitet und sich
irgendwie noch in den Fugen festzukrallen versucht, erlahmt der Schnittrhythmus.
Die Sterbende greift zum Duschvorhang und reißt ihn mit einem Tack-tack-tack
von den Ringen. Sie stürzt über den Badewannenrand. Blut kreiselt
in den Ausguss - ein schwarzes Loch, in dem das weit geöffnete Auge der
Toten erscheint. Die Kamera entfernt sich in einer Schraubenfigur, dann schwenkt
sie weg von der Leiche, gleichsam resignierend.
Natürlich: die Duschszene. Hitchcocks
Meisterstück. Entworfen hat sie allerdings der Vorspanndesigner Saul Bass.
Von François Truffaut auf die nicht unerhebliche Mitarbeit von Bass für
„Psycho" angesprochen, erwähnt der
Regisseur nur dessen Skizzen für die zweite Mordszene - „und die habe ich
nicht verwenden können".
Wer den Filmbuchklassiker „Mr. Hitchcock,
wie haben Sie das gemacht" beim Wort nimmt, muss den Eindruck gewinnen,
seine 53 Spielfilme habe der Thrillerkönig praktisch im Alleingang aus
dem Hut gezaubert. In Hitchcocks Gänsehautmanufaktur scheinen Autoren,
Produktionsdesigner, Kameraleute und Schauspieler zu Erfüllungsgehilfen
einer unfehlbaren Vision zu schrumpfen, die vor dem ersten Take glasklar im
Kopf des Obermagiers verankert ist.
Hitchcock träumte davon, auf den
Gefühlen seines Publikums wie auf einer Orgel zu spielen. Der Regisseur
als Solist, der alle Register selbst zieht: eine Phantasie. Die verdrängte
Realität enthüllt eine fesselnde Ausstellung in der Berliner Kinemathek.
Das Selbstverständliche, hier wird’s Ereignis: Filme müssen entworfen,
gebaut, gedreht, vertont, geschnitten und umgeschnitten werden. Erstmals in
dieser Deutlichkeit würdigt die Schau anhand von Produktionszeichnungen,
Memos, Requisiten, Video-Interviews und Filmaussschnitten Bedeutung und Einfluss
von renommierten oder weithin unbekannten Kollaborateuren im „System Hitch".
Das
Gros der Exponate stammt von der
Hier beginnt die Schau mit Hitchcocks
Begeisterung für Friedrich Wilhelm Murnau und seine Arbeit als Szenenbildner
für „Die Prinzessin und der Geiger", der in Babelsberg gedreht wurde.
Dort konstruierte der 27-Jährige eine perspektivisch raffiniert verkürzte
Himmelstreppe, mit der er eine ungeheure Tiefenillusion erzielte. Im Umgang
mit Raum und Zeit, in der Konzentration komplexer Vorgänge, war Hitchcock
ein Genie. Daran lässt die Ausstellung nirgends Zweifel, auch wenn sie
den Mythos Hitchcock kritisch hinterfragt.
Damals, 1925 in Babelsberg, habe er, Hitchcock,
auch Murnau beim Dreh des „Letzten
Manns" zugeschaut
- was seine Frau Alma später dementiert hat. Hitchcocks frühes Gastspiel
in Berlin und München brachte ihn übrigens auch ihr, der Cutterin
Alma Reville näher, die er später heiratete und die - nicht nur als
Co-Autorin der Drehbücher - eine unschätzbare wie unterschätzte
Rolle für Hitchcocks Werke gespielt hat. 2003 brachte Tochter Patricia
das Buch „Alma Hitchcock. The Woman behind the Man" heraus.
Mit der Kostümdesignerin Edith Head,
der Produktionsassistentin Peggy Robertson, dem Kameramann Robert Burks und
dem Komponisten Bernard Herrmann seien nur ein paar Frauen und Männer genannt,
die mindestens zeitweilig im ausladenden Schatten des berühmten Pyknikers
verschwanden.
Die Station „Musik und Sound Design"
dokumentiert das bittere Ende der fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Herrmann
und Hitch, der Mitte der 1960er für „Torn
Curtain" eine populärere,
weniger düstere Thrillermusik verlangte - und Herrmann nach Vollendung
des Scores kurzerhand aus der Produktion schmiss. In bereits unterkühltem
Ton verfasste Hitchcock ein Telegramm (November 1965), in dem er Herrmann vorwirft,
in „der alten Spur" zu verharren und sich musikalisch kaum von der „Marnie"-Partitur
abzusetzen. Auf einem Monitor lässt sich die berühmte Mordszene aus
„Torn Curtain" in zwei Abmischungen erleben. Die Szene in der Endfassung
enthält eigentlich keine Musik, doch zum Vergleich wurde ein Remix mit
Dialog, Geräuschen und der blechgesättigten Ur-Musik von Bernard Herrmann
hergestellt.
Überhaupt kommen die Produktionsbedingen
des Films „Der zerrissene Vorhang" mehrfach vor. Die Berliner Kuratoren
haben den künstlerisch eher umstrittenen Film zur Hauptattraktion der Ausstellungsetappe
gemacht. Grund: Die Geschichte war in Ostberlin und Leipzig angesiedelt. Es
geht um einen US-Physiker, der als vermeintlicher Überläufer in der
DDR einer geheimen Formel hinterherjagt. Eine offizielle Drehgenehmigung in
Ostdeutschland war im Kalten Krieg undenkbar, so entstand die DDR auf dem Studiogelände
der Universal, mit kräftiger Unterstützung des Matte-Painting-Experten
Albert Whitlock.
Eine Sequenz, in der Stasi-Agent Wolfgang
Kieling dem Klassenfeind Paul Newman durch die Alte Nationalgalerie folgt, darf
als illusionistisches Kabinettstück gelten. Zwar entstammen die Interieurs
ganz offensichtlich anderen Museen, doch dafür wirken die zum Großteil
von Whitlock in Öl gemalten Säle - die wenige Aussparungen für
die Akteure freihalten - im Film absolut echt. Das Berliner Publikum kann ein
solches Matte Painting nun einmal aus der Nähe betrachten.
Großartige Arbeit hat der deutsche
Szenenbildner Hein Heckroth vor allem im Fall des „Hotel Berlin" geleistet:
Newman und Julie Andrews scheinen dort wie in einer schlammfarbenen Höhle
gefangen. Den verwaschenen, DDR-grauen Farbklängen, die Hitchcock in seinem
viertletzten Film anstrebte, hat sich Frieda Grafe in einem Kapitel ihres Buches
„Filmfarben" gewidmet.
„Ich mochte auch wissen ob jemand Farbe
Bilder machen kann vom ziemlich viele Oerte in Ost Deutschland sodass wir diese
brauchen koennen für Nachforschung Zweck" - In kuriosem Deutsch tippte
Hitchcock einen Brief an Alexander Scherer von Universal Deutschland, der sich
dann auch um Material für Rückprojektionen kümmerte. Sie wurden
vor allem im Westen, etwa in Berlin-Spandau gedreht.
Auf einer Großprojektion hört
man Hitchcocks „Denglish" auch in Fernseh-Interviews mit Margret Dünser
oder Friedrich Luft. Diesem berichtet der Regisseur 1963 von „die einzige Maschin'
in die Welt", welche die synthetischen Vogelschreie für „The Birds" zu simulieren vermochte: das Mixturtrautonium,
eine Vorform des Synthesizers, auf dem der Berliner Oskar Sala den furchterregenden
Soundtrack produzierte - ein weiterer „fellow perfectionist".
„Die Vögel", Hitchcocks neben
„Rope" wohl aufwändigstes Experiment
nimmt viel Ausstellungsraum ein: Des Meisters letzte Blondine Tippi Hedren ist
in Probeaufnahmen zu sehen und erzählt von ihrem aufreibenden Casting mit
einem Unbekannten - der sich erst kurz vor Hedrens Unterzeichnung eines Exklusiv-Vertrages
als Hitchcock entpuppte (dieses und weitere Interviews, die Michael Strauven
mit Norman Lloyd, Diane Baker oder Bruce Dern für den WDR führte,
kommen erst im Sommer auf den Bildschirm). Vor allem aber belegt der mit vielen
Zeichnungen dokumentierte Produktionsprozess der „Vögel" die Bedeutung
des Mitarbeiterstabes. Ohne den Production Designer Robert Boyle, den „Hitch"
um erste Illustrationen der Kurzgeschichte Daphne du Mauriers bat, wäre
nicht einmal das Script zustande gekommen. Die jetzt ausgestellten Gouachen
und Bleistiftzeichnungen waren als erster Test gedacht, ob der Plot visuell
überhaupt tragfähig sei. Hitchcock zögerte. Verrückterweise
war es dann Boyle, der ihn endgültig davon überzeugte, dies sei idealer
Stoff für einen Hitchcockfilm.
Es ist nicht das einzige Beispiel, das
die Publicity-Mär vom voll autonomen Künstler gehörig ins Wanken
bringt. Wobei zu betonen ist, dass die französische Autoren-Theorie, namentlich
die Kritiker der „Cahiers du Cinéma", die Legendenbildung auch befördert
hat. Die Aufwertung von Regisseuren als „Auteurs" durch Truffaut, Godard
oder Chabrol war allerdings auch eine historische Notwendigkeit - auf diese
Weise konnte das Kino als Kunstform erkannt werden.
Im Vorwort zum hervorragenden, nur in
Englisch erhältlichen „Casting a Shadow"-Katalog zeichnet Will Schmenner
ein differenziertes Bild des Regisseurs zwischen Ein-Mann-Show und Teamworker,
der im inneren Zirkel durchaus diskussionsfreudig war. Die krassen Beispiele
von Fehlinformation nach der Prämisse „Hitchcock ist der Star" gehören
denn auch in die unverzichtbare Sektion „Vermarktung": 1959, nach der Endfertigung
von „North
by Northwest", ließ
der Werbeagent William Blowitz angebliche Storyboardzeichnungen der „Cropduster-Sequence"
anfertigen, die dann zu genial-vorausplanenden Skizzen Hitchcocks erklärt
wurden. Robert Boyle hat dagegen glaubhaft betont, dass die Szene, in der Cary
Grant von einem Doppeldeckerflugzeug über Maisfelder gejagt wird, aus Zeitgründen
überhaupt nicht Einstellung für Einstellung vorskizziert wurde.
Natürlich waren solche Schummeleien
nach Hitchcocks Geschmack. Er liebte Fakes, Lügengeschichten und Mummenschanz,
und seine doppelbödigen Filme von „The
Lady Vanishes" über
„Vertigo" bis „Family Plot" dokumentieren
das auch. „Es existiert das Vorurteil über mich, ich sei fett", verkündete
Hitchcock 1965 während einer Festrede, in der er auf die Cameo-Auftritte
in seinen Filmen abhob. Augenzwinkernd erklärte der Regisseur, dafür
sei schon früh ein beleibtes Double engagiert worden. „Der Rest ist Geschichte",
fuhr der Redner fort, „ER wurde zum öffentlichen Bild von Alfred Hitchcock
(...) Man sagt, das in jedem dicken Mann ein dünner Mann steckt, der verzweifelt
herauszukommen versucht. Nun wissen Sie, dass der dünne Mann der wahre
Alfred Hitchcock ist." Die Rede - und das ist kein Witz - wurde von einem
Ghostwriter verfasst.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Casting
a Shadow: Alfred Hitchcock und seine Werkstatt, bis 10. Mai 2009, Museum für
Film und Fernsehen, Berlin, Potsdamer Straße 2, Di-So 10-18, Do 10-20
Uhr
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